Sigrid-Maria Größing

"Wir hätten in einem Rosengarten sitzen können"


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werden, um die Mitgift und Aussteuer Juanas zu befördern. Außerdem wurde der Prinzessin ein eigener Hofstaat aus spanischen Bediensteten mitgegeben, deren Zahl nicht genau bekannt ist. Isabella wußte, daß ihrer Tochter ein ungewisses Abenteuer bevorstand. Eine Seefahrt zu dieser Zeit bedeutete für alle ein großes Risiko, denn die Segelschiffe, die nach Norden reisten, waren den Stürmen und haushohen Wellen oft nicht gewachsen. Daher sollten viele Schiffe nach Flandern segeln, um die Gefahr für Juana möglichst gering zu halten. Lebensmittel und Hausgeräte wurden auf die Lastschiffe geladen, allein 85 000 Pfund geräuchertes Fleisch, 150 000 Heringe, 1000 durcheinander gackernde Hühner, 10 000 Eier, 2000 Gallonen Essig und 400 Fässer Wein, damit die Spanier in den Niederlanden nicht auf ihr gewohntes Getränk verzichten mußten.

      Bei dem Gedanken an die schwere niederländische Kost, die fast immer auch am Hofe von Gent serviert wurde, erschauerte so mancher Spanier in Juanas Gefolge. Hier im Süden vermied man fettes Schweinefleisch, derbe Gemüse und Hülsenfrüchte, und vor allem trank man Wein statt Bier. Alle hatten schon längst von dem für spanische Begriffe liederlichen Lebenswandel der flämischen Bevölkerung gehört, auch in den besten und angesehensten Kreisen, daß man nächtelang aß und trank und schließlich in irgendein Bett fiel, meist nicht in das eigene. Angeblich schleppten die Frauen oder leichten Mädchen die stocktrunkenen Männer im Morgengrauen nach Hause, und es dauerte einen halben Tag, bis die vom Bier Berauschten wieder fähig waren zu erkennen, wo sie sich eigentlich befanden. Für einen Spanier waren solche Sitten unvorstellbar, hier achtete man die Gesetze der Moral, und obgleich so mancher im geheimen neugierig war auf dieses Leben, verabscheute er es doch nach außen hin.

      Das Gefolge, das die Königstochter in die Niederlande begleiten sollte, bestand schließlich aus 22 000 Personen. Immer mehr Schiffe vergrößerten die Flotte, und schließlich machten sich 130 Segler bereit, in See zu stechen. Isabella hatte die Damen und Herren, die Juana begleiten sollten, sorgfältig ausgewählt, es waren gebildete Angehörige des spanischen Hochadels, die Juana das Leben in der Fremde erleichtern sollten. Sie konnte nicht voraussehen, daß diese Getreuen bald ihren Einfluß verlieren und von Philipp systematisch entmachtet werden sollten.

      Die Abreise im Sommer 1496 gestaltete sich zu einem Fest. Von weit und breit war das Volk herbeigeeilt, um der scheidenden Prinzessin, die bis dahin beinahe niemand gekannt hatte, ein letztes Lebewohl zu sagen. Man hatte gehört, welch hohe Aufgabe ihr einmal zukommen sollte und sah in ihr schon die zukünftige Kaiserin. Unter dem Jubel der Bevölkerung lichtete man die Anker. Schwer stachen die völlig überladenen Schiffe in See, im letzten Moment hatten die Granden, die Juana begleiten sollten, noch ihr Gefolge mitgebracht. Allein der Admiral brauchte 450 Bedienstete, so daß die Schiffe aussahen, als würden sie im nächsten Augenblick in den blauen Fluten des Atlantik versinken. Den ersten Versuch, die Seefahrt zu beginnen, mußte man bald abbrechen, denn kaum waren die Schiffe aus dem schützenden Hafen ausgelaufen, als sich das Wetter als äußerst ungünstig erwies und man es vorzog, noch ein paar Tage im Hafen abzuwarten.

      Endlich war es soweit; der Admiral gab das Kommando zum Aufbruch, und die Segel der Schiffe flatterten im Wind, der sich allerdings allmählich zum Sturm entwickelte. Eine Fahrt im Herbst durch den Golf von Biskaya war schon immer ein schwieriges Unterfangen gewesen, und auch der Segen der Kirche, mit dem die Flotte ausgestattet worden war, konnte nicht verhindern, daß die gefürchteten »temporales« über die Schiffe herfielen, die Segel wie Zunder zerfetzten und die Segler wie Nußschalen hin- und herwarfen. Tagelang tobte der Sturm, haushohe Wellen überrollten die Planken, Menschen und Tiere wurden fortgeschwemmt und versanken in den Fluten. Unter Deck warfen sich die Männer und Frauen zu Boden und flehten alle Heiligen an, doch endlich den Winden Einhalt zu gebieten und dem Wüten der Elemente ein Ende zu machen.

      Als der Sturm endlich nachließ, war die Hälfte der Flotte ein Opfer des Sturmes geworden. Juana hatte man im letzten Moment, bevor ihr Schiff zu versinken drohte, unter größten Gefahren auf einen anderen Segler gebracht.

