In Frankreich war man entzückt von der Aussicht, Maximilians Sohn begrüßen zu können. Die Intrige konnte perfekt werden, wenn es gelang, Philipp den Aufenthalt am Hof so angenehm wie möglich zu gestalten. Und man wußte, was zu tun war, man hatte von den Vorlieben des jungen Mannes gehört und bereitete alles vor, was das Herz Philipps erfreuen konnte. Dabei war man sich aber auch auch im klaren darüber, daß seine eigene Frau all diesen Zielen im Wege stand, daß Juana als Feindin Frankreichs kommen würde. Sie sollte also von ihrem Mann getrennt und isoliert werden, so gut es ging.
Die Begrüßung Philipps am Hofe von Blois fiel ungemein herzlich aus. Der König, erst vor kurzem mit seinen vierzig Jahren zum ersten Mal Vater geworden, war bester Laune. Als er Philipp erblickte, rief er aus: »Voilà un beau prince!« Nachdem der Kaisersohn drei Bücklinge vor dem französischen König gemacht hatte, erhob sich Louis und umarmte Philipp freundschaftlich. Juana hatte man im Vorzimmer zurückgehalten, und erst als die Begrüßung der beiden Männer zu Ende war, öffnete sich die Tür für die spanische Prinzessin, die mit finsterer Miene auf den König zuschritt. Louis erkannte sofort, daß Juana nicht freiwillig gekommen war, umarmte sie aber trotzdem und gab ihr einen Kuß auf beide Wangen. Entsetzt wich Juana zurück; nach der spanischen Etikette war diese Vertraulichkeit ihr gegenüber unerhört. Die weitere Unterhaltung war sehr kurz, keiner wußte so recht, was er mit der düster dreinblickenden jungen Frau reden sollte, und so verabschiedete sie der König in großer Eile und sagte Juana, die Königin brenne darauf, sie kennenzulernen.
Anne de Bretagne war den Habsburgern wohlbekannt, sie hatte vor Jahren mit dem Kaiser ein undurchsichtiges Spiel gespielt und der Schwester Philipps, Margarete, den Mann (Karl VIII.) weggeheiratet. Nun war sie die zweite Gemahlin Ludwigs XII. Philipp hatte diese Schmach für die Familie längst vergessen, nicht aber seine Frau. Für sie war Anne eine intrigante Person, und es schien, als sollte sie recht behalten. Als sie zu Anne ins Schlafgemach geführt wurde, versetzte man ihr, gerade als sie sich vor der Königin verneigen wollte, einen kräftigen Stoß, so daß sie hinfiel und auf den Knieen vor der Königin von Frankreich lag. Wut und Scham stiegen in ihr auf, und sie flüchtete beinahe aus dem Zimmer Annes.
Für Philipp waren die Tage am französischen Hof amüsant und kurzweilig. Vormittags vergnügte man sich beim Ballspiel, am Nachmittag traf man zu einer Kartenpartie oder zum Schachspiel zusammen, während Juana von den Damen in Beschlag genommen wurde, die die fromme spanische Prinzessin von einer Messe zur anderen schleppten. Juana wußte nicht, wie sie der Damengesellschaft entkommen sollte, die sie über alle Maßen langweilte.
Von den abendlichen Gesellschaften suchte man sie mit allen Mitteln fernzuhalten. Einmal kredenzte man ihr im Übermaß Süßigkeiten, von denen ihr übel wurde, ein anderes Mal war sie vom Aufenthalt in den ungeheizten Kirchen so durchfroren, daß sie nur noch die Wärme ihres Bettes suchte. Die Privatgemächer Juanas waren mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet, die Wände glänzten von goldenem Stoff und weißem Satin, überall lagen Kissen im Raum verstreut, und feinste Teppiche bedeckten die Böden. Hunderte Kerzen brannten in silbernen Kandelabern, im Kamin prasselte das Feuer und verbreitete Wärme und Behaglichkeit. All dieser Komfort sollte dazu beitragen, sie in ihrem Zimmer festzuhalten. Sechs kleine Pagen kamen, von denen jeder einen silbernen Leuchter trug, danach klopfte die Herzogin von Bourbon an die Tür und brachte ein goldenes Kästchen mit Konfekt, eine andere Herzogin bot kandierte Früchte an, in einer grünsamtenen Schatulle befanden sich Spiegel, Waschzeug, Kerzen, Kleiderbürsten, Kämme und Nachthauben: kurz, man setzte alles daran, daß sich Juana wohlfühlte. Nur einen brachte man ihr nicht: den Mann, nach dem ihr Herz begehrte. Der vergnügte sich unterdessen an der Tafel des französischen Königs mit allerlei schönen Damen und vermißte seine eifersüchtige Frau nicht im geringsten, im Gegenteil, er hatte Auftrag gegeben, Juana möglichst weit weg von ihm unterzubringen.
Juana sehnte sich nach Spanien. Aber auch dort sollte sie nicht die erhoffte Erholung finden, denn schon bald nach ihrer Ankunft bemerkte sie, daß es zwischen Philipp und ihren Eltern keine Gesprächsbasis gab, sobald diese den Schwiegersohn einmal durchschaut hatten. Die spanische Krone in den Händen eines jungen Mannes, dem Sitte und Moral unbekannt waren! Das war eine Vorstellung, die Ferdinand und Isabella sehr unangenehm sein mußte.
