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Nation, Europa, Christenheit


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vorstellen, der jede moralische Regung eines menschlichen Gewissens sowie die moralischen Regungen aller Gewissen kennt und ein perfektes psychologisches Instrumentarium zur Hand hat, mit dem er diese Regungen steuern kann. Die Steuerung einer Gesellschaft und jedes einzelnen ihrer Individuen wäre dann ohne jeglichen Zwang, sogar ohne jegliche Androhung von Zwang oder Gewalt möglich – die Menschen würden aus moralischen Gründen und damit aus (vermeintlich) eigenem Antrieb heraus tun, was sie im Sinne der „unsichtbaren Regierung“ tun sollen.

      Der „Bernayssche Dämon“ ist keine Realität, und es ist fraglich, ob er es je werden kann. Aber genauso fraglich ist es, ob er nicht dennoch Wunsch- und Zielvorstellung in politischen Stiftungen und Instituten, Denkfabriken und NGOs ist. Die Instrumente sind da, sie werden eingesetzt, und das moralische Framing ist eines davon.

      In kaum einem anderen Zusammenhang wird dies aktuell so deutlich wie in der Migrationsdebatte, und in kaum einem anderen wird – gerade von Protagonisten, die sich sonst aggressiv oder zumindest bewusst säkular geben – die christliche Begrifflichkeit derart inflationär verwendet, derart ausgeschüttelt und ausgewrungen, als gälte es, das letzte bisschen höhere Bestimmung herauszupressen, mit der man die eigenen Absichten gerade angesichts zunehmender Kritik bemäntelt und beschützt sehen will. Den Kritikern der Migrationspolitik werden hingegen unisono „Nächstenliebe und Barmherzigkeit“ abgesprochen bzw. wird von ihnen ein Bekenntnis zu „christlichen Werten“ gefordert, die wahlweise auch „europäische Werte“ seien und die man nicht aufgeben könne, ohne dass „Europa seine Seele verliere“.

      Auch das ist Framing. Migrationspolitische Entscheidungen werden – lehrbuchmäßig, wie es u. a. das ARD-Manual empfiehlt – in einen moralischen Bezugsrahmen eingeordnet. Er dient einerseits dazu, den Kritiker unter moralischen Rechtfertigungsdruck zu bringen (DDR-Bürger kennen das: „Du bist wohl gegen Frieden?“), andererseits dazu, die politischen Entscheidungen in eine Sphäre höherer Weihen zu heben, wo sie nicht mehr kontrovers diskutiert werden können und nicht mehr rational begründet werden müssen, sondern nur noch hinzunehmen und zu tragen sind.

      Es geht im Folgenden nicht um die Migrationspolitik, sondern um die moralische Haltung, die im Zusammenhang damit deutlich wird, und kontrastierend dazu um die eigentlich christliche Haltung. Ich werde mich auch mit der Dekonstruktion dieses Framings nicht lange aufhalten. Nur ein paar Punkte:

      4.Dass „christliche Werte“ wie „Nächstenliebe“ und „Barmherzigkeit“ die „europäischen Werte“ seien oder gar die „Seele Europas“, ist, mit Verlaub, das geistige Äquivalent zum Schlager. Es ist Moralschmalz. Die „Seele Europas“ kann überhaupt nur in der Emanzipation vom antiken asiatischen und afrikanischen Gedanken des Gottkaisertums bestehen. Das christliche Europa, das christliche Abendland formierte sich in der Trennung von weltlicher und geistlicher Macht. Es entstand eine säkulare Sphäre, in der Politik nicht lediglich als Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln betrieben, sondern als davon unterschiedener Zuständigkeitsbereich aufgefasst wurde. Die „Seele Europas“ besteht in der Gewaltenteilung von Thron und Altar. Freilich gelang diese Unterscheidung selten idealtypisch, immer wieder in der Geschichte versuchten beide Seiten, sich der jeweils anderen zu bemächtigen und sie sich zu unterwerfen. Und freilich gab es ein von der Religion weitgehend emanzipiertes Herrschertum auch in Griechenland und in Rom. Die Versuchung war allerdings eminent: Alexander der Große verscherzte sich in Baktrien die Sympathien seiner Gefolgsleute dadurch, dass er die Proskynese von ihnen verlangte. Auch die Geschichte der römischen Kaiser zeigt die verhängnisvolle Tendenz hin zur Selbstvergottung. Und wenn heute Kirchenfürsten mit „christlichen Werten“ Politik sanktionieren und Politiker sich wiederum durch „christliche Werte“ unangreifbar machen, entsteht eine Dynamik, die sich vom Prinzip des Gottkaisertums letztlich nur in Nuancen unterscheidet. Das abendländische Christentum ist der Garant der Unterscheidung von Thron und Altar, denn im Namen Christi ist allen Versuchen eines theokratischen Upgrades entschieden zu widersprechen: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Mt 22,21)

      Das Framing ist die eine Seite, die Seite des Senders. Auf der anderen Seite stehen die Empfänger, und es stellt sich die Frage, warum das Framing so überaus erfolgreich wirkt. Die zwar schrumpfende, aber immer noch