      Es war ein trauriger Anblick, als die spanischen Schiffe, die von der stolzen Flotte übriggeblieben waren, mit zerfetzten Segeln und schwerer Schlagseite an der Küste von Zeeland vor Anker gingen. Völlig durchnäßt – sie hatte schon seit Tagen keine trockene Kleidung am Leib gehabt –, hustend und niesend betrat die zukünftige Herzogin von Burgund und spätere Königin den niederländischen Boden. Ein Teil ihres Heiratsgutes war genauso wie viele Spanier ihres Gefolges ein Raub der Wellen geworden, und Juana hatte nur den einen Wunsch, in den nächsten Monaten das Meer nicht mehr sehen zu müssen.

      Als die knapp sechzehnjährige Prinzessin das Land ihres Bräutigams betrat, war ihre Enttäuschung riesengroß. Hier stand kein Philipp, der auf sie wartete und das völlig erschöpfte junge Mädchen liebevoll in die Arme schloß. Der Prinz war nicht in Flandern; er hatte zwar gehört, daß seine Braut übers Meer fuhr, aber er wollte von ihr so lange nichts wissen, so lange es nur irgend möglich war. Er hatte sich noch immer nicht mit dem Gedanken abgefunden, sein freies Junggesellendasein aufgeben zu müssen. So kam ihm der Auftrag des Kaisers gerade recht, ihn in Deutschland zu vertreten.

      Die Enttäuschung Juanas wich ein wenig, als ihr von den Niederländern ein begeisterter Empfang bereitet wurde. Neugierig und gespannt hatte die Bevölkerung in Flandern auf die Braut ihres Prinzen gewartet, und alles war auf den Beinen und wollte die Prinzessin sehen. Wo immer sie sich zeigte, brauste Jubel auf, man warf ihr Blumen entgegen und feierte sie »wie eine Königin«. Mit großem Pomp zog sie in Antwerpen ein, Kinderchöre sangen in den Straßen, durch die der festliche Zug kam, man schrie und klatschte, als man die junge Braut sah, Girlanden schmückten die mächtigen, spitzgiebeligen Häuser, die Fenster waren weit geöffnet, und wo die Blumen den Schaulustigen noch Platz ließen, konnte man dicht gedrängt die Menschen sehen, die der jungen Prinzessin zujubeln wollten. Juana sah bezaubernd aus in ihrem golddurchwirkten Kleid, mit dem dunklen Haar, ihrer makellosen olivfarbenen Haut und den meergrünen Augen, sechzehn Jahre jung, lächelnd, winkend, strahlend.

      Margarete, die Schwester Philipps, hatte es übernommen, die Hochzeitsfeierlichkeiten genau festzulegen und die Trauung in allen Einzelheiten zu planen. Sie war Juana mit besonderer Herzlichkeit entgegengekommen und hatte das verschlossene Mädchen sofort für sich eingenommen.

      Die Hochzeitsfeierlichkeiten waren für den 20. Oktober 1496 festgesetzt worden. Je näher dieser Zeitpunkt rückte, desto neugieriger wurde nun auch Philipp auf seine spanische Braut. Endlich traf er in Lier ein, wo Juana auf ihn wartete. Philipp war früher als angekündigt gekommen, und als die Prinzessin den Hufschlag seines Pferdes im Hofe hörte, begann ihr Herz wild zu klopfen. Im nächsten Augenblick wurden die Türen aufgerissen, und Philipp stand vor ihr, jung, mit wehendem Haar, verschwitzt, aber dennoch strahlend, hinreißend. Juana sah ihn, und es war um sie geschehen.

      Aber auch Philipp war von ihrem Anblick überwältigt. Die Prinzessin war so ganz anders als die Mädchen, die er bisher gekannt hatte. Sie faszinierte ihn so sehr, daß er alles Protokoll über den Haufen warf; er mußte sie sofort haben, er wollte nicht warten, bis die offiziellen Trauungszeremonien vorüber waren. Zufällig war ein Geistlicher im Raum, dem Philipp bedeutete, er möge sie jetzt und auf der Stelle trauen. Der Priester, ein Spanier, verstand nicht sofort; Juana aber deutete instinktiv die Blicke, die Philipp unverwandt auf ihr ruhen ließ, richtig und gab dem Priester den Befehl, sie sofort im christlichen Sinne zu verbinden. Beide knieten kurz nieder, Philipp hielt die Hand Juanas, der Geistliche sprach einige Worte, die beide kaum hörten, dann verließen die jungen Leute fluchtartig den Raum. Philipp zerrte Juana in einen Saal des Palastes, in dem ein breites Himmelbett stand, über dem schnell eine Dienerin ein Kruzifix angebracht hatte, dann warfen sie sich aufs Bett und rissen sich gegenseitig die Kleider vom Leib. Für Juana begann die Liebesraserei, die sie um den Verstand bringen sollte.

      Die formellen Hochzeitsfeierlichkeiten am darauffolgenden Tag ließen die beiden bloß noch über sich ergehen: für die Bevölkerung des Landes aber waren sie ein Fest. In den Straßen wurde getanzt und gesungen, farbig gekleidete Menschen und bunte Blumen bildeten den festlichen Rahmen, Musik spielte auf, und man jubelte dem jungen Paar zu, wo immer es sich zeigte. Sie waren ein Brautpaar wie aus dem Bilderbuch, der Prinz groß und blond, strotzend vor Kraft und Gesundheit, die Prinzessin zierlich, beinahe zerbrechlich, dunkel, geheimnisvoll. Philipp und Juana waren wie in Trance, als die Trompeten den Einzug der Brautleute in der Kollegienkirche