Philipp hatte auf äußerst ungeschickte Art die Schwiegereltern zu beeinflussen gesucht, ihm für die Zukunft Erbansprüche auf Spanien zuzusichern. Dabei stellte er seine Frau als geistig labil und wankelmütig hin, obwohl Juana gerade während dieses Aufenthaltes in Spanien noch sehr klare Entscheidungen traf. Der Schwiegersohn reiste schließlich vorzeitig ab, ohne Juana, die ein Kind erwartete. Erst als Philipp nach dem überraschenden Tod des spanischen Infanten Juan erkannte, daß seine Chancen auf den spanischen Thron wieder gestiegen waren, schrieb er eilends Briefe an seine Frau und bat sie, möglichst bald zu ihm zurückzukehren, obwohl er sich vorher kaum um sie gekümmert hatte.
Mit sicherem Instinkt hatte Isabella ihren Schwiegersohn erkannt und suchte, soweit ihr dies möglich war, zu verhindern, daß er Juana ausschalten konnte. Andererseits wußte auch sie, wie problematisch ihre eigene Tochter sein konnte und wieviel Energie sie aufwenden müsse, um das Volk davon zu überzeugen, daß Juana durchaus in der Lage war, zum Wohle des Landes zu regieren. Immer neue Meldungen über das eigenartige Verhalten ihrer Tochter machten die Runde unter den Adeligen. Philipp war ein Meister im Ausstreuen von Gerüchten über seine Frau, so daß sich Isabella ernsthaft überlegte, wie sie die Frage der Nachfolge um den Thron von Kastilien lösen sollte. Und sie setzte deshalb in ihrem Testament fest, daß bis zum Eintreffen Juanas Ferdinand die Regierungsgeschäfte erledigen sollte.
Als Isabella von Kastilien 1504 im Alter von nur 53 Jahren starb, erfuhr Philipp von diesen Bestimmungen. Trotz seiner Empörung unternahm Juana nichts, um den Vater von diesen Aufgaben zu entbinden. Im Gegenteil, es schien, als sei sie froh, auf diese Weise einen letzten Trumpf, die spanische Krone, in Händen zu haben. Philipp hatte einiges unternommen, um Juana zu einer Verzichtserklärung zu veranlassen, aber alles, was sie unter Druck oder plumpen Schmeicheleien unterschrieben hatte, widerrief sie schon Stunden später, wenn Philipp die Maske fallen ließ und wieder sein brutales Alltagsgesicht zeigte. Als der Habsburger sah, daß er nichts erreichte, änderte er seine Taktik noch einmal von Grund auf. Er spielte plötzlich wieder den Verliebten und lockte Juana, wann immer es ging, ins gemeinsame Bett. Aber sie war nicht mehr zu täuschen. Wenn Philipp sich ihr scheinbar liebevoll näherte, begann sie zu schreien und zu toben und lieferte damit ihren Gegnern neue Gründe, ihre geistige Gesundheit anzuzweifeln. Im geheimen hatte Philipp das Tagebuch, das Juana über ihr Leben und ihre Einsamkeit am flandrischen Hof verfaßt hatte, abschreiben lassen, um diese verzweifelten und manchmal wirren Aufzeichnungen in Spanien gegen sie zu verwenden. Als die Zeit reif war, ließ er die Zeilen Juanas öffentlich vorlesen und die Zuhörer darüber urteilen, ob eine Frau, die derlei Dinge einem Tagebuch anvertraute, sich im Vollbesitz ihrer Geisteskräfte befinde.
Noch heute erschüttert die Tragik von Juanas Schicksal: wie sie systematisch in das politische und menschliche Abseits gedrängt wurde, wie durch ihre eigene Leidenschaft und durch die Gleichgültigkeit ihres Mannes dunkle Züge in ihrem Wesen die Oberhand gewannen.
Nach dem Tode Isabellas beschloß Philipp, mit Juana nach Spanien zu fahren, um die Dinge in seinem Sinne zu ordnen. Und obwohl ihm die Anwesenheit seiner Frau eher zuwider war, konnte er nicht umhin, sie mitzunehmen. Er ließ eine Flotte ausrichten, die den Stürmen und Wellen trotzen sollte. Unter dem großen Gefolge, das das Paar begleiten sollte, befanden sich auch Hunderte Dirnen, die Philipp auf ein eigenes Schiff bringen ließ. Juana schrie laut auf vor Empörung, als sie die leichten Mädchen mit ihren bunten Kleidern und bemalten Gesichtern sah und bestand darauf, daß die Frauen sofort von Bord gehen müßten, andernfalls würde sie selbst nie den Fuß auf ein Schiff setzen. Philipp schäumte vor Wut, mußte sich aber ihrem Willen fügen, da er seine Gemahlin vor den spanischen Cortes unbedingt brauchte. Allerdings wußte er einen Ausweg: in der Nacht ließ er die unliebsamen Passagiere wieder auf das Schiff bringen, so daß für geeignete Unterhaltung während der Seereise gesorgt war.
Kaum war man aus dem schützenden Hafen ausgelaufen, als Sturm aufkam und die Schiffe kaum noch gesteuert werden konnten. Die Wellen türmten sich haushoch, seekrank und triefend naß lagen die Reisenden im Schiffsrumpf und sahen sich schon als Raub des Meeres. Auch Philipp war