Für Berechnungen nach Theorie II. Ordnung wird ebenfalls gemäß Tabelle 2.1 vorgegangen und das System zunächst nach Theorie I. Ordnung analysiert (1. Durchlauf). Anschließend wird nochmals bei Punkt 2 begonnen und es werden nun zusätzlich geometrische Elementsteifigkeitsmatrizen berechnet, für die die Schnittgrößen aus Punkt 9 der 1. Berechnung, also nach Theorie I. Ordnung, benötigt werden. In diesem 2. Durchlauf wird unter Punkt 4 zusätzlich eine geometrische Gesamtsteifigkeitsmatrix erzeugt, so dass die Matrix des Gleichungssystems gemäß Punkt 8 nun aus zwei Matrizen
(2.6)
besteht. Die Matrix
Bei Eigenwertproblemen ist prinzipiell ebenfalls die beschriebene Vorgehensweise wie für Berechnungen nach Theorie II. Ordnung durchzuführen. Im 2. Durchlauf entfällt jedoch der Lastvektor gemäß Pkt. 5, und es wird mit
formuliert. Gl. 2.7 bildet den Ausgangspunkt für die Ermittlung des „Verzweigungslastfaktors“ αcr (Eigenwert) und der Eigenform
2.4 Gleichgewicht
2.4.1 Vorbemerkungen
Wenn Tragwerke belastet werden, treten aufgrund der einwirkenden Lastgrößen Verformungen auf. Als Reaktion entstehen im Tragwerk Spannungen und Dehnungen, die zu den Schnitt- und Verformungsgrößen korrespondieren, und das Tragwerk befindet sich im Gleichgewicht. Die Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen ist in der FEM eine zentrale Aufgabe und man benötigt daher entsprechende Prinzipien und Methoden. Üblich sind:
Prinzip der virtuellen Arbeit
Prinzip vom Minimum der potentiellen Energie
Gleichgewicht am differentiellen Element/Differentialgleichungen
Die Differentialgleichungen (DGLn) werden in Abschnitt 2.7 dazu herangezogen, möglichst zutreffende Ansatzfunktionen für die Verformungsgrößen zu identifizieren. Dazu sind sie gut geeignet, weil analytische Lösungen der DGLn für einige wichtige Sonderfälle bekannt sind. Für andere Fälle, wie z. B. die zweiachsige Biegung mit Normalkraft und Torsion nach Theorie II. Ordnung bei Stäben, liegen keine Lösungen vor und es ist daher zweckmäßig, allgemeine Gleichgewichtsprinzipien zu verwenden. Im vorliegenden Buch wird zur Formulierung der Gleichgewichtsbedingungen durchgängig die virtuelle Arbeit verwendet.
2.4.2 Prinzip der virtuellen Arbeit
Zunächst soll der Begriff „virtuelle Arbeit“ verdeutlicht werden. Bild 2.6 zeigt in diesem Zusammenhang die Unterschiede zwischen der Eigenarbeit, der Verschiebungsarbeit und der virtuellen Arbeit. Bei Tragwerken mit linearelastischem Verhalten steht die Tragwerksverformung im proportionalen Verhältnis zur aufgebrachten Last. Wird entsprechend Bild 2.6a eine Kraft F auf einen Träger aufgebracht und stetig gesteigert, so ergibt sich das angedeutete Last-Verformungs-Diagramm und als geleistete Arbeit die sogenannte Eigenarbeit mit
Der Träger wird nun durch weitere Kräfte belastet (s. Bild 2.6b), die auch an der Stelle, an der die Kraft F wirkt, eine Verformung hervorrufen. Mit der dabei auftretenden zusätzlichen Verformung vF erhält man wegen F = konst. die Verschiebungsarbeit W = F ∙ vF, die dem bekannten Zusammenhang „Arbeit = Kraft mal Weg“ entspricht.
Bild 2.6 a) Eigenarbeit W b) Verschiebungsarbeit W c) virtuelle Arbeit δW
Wie in Bild 2.6c skizziert führt das Aufbringen einer gedanklichen/gedachten Verformung δvF auf entsprechende Weise zu einer virtuellen Arbeit δW = F ∙ δvF. Zur Verdeutlichung wird dieser Zusammenhang erneut in Bild 2.7 aufgegriffen, in dem die Kraft F in Richtung ihrer Wirkungslinie verschoben und der Verschiebungsweg mit δuF bezeichnet werden. Die gedanklich vorgenommene Verschiebung δuF führt dann zur virtuellen Arbeit δW = F ∙ δuF.