Polizeidaten, z.B. die Anzahl der „erstauffälligen Konsumenten harter Drogen“ oder die Anzahl „konsumnaher Delikte“, werden nicht selten als Abbild der tatsächlichen Verbreitung betrachtet. Tatsächlich bilden diese aber in erster Linie die Kontrollschwerpunkte der Polizei ab. Dieses Thema hat in jüngster Zeit an Relevanz gewonnen, da insbesondere die „konsumnahen Delikte“ im Zusammenhang mit Cannabis in Deutschland in jedem der letzten Jahre um jeweils rund 10% gestiegen sind (vgl. BKA 2018). Was auch immer der Grund für diese Steigerung sein mag: dokumentiert ist hiermit ein Anstieg der Kriminalisierung von Konsumierenden und nicht etwa ein Anstieg der Verbreitung des Cannabiskonsums (vgl. auch Werse 2018).
Repräsentativbefragungen können erhebliche Unterschiede in ihren Ergebnissen aufweisen, je nachdem welche Erhebungsmethode eingesetzt wird – so werden bei telefonischen Befragungen gerade für Cannabis weitaus geringere Konsumraten ermittelt als bei schriftlichen, insbesondere klassengestützten Schülerbefragungen. Das hängt einerseits mit den weitaus geringeren Ausschöpfungsquoten zusammen, andererseits auch mit einer geringeren Bereitschaft der Befragten, tatsächlich eigenen Drogenkonsum zuzugeben. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um aktuellen Konsum handelt, der bei derartigen Befragungen weniger zugegeben wird als ein Gebrauch, der bereits länger zurückliegt (vgl. Werse 2016).
Intensiven, potenziell problematischen bzw. behandlungsbedürftigen Konsum zu quantifizieren, ist mittels Repräsentativerhebungen sehr schwierig, da zumeist für die „Problemgruppen“ nur geringe Fallzahlen erreicht werden, deren Schwankungen oft auf Zufällen beruhen. Zudem fallen Intensivkonsumierende nicht selten aus dem Schulsystem und sind generell weniger bereit, an Befragungen teilzunehmen.
Auf der anderen Seite ist es problematisch, sich zur Abschätzung von Intensivkonsum auf die Nachfrage nach Beratung und Therapie (etwa: Thaller et al. 2017) zu beziehen, da sich die konkreten Angebote und auch die Bereitschaft, solche zu konsultieren, stark unterscheiden. Therapieangebote für Cannabis Konsumierende wurden seit Ende der 1990er-Jahre deutlich ausgebaut; gleichzeitig ist auch die Nachfrage angestiegen. Letzteres ist deshalb folgerichtig, weil es zuvor viele Regionen gab, in denen gar keine oder zu wenige Beratungs- und Behandlungsangebote für Cannabis Konsumierende existierten, weshalb viele Menschen mit entsprechenden Problemen gar keine Möglichkeiten hatten, sich professionell helfen zu lassen. Ob aber der Anstieg der Nachfrage nur mit dem Anstieg der Angebote zu tun hat oder ob die Anzahl hilfebedürftiger Cannabiskonsument*innen tatsächlich angestiegen sein könnte, kann mit den verfügbaren Daten nicht geklärt werden.
Aus diesen Gründen ist es wichtig, zu betonen, dass sozialwissenschaftliche Erhebungen niemals hundertprozentig die Realität darzustellen vermögen – insbesondere im Hinblick auf das angesichts der Illegalität immer noch sensible Thema Cannabiskonsum. Dies betrifft vor allem die besonders im Fokus stehende Gruppe der intensiv Konsumierenden.
Im Folgenden werden einige Ergebnisse aus Repräsentativbefragungen zum Cannabiskonsum in unterschiedlichen Altersgruppen – mit Schwerpunkt auf Jugendlichen und jungen Erwachsenen – wiedergegeben, ausgehend von lokalen Resultaten aus Frankfurt, bis hin zu Vergleichsresultaten aus Europa. Dabei werden die jeweiligen Befragungen, ihre Erhebungsmethoden und deren Fallstricke kommentiert.
Vorab sei erwähnt, dass es auf nationaler Ebene lediglich eine regelmäßige Repräsentativbefragung für Erwachsene gibt, die nur in mehrjährigen Abständen stattfindet (s. Kap. II.1.3.4). Häufiger, aber in unregelmäßigen Abständen wird eine Befragung unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchgeführt (s. Kap. II.1.3.2). Auf regionaler bzw. lokaler Ebene gibt es außer der Frankfurter Befragung (s. Kap. II.1.3.1) lediglich eine in mehrjährigen Abständen durchgeführte Befragung in Hamburg. Ansonsten gab es in jüngerer Zeit gelegentlich einmalige Erhebungen in bestimmten Bundesländern oder Regionen.
