Katrin Köhl

Windmühlentage


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      Alla ging zum Bühnenrand.

      »Alles klar mit den Getränken?«

      »Wir haben die Kisten schon in den Keller getragen.«

      Zwei Männer kamen durch den Mittelgang nach vorn. Alla war von der Bühne gesprungen. Sie war nicht sehr hoch, aber Eva setzte sich vorsichtshalber und ließ sich dann nach unten gleiten.

      »Darf ich vorstellen?«

      Alla deutete auf die beiden.

      »Anatoli und Maxim, die beiden starken Männer in der Truppe. Und das ist Eva, unsere neue Übersetzerin.«

      Der Jüngere, groß und schlacksig mit dunklen Haaren, streckte Eva die Hand entgegen.

      »Nenn mich Tolja.«

      Er grinste. Dann beugte er den Kopf zu ihr, als wolle er ihr ein Geheimnis anvertrauen.

      »Der stärkste Mann hier ist sowieso Alla. Aber lass das besser nicht Sergej oder Maxim hören.«

      Maxim gab Eva ebenfalls die Hand. Mit seinen langen grauen Haaren und dem wallenden Vollbart erinnerte er sie an Karl Marx. Er deutete auf den Wandbehang.

      »Dann hängen wir den jetzt auf.«

      »Ja, danke.«

      Alla wandte sich zu der Tür neben der Bühne.

      »Kommt danach in die Küche. Eva und ich regeln das Geschäftliche und bereiten dann den Tee vor. Olga müsste auch gleich da sein. Wo ist eigentlich Sergej?«

      »Der ist sicher noch bei Fred.«

      Alla nickte und winkte Eva, ihr zu folgen. Der Boden der Küche war schwarz-weiß gefliest. Eine der Wände war apfelgrün gestrichen, ein Poster vom Theaterfestival in Avignon hing daran. Daneben drei große Spiegel mit Leuchten und ein langer, weiß lackierter, schon etwas abgestoßener Schminktisch. Den größten Teil des Raums nahm ein rechteckiger Tisch ein, um den acht unterschiedliche Stühle standen. In einer Ecke thronte ein großer Samowar. Alla befüllte ihn mit Wasser.

      »Fred ist ein Freund von uns. Er ist Schreiner und wollte für uns drei leichte Holzgestelle für Windmühlenflügel bauen, die wir dann mit Papier beziehen können.«

      Eva überlegte kurz.

      »Na klar! Don Quixote. Cervantes und Bulgakow.«

      »Ich sehe, du kennst dich aus.«

      Alla nickte anerkennend. Sie nahm eine große Papiertüte von der Anrichte und begann, kleine süße Kuchen auf einem Teller zu arrangieren.

      »Die habe ich heute Morgen gebacken. Bei uns gibt‘s immer um fünf Tee. Dann sind meistens alle da. Olga arbeitet bis nachmittags in einem Kindergarten, Maxim ist Klempner, Tolja und Natascha studieren an der Uni.«

      Sie seufzte.

      »Vom Theater allein kann keiner leben. Sergej hilft früh morgens beim Großmarkt. Ich unterrichte an der Volkshochschule. Was machst du eigentlich?«

      »Ich bin Buchhändlerin.«

      »Ah, daher das Interesse für Sprache und Literatur. Das Projekt wird dir gefallen. Ausgehend von Bulgakows Theaterstück und dem Roman von Cervantes wollen wir Don Quixote im Rahmen unseres Sommerfestivals auf die Bühne bringen. Es wird Mitmachaktionen und Workshops geben, in denen ein Großteil der Kostüme und des Bühnenbilds entstehen.«

      Alla erzählte, dass sich die beiden Ensembles im letzten Sommer auf einem Theatertreffen in Budapest kennengelernt hatten. Damals wurde die Idee zu dem Projekt geboren. Im Frühjahr waren die Mitglieder des Arbat in Barcelona zu Besuch gewesen, jetzt kam die Truppe des Teatro Cervantes nach Zürich. Alla lehnte sich an die Anrichte. Sie sprach von Probenplänen, Arbeitszeiten, nannte Eva eine Summe, die sie ihr bezahlen konnte.

      »Ich könnte dir dein Honorar jeweils am Ende des Tages auszahlen. Das wäre das Einfachste. Bist du einverstanden?«

      Eva willigte ein. Sie konnte sich das Ganze noch gar nicht richtig vorstellen. Mit so etwas hatte sie nicht gerechnet, als sie, ohne nachzudenken, in Stuttgart in den Zug gestiegen war.

