Klaus Dörner

Bürger und Irre


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Zwang im Hintergrund. Eine Fülle zeitgenössischer Berichte und Reiseführer zeigt, wie die Irrendemonstrationen in Paris und London ebenso wie in verschiedenen deutschen Städten mit den Vorführungen wilder Tiere um die Gunst dieses Publikums konkurrierten. Diese Spektakel hatten mehr gemeinsam als die Gitterstäbe der Menagerien und die Geschicklichkeit der ihre Opfer reizenden Wärter. Was hier veranstaltet wurde, war die wilde und unbezähmbare Natur, das »Tierische«, die absolute und zerstörende Freiheit, die soziale Gefahr, die hinter den von der Vernunft gesetzten Gittern um so dramatischer in Szene gesetzt werden konnte, als durch eben denselben Akt dem Publikum die Vernunft als Notwendigkeit der Herrschaft über die Natur, als Beschränkung der Freiheit und als Sicherung der staatlichen Ordnung vor Augen geführt wurde. War der Wahnsinn in früheren Zeiten ein Zeichen des Sündenfalls, verwies er – in der Beziehung auf Heilige und Dämonen – auf ein christliches Jenseits, so zeugte er jetzt von einem politischen Jenseits, vom chaotischen Naturzustand der Welt und des Menschen, von der brüchigen Basis seiner Leidenschaften, d. h. von dem Zustand, den Hobbes (1642) wahrnahm und aus dem er keinen Ausweg sah als die Unterwerfung der Menschen unter ein Staatswesen, unter ihre zweite, die soziale Natur: »Nur im staatlichen Leben gibt es einen allgemeinen Maßstab für Tugenden und Laster; und eben darum kann dieser nicht anders sein als die Gesetze eines jeden Staates; selbst die natürlichen Gesetze werden, wenn die Verfassung festgesetzt ist, ein Teil der Staatsgesetze.«44

       Anmerkungen