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Indisches Drama


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einer Freude, einer Ruhe, einer Spiritualität, ach was soll ich sagen! An einem Nachmittag zeigte uns Herr Shubash, was er in der anderen Haushälfte macht: Er kreierte auf kostbaren weißen Seidensaris Designs mit Blüten und Blättern, die durch bestimmte Techniken und Farben die wunderschönsten Muster ergaben. Manuel war begeistert, geradezu ergriffen, wie ein Mensch sein Leben so ausschließlich und bedingungslos der Kunst widmet. Bestimmt hatte Herr Shubash bei seinem Aufnahmegespräch in den Ashram gesagt, dass er unter keinen Umständen Saris gestalten wolle.

      Nach einer Woche begann Aaya ihren Dienst. An diesem Tag erlitt ich einen Schock. Dieser bestand darin, dass ich rein gar nichts von dem verstand, was sie sagte. Zuerst dachte ich noch, naja, jemand der aus dem Slum kommt, der spricht eben einen unverständlichen Dialekt. Das allein ist ja noch nicht schlimm und bewegt sich im Rahmen des Normalen. Allerdings war ich blitzschnell zu der Erkenntnis gelangt, und das ist der eigentliche Schock, dass ich einfach rein gar nichts konnte, außer „vanakkam“ (guten Tag, willkommen) sagen, und das, obwohl ich eifrig zwei Semester am Institut für Indologie und Iranistik in München Tamil gelernt zu haben glaubte.

      Wer in der Ethnologie einen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ein Projekt im Ausland stellt, muss nachweisen, dass er die entsprechende Verkehrssprache kann. Logisch. Schließlich will man sich ja mit den Leuten unterhalten können und in meinem Falle sogar ganze Schauspiele kapieren. Also belegte ich einen Tamil-Kurs bei Herrn Dr. Huber. Schon nach zwei Unterrichtsstunden war ich seine einzige Schülerin, die anderen beiden lernten lieber Tibeti, das Herr Huber auch unterrichtet hat, ebenso wie Sanskrit, Nepali und Hindi. Herr Huber hatte ein Hobby, dem er sich mit großer Hingabe in jeder freien Minute gewidmet hat, nämlich Tamil. Diese Sprache ist selbst für einen außergewöhnlich Sprachbegabten, der Herr Huber zweifelsohne ist, eine Herausforderung. Denn Tamil ist eine drawidische Sprache und nur etwas für masochistisch veranlagte Linguisten. Herr Huber fühlte sich zu ihr hingezogen. Er kam aus Dresden und hatte selbst nie Tamil mit einem Lehrer gelernt, geschweige denn je jemanden in dieser Sprache sprechen hören. Gemeinsam mit seinem Russisch-Tamil/Tamil-Russisch-Lexikon arbeitete er sich wacker durch die Lektionen seines englischsprachigen Lehrbuchs, das er seinerzeit auf einem Flohmarkt erworben hatte. Ich wusste zwar, das hatte er mir ganz klar gesagt, dass zwischen dem literarischen und dem gesprochenen Tamil ein Unterschied besteht, aber ich dachte mir, ach was, der wird schlimmstenfalls so sein wie zwischen Latein und Italienisch. Wer Latein kann, versteht auch Italienisch, was ja so etwas wie ein verdorbenes Latein ist, wie mein Doktorvater, Prof. Vajda, immer sagte.

      Immer am Freitagnachmittag um drei, sowohl Herr Huber als auch ich waren bereits in Feierabend-Stimmung, machten wir uns im Münchener Institut für Indologie fröhlich ans Werk. Der Kurs begann deshalb um drei Uhr, weil mein Lehrer da sein Schönheitsschläfchen beendet hatte. Zu diesem Zweck hatte er ein Sofa im Zimmer mit einem flauschigen Kissen und einer warmen Wolldecke. Ich sollte ihn dann immer aufwecken, wenn ich kam. Also jeweils freitags um drei klopfte ich vorsichtig an seine Bürotür, damit er nicht aus seinen Träumen aufschrecken musste, und rief erst leise, dann immer lauter seinen Namen, bis ein langgezogenes „jaaaaa, kommen Sie herein“ ertönte. Beim Betreten des Zimmers hatte sich Herr Huber schon in die Sitzhaltung hochgerappelt und tastete mit den Füßen nach seinen braunbeige- karierten Filzschlappen und mit den Händen nach seiner Brille. Der von seiner Frau selbst gestrickte Pullunder korrelierte farblich mit den Schuhen. Die Kekse hatte Herr Huber schon in einer hübschen Schale auf dem Tisch stehen, meist brachte ich noch Schokolade mit, der Teekocher wurde angeschmissen. Bald duftete es nach wunderbarem Darjeeling, den mein Lehrer in einer komplizierten Zeremonie zubereitet hatte. Teebeutel waren für ihn Barbarei. Es konnte losgehen. Ich lernte lesen und schreiben, die Tamil-Sprache hat über zweihundert Zeichen, für das Sprechen behalfen wir uns mit dem, was da stand. Herr Huber wurde nicht müde zu beteuern, dass er selbst Autodidakt sei. Er war dem, was wir im Unterricht durchnahmen, immer ein oder zwei Kapitel voraus. Bei Kapitel sechsunddreißig war dann Herr Huber mit seinem Latein, bzw. seinem Tamil, am Ende. Und ich somit automatisch auch.

