Kathrin Lange

Fabelmacht Bundle


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vermutlich früher einmal Seife und Kosmetika enthalten hatten. Jetzt sahen sie aus wie beigefarbene Zähne in einem fauligen Mund.

      Der Spiegel über dem Waschbecken war zur Hälfte blind, aber Mila konnte sich trotzdem darin sehen. Ihr Blick hatte etwas Wildes, fand sie. Irgendwie irre. Ihre Haare waren wirr, ihre Wangen viel zu blass, sodass die Sommersprossen darauf wirkten wie blutige kleine Nadelstiche. Probehalber drehte sie den messingfarbenen Wasserhahn auf. In der Wand ertönte ein lautes, stöhnendes Geräusch, ein rötlicher Wasserstrahl ergoss sich in das Becken, wurde aber gleich darauf klar.

      Mila schöpfte sich zwei Hände voll Wasser ins Gesicht.

      Danach sah sie ein bisschen weniger blass aus. Weil die Handtücher auf der Stange wenig vertrauenerweckend wirkten, wischte sie sich mit dem Ärmel trocken. Die Schürfwunde an ihrer Hand brannte, aber sie blutete nicht.

      »Warum gibt es hier noch Wasser und Strom?«, rief Mila durch die offen stehende Tür.

      Eric, der mit einem Billigwasserkocher hantierte und gerade Wasser in eine bauchige Teekanne goss, zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Vermutlich haben sie einfach vergessen, es abzustellen. Ich bin auch noch nicht lange hier.« Er trug die Kanne und zwei dazu passende Tassen aus hauchfeinem Porzellan zu einem kleinen Tischchen neben dem Bett. »So. Und jetzt will ich alles ganz genau wissen. Was waren das für Typen? Und warum waren die hinter dir her?«

      Mila verließ das Badezimmer. Vorsichtig ließ sie sich auf die Kante des Bettes fallen und krampfte die Hände in die alte Tagesdecke. Eine kleine Staubwolke stieg in die Luft, kitzelte sie an den Handrücken. »Ich sag doch, ich hab keine Ahnung.«

      Eric runzelte die Stirn. »Der Mann hat davon gesprochen, dass jemand dich tot sehen will.«

      Die Vorstellung war noch immer zu überwältigend für Mila. »Ja. Ein Villain Caruel.«

      »Caruel? Wer ist das? Klingt wie aus einem Film.« Eric goss Tee in die beiden Tassen. Der aromatische Geruch von Gewürzen erfüllte die Luft. Zimt und Nelken, dachte Mila.

      Sie schüttelte den Kopf, dass ihre Locken ihr in die Augen flogen. »Kein Film. Und kein schlechter Scherz, fürchte ich.«

      Obwohl es ihr so vorkam. Konnte es nicht einfach sein, dass all das hier ein unglaublich aufwendiger Dreh mit versteckter Kamera war? Wohl kaum, schließlich dauerte so was nicht tagelang.

      Eine sehr, sehr alte Gabe, die wir beide besitzen, wisperte eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Diesmal war es nicht die von Maréchal, sondern die von Nicholas.

      Die Fabelmacht.

      Das blaue Leuchten an Nicholas’ Arm. Und das ihrer Schrift, als sie über Eric geschrieben hatte.

      Allein an all das zu denken, fühlte sich so surreal an, dass sie sich fragte, wann sie in eine ihrer eigenen Geschichten geraten war. Sie erinnerte sich an Maréchals Bild von den verschiedenen Universen, die wie die Seiten eines Buches eng nebeneinanderlagen. Er hatte es kaum ausgeführt, weil ihnen die Angreifer dazwischengekommen waren, aber jetzt konnte sie sich selbst eine Vorstellung machen. Hatte er damit gemeint, dass sie vor Kurzem das eine Universum verlassen hatte, nur um in ein Nachbaruniversum zu wechseln? Sozusagen von einer Seite auf die andere gehüpft wie Alice im Wunderland in das Kaninchenloch? Und konnte wirklich so etwas Harmloses wie das … Schreiben dafür sorgen?

      Mit leicht zitternden Händen nahm sie die Tasse, die Eric ihr reichte. Da sie nicht weitersprach, zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich so, dass er ihr direkt ins Gesicht sehen konnte. »Okay, was immer es ist: Nichts ist so schlimm, wie es im ersten Augenblick scheint. Wir kommen mit der Sache klar, egal, was es ist!«

      Wir, hatte er gesagt.

      Diese schlichte Tatsache trieb Mila Tränen in die Augen. Hastig wischte sie sie fort.