1.3 Repräsentativstudien zum Cannabiskonsum
1.3.1 Frankfurt: Monitoring-System Drogentrends (MoSyD)
Bei dieser Studie handelt es sich um die einzige Repräsentativerhebung zum Drogenkonsum in Deutschland, die jährlich durchgeführt wird. Das Monitoring-System Drogentrends (MoSyD) existiert bereits seit 2002 (Kemmesies u. Werse 2003) und wird von der Stadt Frankfurt am Main gefördert (aktuell: Kamphausen et al. 2018). Neben der hier in erster Linie dargestellten repräsentativen Schülerbefragung werden im Rahmen von MoSyD regelmäßig auch Expert*innen, „Trendscouts“ aus Ausgehszenen sowie Angehörige der „offenen Drogenszene“ befragt, um ein Gesamtbild des Drogenumgangs in Frankfurt zeichnen zu können.
Zu beachten ist, dass sich diese Repräsentativerhebung auf eine Großstadt-Stichprobe bezieht. Eine Einordnung der Ergebnisse im Vergleich mit anderen Städten und ländlichen Regionen findet sich im folgenden Abschnitt.
Aus der bislang letzten ausgewerteten Schülerbefragung werden im Folgenden Resultate von 1.074 15- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schülern der 10. bis 12. Klasse an allgemeinbildenden Schulen sowie des 1. bis 3. Ausbildungsjahres an Berufsschulen in Frankfurt wiedergegeben. Die Erhebung wurde Ende 2017 sowie Anfang 2018 durchgeführt. Diese Art von Erhebung hat eine gute Annäherung an die realen Werte zur Folge, da zum einen durch die klassenweise Erhebung während der Schulzeit eine gewisse Verbindlichkeit gegeben ist, wodurch eine hohe Ausschöpfungsrate von 80% erreicht wurde. Zum anderen wird der elektronische Fragebogen komplett anonym selbst von den Jugendlichen ausgefüllt, was die Hemmungen zur Angabe abweichender Handlungen herabsetzt.
35% der 15- bis 18-Jährigen haben in ihrem Leben mindestens einmal Cannabis konsumiert. 14% haben in den letzten 30 Tagen Marihuana und/oder Haschisch genommen. Einen mindestens zehnmaligen Konsum im Vormonat geben 2% der Schüler*innen an; 1% sind intensiv (täglich) Konsumierende.
Nachdem die meisten dieser Cannabis-Prävalenzraten, nach einem klaren Rückgang 2004, seit 2011 deutlich angestiegen waren, zeigte sich zunächst 2016 ein leichter, gefolgt von einem starken Rückgang im Jahr 2017. Sowohl die Lebenszeit-Prävalenz als auch der Konsum in den letzten 30 Tagen sind deutlich gesunken; häufiger Konsum im Vormonat ist sogar auf den niedrigsten Wert aller Erhebungen zurückgegangen (vgl. Abb. 5). Es zeigt sich also eine Wellenbewegung, was Konsumerfahrungen wie auch aktuellen und häufigen Konsum betrifft: Auf einen Höhepunkt Anfang der 2000er-Jahre folgte ein Rückgang und mehrere Jahre weitgehender Stagnation, gefolgt von einem Anstieg etwa auf das Ausgangsniveau, auf den zuletzt wieder rückläufige Zahlen folgten.
Abb. 5 Entwicklung des Cannabiskonsums bei 15- bis 18-Jährigen in Frankfurt am Main (in %)
Im Rahmen dieser Befragung werden außer den Konsumraten weitere Spezifika der Cannabisverbreitung erfragt. Das durchschnittliche Alter des Erstkonsums liegt bei 15,3 Jahren; dieser Wert ist zwischen 2002 und 2017 um 0,8 Jahre angestiegen. 67% aller 15- bis 18-Jährigen gaben an, dass mindestens „ein paar“ ihrer Freund*innen oder Bekannten Cannabis konsumieren. Mit 62% wurden nahezu zwei Drittel der Befragten mindestens einmal Cannabis angeboten. 8% denken, dass ihre Eltern es ihnen wahrscheinlich oder sicher erlauben, Cannabis zu rauchen (2011 lag dieser Wert noch bei 4%). 20% derjenigen, die in den letzten 30 Tagen konsumiert haben, geben an, zumindest gelegentlich (mindestens einmal im Monat) auch im Schulkontext (vor der Schule, in Pausen oder Freistunden) Cannabis zu rauchen. Und schließlich kann mit der Erhebung für Jugendliche auch die deutliche Dominanz von Marihuana gegenüber Haschisch auf dem lokalen Markt belegt werden: 44% der aktuell (letzte 30 Tage) Konsumierenden haben im zurückliegenden