      Es war Aaya, die mich in Verzweiflungszustände hineinmanövriert hat, um jetzt wieder auf meinen Schock zu sprechen zu kommen. Hatte ich denn nicht ein Jahr lang, jeden Tag, den der Herr werden ließ, nach dem Frühstück eine Stunde lang, sozusagen als Morgenmeditation, eifrig und geradezu mit Hingabe – ja, das muss man so sagen, mit Hingabe – mich dieser Sprache gewidmet? Und jetzt sagt Aaya was zu mir und ich stehe da und schaue dumm. Umgekehrt verstand Aaya außer „vanakkam“ von mir kein einziges Wort, und wenn ich es noch so schön aussprach. Es war zum Haare-Raufen. Mit sechsunddreißig Lektionen sollte man sich doch wohl wenigstens rudimentär verständigen können. Ich begriff, dass mit meinem Spracherwerb irgendwas fundamental schiefgelaufen war, und ich vertraute mich Konrad an. Er musste sich zusammenreißen, um nicht laut über meine Naivität zu lachen.

      „Gesprochenes Tamil und literarisches Tamil, Hilde, das sind zwei ganz verschiedene Dinge“, klärte er mich auf.

      Ach nee, das immerhin hatte ich auch schon kapiert. So lernte ich bei Herrn Huber, nur um ein Beispiel zu nennen, für die Zahl zwei „irantu“ zu sagen, denn so schreibt man das Wort. Aber man spricht „rende“. Schon ein kleiner Unterschied.

      Mir war klar, dass ich erst einmal anständig Tamil lernen musste. Konrad bot mir an, mein neuer Lehrer zu sein, und kam regelmäßig zum Unterricht ins Haus. Selbst als er später, zurück in Heidelberg, am Südasien-Institut lehrte, fuhr ich zwei Jahre lang, DFG-finanziert, jeden Mittwoch von München mit dem Zug nach Heidelberg in der Hoffnung, irgendwann einmal mit diesem Horror von Sprache auf einen grünen Zweig zu kommen. Zu meinem größten Bedauern ist dieser Zweig aber nie ganz grün geworden, schöne Blüten sind mir bis heute nicht vergönnt.

      Ich war froh, dass Konrad jeden Tag kam, um mir Tamil beizubringen. So gut es meine Begriffsstutzigkeit zuließ, lernte ich eifrig. Das gab meinem Leben vorerst einen beruflichen Sinn. Nichtsdestotrotz schlichen sich zaghaft Erinnerungen ein, weswegen ich eigentlich hergekommen war. Manuel ging es auch nicht viel anders. Weder er noch ich hatten irgendeine Ahnung, wo wir anfangen sollten.

      Wenigstens über die schulische Zukunft der Kinder brauchten wir uns keine Sorgen zu machen. Lena wäre in Deutschland in die erste Klasse gekommen. Wir trauten uns zu, ihr die Grundlagen von Lesen, Schreiben und Rechnen selbst vermitteln zu können. Eurythmie fiel allerdings erstmal flach. Immerhin, Wachsmalkreiden waren dabei. Lena hat ihre Schulzeit in Deutschland dann einfach mit der zweiten Klasse begonnen. Johanna war bei unserer Abreise schon in der vierten Klasse. Waldorflehrer im Allgemeinen sind engagiert, Johannas Lehrerin war es ganz besonders. Mit ihr hatten wir vereinbart, dass meine Mutter einmal im Monat in die Schule fährt, alle Arbeitsunterlagen abholt und uns diese nach Indien schickt. Jede Woche wurde einem anderen Kind die Aufgabe zugeteilt, für Johanna mitzuschreiben, und einmal im Monat schrieben alle zweiunddreißig Kinder in der Klasse einen Brief, in dem stand, was sie besonders bewegt hatte. Natürlich sollte auch Johanna über ihre Erlebnisse in Indien berichten. Ihre Briefe wurden in der Klasse vorgelesen. Das hat dann auch alles funktioniert, und so ist Johanna integriert geblieben. Bei ihrer Rückkehr war alles so, als wäre sie nie weg gewesen.

      Den Tagen des Glücks folgten Tage der Ratlosigkeit und der Verwirrung. Wir werkelten im Garten und im Haus herum. Mit einem unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit und Mühe, viele Stunden waren totgeschlagen, wurde in einer Ecke ein kleines Regal für den brokatgewandeten lockigen Rauschgold- Schutzengel mit den goldenen Flügeln befestigt, den meine Mutter Manuel mitgegeben hatte. Kaum war unser Hausaltar fertig, kniete Aaya schon davor und betete. In Pondicherry leben vierzig Prozent Christen. Aaya, die Germaine (sprich „Dschärman“, Betonung auf ä), die Deutsche, hieß, war eine von ihnen. Sie war fromm und gottesfürchtig. Wir zeigten Aaya, dass wir unter dem Deckchen, auf dem der Engel stand, Geld, Pass und Papiere, darunter auch die inzwischen ungültig gewordene Aufenthaltsgenehmigung, deponiert hatten. Nicht dass sie beim Putzen versehentlich das Versteck entdeckte. Mit einer pantomimischen Darbietung, meine neu erworbenen Sprachkenntnisse ließen noch nichts anderes zu, machte ich Aaya klar, dass sie und ihre Kinder und Enkelkinder für ewig in der Hölle schmoren würden, sollte etwas fehlen. Bereits im Paradies angekommene Vorfahren würde der Höchste Herr persönlich verstoßen, so wie er es damals mit Luzifer getan hatte, der dann, wie sie ja weiß, zum Teufel geworden ist. Das Depot war sicherer als jeder Tresor.

      Wie