      »Herrje!« Eric nahm ihr rasch die Tasse ab und stellte sie weg. Dabei fiel sein Blick auf die Schürfwunde an ihrem Daumenballen. »Du hast dich verletzt.«

      Sie rieb sich die Stelle. »Nur ein bisschen aufgeschürft. Vorhin, als ich von dem Dach runter bin.« Plötzlich hatte sie das starke Bedürfnis, sich Eric anzuvertrauen. Sie musste einfach mit irgendjemandem über alles reden, was passiert war, sonst würde der Druck, der sich in ihrem Innersten aufzustauen begann, sie über kurz oder lang explodieren lassen. Aber wie sollte sie es in Worte fassen? Sie begriff es ja selbst nicht, was gerade geschah.

      Vertrau Eric!, hörte sie Maréchal sagen. Der Eric doch nicht kennen konnte, oder?

      »Kann ich dir etwas zeigen?«, fragte sie.

      Eric nickte.

      Sie stand auf und nahm ihr Notizbuch und einen Bleistift aus ihrer Umhängetasche. Mit beidem kehrte sie zum Bett zurück, ließ sich wieder darauf nieder. Dann jedoch zögerte sie. Was genau hatte sie eigentlich vor? Sie war nicht sicher. Aber sie musste es jetzt einfach ausprobieren. Sie musste herausfinden, ob sie sich in Isabelles Wohnung das blaue Leuchten nur eingebildet hatte. Ob all die Dinge, die in den letzten Tagen passiert waren, nur aus Zufall geschahen oder ob ein geheimnisvoller Plan dahintersteckte. Vielleicht musste sie auch einfach herausfinden, ob sie verrückt war oder nicht.

      Eric beugte sich gespannt vor und das gab ihr den nötigen Mut. Sie rief sich ins Gedächtnis, was Maréchal zu ihr gesagt hatte.

       Neben unserem Universum existieren unendlich viele weitere. Ein jedes unterscheidet sich von dem daneben nur durch Kleinigkeiten. Zum Beispiel dadurch, dass du heute Morgen keine Jeans angezogen hast, sondern ein Kleid.

      Langsam begann sie zu schreiben.

      Sie begann mit ihren eigenen Klamotten, beschrieb die ausgeblichene Jeans, die hellgrauen Ballerinas, ihre Lieblingsschuhe. Das schlichte weiße Shirt, für das sie sich heute Morgen entschieden hatte. Und dann schrieb sie, dass dieses Shirt seine Farbe wechselte. Auf dem Papier machte sie aus Weiß Schwarz.

      Eine Sekunde verstrich.

      Dann eine weitere.

      Ihr Bleistift huschte über das Papier, aber nichts geschah. Logisch! Sie war vermutlich verrückt geworden, als sie das Gerede des Buchhändlers angehört hat. Die Wirklichkeit ist das, was unser Verstand daraus macht. Und gerade als sie das dachte, flammte erst die Bleistiftspitze und dann das Geschriebene auf. Wort um Wort, Satz um Satz wurde von blauem Feuer erfasst. Eric ächzte leise, sagte aber keinen Ton, bis das Leuchten auf dem Papier verblasste.

      Mila saß ganz still da. Dann blinzelte sie einmal.

      Und ihr Shirt war tiefschwarz.

      Eric keuchte. »Wie geht das?«, stieß er hervor.

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      Mila stand am Fenster und spielte mit dem Ausschnitt ihres Shirts. Schwarzer Stoff. Auf ihren Ohren lag ein Druck, der alle Geräusche dumpf wirken ließ. Um sich an irgendetwas festzuhalten, das nicht schwankte, richtete sie den Blick auf das gegenüberliegende Haus. Es war zwei Stockwerke niedriger, sodass sie auf sein Dach schauen konnte, das, wie fast alle Häuser im Zentrum von Paris, mit Metall beschlagen war. Rechts von dem Dach befand sich eine kleine Terrasse, auf der abgedeckte Stühle standen, eine vergammelte Palme in einem billigen Plastiktopf und ein verblasstes Bobbycar.

      Mila starrte es so lange an, bis es vor ihren Augen verschwamm.

      Eric saß noch immer auf dem Bett und starrte ebenfalls vor sich hin. Als sie ihm eben gezeigt hatte, zu was sie fähig war, war der Ausdruck von Verblüffung auf seinem Gesicht einem so tief greifenden Unbehagen gewichen, dass sie sich schämte. Sie hatte ihre Erlebnisse mit jemandem teilen wollen, um sich nicht mehr so allein zu fühlen. Aber alles, was sie erreicht hatte, war, dass Eric sie jetzt für einen Freak hielt.

      Nachdenklich berührte sie die Schürfwunde an ihrem Daumen.

      Eric räusperte sich. »Kannst …« Seine Stimme versagte und er