Franjo Grotenhermen

Cannabis und Cannabinoide


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regelmäßigem und häufigem Konsum sind Männer deutlich überrepräsentiert. In Großstädten gibt es zumindest unter jungen Menschen etwa doppelt so viele regelmäßig Konsumierende wie in ländlichen Regionen, während regelmäßiger Alkoholkonsum in kleineren Gemeinden deutlich stärker verbreitet ist als in Großstädten.

       1.4.1 Europäischer Vergleich

      Im europäischen Vergleich nehmen Deutsche beim Cannabiskonsum (vermutlich) einen mittleren Rang ein; am häufigsten „gekifft“ wird in der Tendenz in Südwesteuropa, während skandinavische und (süd-)osteuropäische Länder tendenziell niedrige Konsumraten aufweisen, wobei sich die „Spitzenreiter“ und „Schlusslichter“ je nach Konsumkennzahl und Altersgruppe unterscheiden. In der Tendenz zeigen sich für Länder mit eher liberalen Ansätzen in der Drogenpolitik (z.B. Spanien, Tschechien oder die Niederlande) vergleichsweise hohe Prävalenzraten. Dies ist allerdings nicht immer der Fall; so liegt z.B. Frankreich mit einem eher repressiven Ansatz bei fast allen Kennzahlen auf Rang 1; in einigen weiteren tendenziell repressiv ausgerichteten Ländern (z.B. Finnland oder Polen) sind die Prävalenzraten in den letzten Jahren deutlich angestiegen (EMCDDA 2017). Zudem hatten die meisten der „liberalen“ Länder bereits hohe Prävalenzraten, bevor Maßnahmen zur Entkriminalisierung eingeführt wurden; die liberaleren Regelungen können also gewissermaßen als Folge der hohen Verbreitung betrachtet werden anstatt umgekehrt. Teilweise ging die Verbreitung nach der Liberalisierung sogar zurück. Umgekehrt gibt es mehrere Beispiele von Ländern, in denen, nachdem die Strafvorschriften für Cannabisbesitz verschärft wurden, die Prävalenzraten anstiegen (EMCDDA 2018). Die EMCDDA folgert aus ihren Beobachtungen, dass Gesetzesänderungen im Hinblick auf Cannabis keinen klaren Effekt auf die Verbreitung der Droge haben. Die Gründe für Konsumtrends, die sich in unterschiedlichen Ländern (bzw. Städten und Regionen) zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedliche Richtungen bewegen, müssen also woanders zu suchen sein, insbesondere auf der (u.a. jugend-)kulturellen Ebene.

       1.4.2 Debatte um die „Normalisierung“ des Cannabiskonsums

      Abschließend sei auf die mittlerweile seit zwei Jahrzehnten in der sozialwissenschaftlichen Drogenforschung präsente Debatte um „Normalisierung“ des Cannabiskonsums (u.a. Parker et al. 1998, Hathaway et al. 2011) eingegangen: Bei allen o.g. Schwankungen der Cannabisverbreitung konnte in diversen Ländern langfristig eine steigende Akzeptanz der Freizeitverwendung der Droge beobachtet werden. Cannabiskonsum, insbesondere die häufigste Form eines weitgehend unproblematischen Freizeitgebrauchs, wird zunehmend auch von Außenstehenden toleriert. In gewissem Widerspruch dazu steht die formell unverändert vor allem strafrechtliche Behandlung des Themas, von der potenziell jede_r Konsumierende betroffen ist. Diese Entwicklungen dürften der Hauptgrund dafür sein, dass seit einigen Jahren auch in Deutschland verstärkt die Entkriminalisierung und legale Regulierung von Cannabis diskutiert wird; Maßnahmen, die in diversen anderen Industrieländern bereits umgesetzt wurden.

      „Normalisierung“ bezeichnet eine steigende gesamtgesellschaftliche Akzeptanz des Freizeitkonsums von Cannabis.

       Schlussfolgerungen auf den Punkt gebracht:

      

gängige Schätzungen zur Cannabisverbreitung sind aus unterschiedlichen Gründen als ausgesprochen vage zu betrachten

      

Schwerpunkt aktuellen Cannabiskonsums liegt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen

      

Männer sind vor allem beim regelmäßigen Konsum deutlich überrepräsentiert

      

Deutschland nimmt im europäischen Vergleich eine mittlere Position ein

       Literatur

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      EMCDDA (2018) Cannabis legislation in Europe. An overview. Publications Office of the European Union Luxembourg

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      Hathaway AD, Comeau NC, Erickson PE (2011) Cannabis normalization and stigma: Contemporary practices of moral regulation. Criminology and Criminal Justice 11(5). 451–469

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      Kraus L, Piontek D, Seitz NN, Schoeppe M (2016) Europäische Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen 2015 (ESPAD) Befragung von Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klasse in Bayern. IFT Institut für Therapieforschung München

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