      Alla hatte sich wieder den Vorbereitungen fürs Teetrinken zugewandt. Sie zeigte auf einen Hängeschrank über der Anrichte.

      »Dort sind Tassen und Teller. Könntest du die schon mal auf dem Tisch verteilen? Teelöffel sind in der Schublade.«

      Das Geschirr war so unterschiedlich wie die Stühle. Eva stellte alles auf den Tisch, zuletzt eine mit großen Blumen bemalte Zuckerdose. Im Samowar begann das Wasser zu kochen. Alla schaufelte Berge von schwarzem Tee in eine bauchige blaue Kanne und übergoss ihn mit heißem Wasser.

      »Sdrawstwujte, Freunde! Oh, Boshe moj, mein Gott, was für ein Tag!«

      Eine kleine dicke Frau mit zerzausten Locken schob sich durch die Tür. In jeder Hand hatte sie eine prall gefüllte Plastiktüte. Sie ging zum Tisch, stellte die Tüten ab und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Aus der Rocktasche zog sie ein mit Spitze umhäkeltes Taschentuch und wischte sich die Stirn ab.

      »Das Tram ist nicht gefahren. Und der Bus war so voll, dass ich nicht mehr reinkam. Deshalb bin ich den ganzen Weg vom Kindergarten gelaufen. Ich habe die Stoffreste mitgebracht.«

      Sie sah den Teller mit Gebäck, den Alla auf den Tisch gestellt hatte.

      »Allotschka, du bist ein Schatz! Ich bin am Verhungern!«

      »Warte noch auf Maxim und Tolja, sie sind gleich da. Darf ich dir solange Eva vorstellen? Sie wird uns in den nächsten Tagen als Übersetzerin zur Seite stehen.«

      Die kleine Frau zog mit schuldbewusster Miene die Hand zurück, die sie schon nach dem Kuchen ausgestreckt hatte.

      »Otschen prijatno, sehr angenehm, ich bin Olga. Es ist ein Glück, dass du da bist!«

      Sie lächelte Eva an, schaute dann zu Alla.

      »Vorhin habe ich Irina getroffen. Sie dachte, dass das Projekt erst in der nächsten Woche anfängt. Heute und die kommenden Tage hat sie keine Zeit. Und selbst danach wäre es schwierig geworden, weil sie dann Prüfungen hat. Na, so kann ich sie anrufen und ihr sagen, dass sie nicht mehr gebraucht wird.«

      Maxim und Tolja kamen in die Küche und setzten sich an den Tisch. Alla brachte eine kleine Kanne und eine Blechdose.

      »Hier ist Kräutertee. Den hat Natascha immer in der Schwangerschaft und während des Stillens getrunken. Möchtest du?«

      »Ja, danke.«

      Kurze Zeit später saßen alle vor dampfenden Tassen. Olga hatte sich etwas Tee in ihre Untertasse gegossen und schlürfte ihn hörbar. Dann nahm sie sich eines der Kuchenstücke.

      »Ich war heute Morgen kurz bei Natascha. Die Ärzte sagen, dass sie außer Lebensgefahr ist. Gott sei Dank! Aber sie sieht schlecht aus. Die Arme, Boshe moj! Sie wird wohl noch die gesamte nächste Woche in der Klinik verbringen.«

      Alla beugte sich zu ihr vor.

      »Olga, wie ist das in Nataschas WG? Denkst du, Florence und die anderen könnten Eva für die nächsten paar Tage aufnehmen? Sie muss aus ihrem Hotel raus und hat noch keine Unterkunft.«

      Olga schüttelte sich ein paar Krümel von den Händen und goss noch etwas Tee in ihre Untertasse.

      »Gut möglich. Es sind Semesterferien. Patrycja ist nach Polen zu ihrer Familie gefahren, soviel ich weiß.«

      Erneutes Schlürfen, dann wandte sie sich an Eva.

      »Ich will nachher sowieso dort vorbeigehen und nach dem Kleinen sehen. Komm einfach mit, dann fragen wir nach. Ist ein nettes Trüppchen. Und sie kümmern sich rührend um den kleinen Grischa, vor allem Florence.«

      Natascha und ihre Freunde wohnten im Westen von Zürich. Eva saß neben Olga im Tram. Draußen zogen riesige Bürotürme vorbei. Lange Fassaden aus Glas und Stahl. In den Straßen brauste der Verkehr. Eva konnte sich nicht vorstellen, wo hier eine Studenten-WG sein