Friedrich Kirchner

Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe


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Vorstellung in das Selbstbewußtsein, das über einen Zustand der Seele nachdenkende Bewußtsein. Kant (1724-1804) faßt die Apperzeption schlechthin als das Bewußtsein und schied die reine transscendentale oder ursprüngliche Apperzeption, das Selbstbewußtsein, das: »Ich denke«, das alle Vorstellungen des einzelnen begleitet und in allem Wechsel des Bewußtseins ein und dasselbe ist, von der empirischen Apperzeption, dem Bewußtsein des Menschen von seinem jedesmaligen Zustande. (Kr. d. r. V., II. Aufl., S. 132, § 16.) Herbart (1776-1841) faßte die Apperzeption als die Aneignung und Verarbeitung neu aufzunehmender Vorstellungen durch ältere verbundene und ausgeglichene Vorstellungsmassen. Steinthal (1823-1899) und Lazarus (1824-1903) bildeten den Herbartschen Begriff weiter aus. Steinthal z. B. unterschied die identifizierende, subsumierende, harmonisierende und disharmonisierende Apperzeption. Wundt (geb. 1832) versteht unter Apperzeption den Einzelvorgang, durch den ein psychischer Inhalt zu klarer Auffassung kommt, die Erfassung einer Vorstellung durch die Aufmerksamkeit (s. d.). Er unterscheidet, bei Vergleichung des Bewußtseinsaktes mit einem inneren Sehen, Blickfeld und Blickpunkt des Bewußtseins. Die Apperzeption ist nach diesem Bilde der Eintritt einer Vorstellung in den Blickpunkt des Bewußtseins (Wundt, Grundz. d. phys. Psych. II, S. 235). Am verbreitetsten dürfte gegenwärtig noch immer der Begriff der Apperzeption sein, wie ihn Herbart, Steinthal und Lazarus bestimmt haben. (Vgl. Otto Staude, Phil. Stud. I, S. 149 ff.)

      apperzipieren heißt mit Bewußtsein erfassen oder neue Vorstellungen mit Hilfe älterer aufnehmen.

      Appetenz (lat. appetentia) heißt Begierde, Trieb.

      Apprehension (lat. apprehensio = Erfassung, Verständnis) heißt das Begriffsvermögen; apprehendieren heißt begreifen. Die Apprehension spielt nach Kant, Kr. d. r. V. S. 98 ff., beim Zustandekommen der Vorstellungen eine grundlegende Rolle. Alle Vorstellungen sind der Zeit unterworfen. Sie entstehen durch ein Durchlaufen einer Mannigfaltigkeit und die Zusammenfassung derselben, die Synthesis der Apprehension. Hieran schließt sich die Reproduktion in der Einbildung und die Rekognition im Begriffe.

      Apraxie (gr. apraxia) heißt Untätigkeit, Trägheit.

      Apsychie (gr. apsychia) heißt Bewußtlosigkeit, Ohnmacht, Scheintod; apsychisch heißt unbeseelt.

      Arbeit ist, soweit der Mensch als Ursache in Betracht kommt, die mit Anstrengung verbundene Tätigkeit, die auf einen subjektiv oder objektiv nützlichen Zweck gerichtet ist. Die Arbeit steht im Gegensatz zur Erholung und zum Spiel (s. d.). Die Erholung vermeidet die Anstrengung, und das Spiel ist frei von einem nützlichen Zweck. – Im mechanischen Sinne ist Arbeit das Produkt aus der Kraft in den Weg ihres Angriffspunktes oder nach der Definition Ostwalds: die Bewegung eines Körpers durch eine bestimmte Strecke gegen einen vorhandenen Widerstand. Ostwald empfiehlt, in der Mechanik, statt von dem Kraftbegriff, von dem Arbeitsbegriff auszugehen. Mathematisch gesprochen, erspart man sich dadurch eine Integration. Vgl. Ostwald, Vorles. üb. Naturphil. Leipzig 1905. S. 156, 174.

      Arbeitsamkeit ist die Tugend, seine Kräfte gern, zweckmäßig und eifrig im Dienste des Nützlichen anzustrengen.

      arbitrium liberum (lat.) heißt Willensfreiheit. Siehe unter Freiheit.

      Archetyp (gr. archetypos), heißt Urbild, Muster, Original, Ideal; archetypisch heißt urbildlich, eigenartig.

      Archeus od. Archaeus (gr. von archeios = obrigkeitlich, archaios = anfänglich), der Herrscher, ist nach Basilius (15. Jahrh.) das Zentralfeuer als Lebensprinzip der Vegetabilien, nach Paracelsus (1493-1541) und van Helmont († 1644) das Urprinzip des animalischen Lebens in den Einzelwesen, die individuelle Naturkraft. Paracelsus dachte ihn sich als ein übernatürliches Wesen in einem astralischen Leibe, v. Helmont als Lebensgeist (aura vitalis), welcher den Samen der Dinge gestaltet und erhält.

      Architektonik (gr. architektonikos = zur Baukunst gehörig) heißt die Systemlehre oder die Kunst, ein wissenschaftliches Lehrgebäude aufzuführen. Kant (1724-1804) nennt daher in der Kr. d. r. V. den dritten Abschnitt der transscendentalen Methodenlehre die Architektonik der reinen Vernunft (S. 833-851) und erklärt: »Ich verstehe unter einer Architektonik die Kunst der Systeme. Weil die systematische Einheit dasjenige ist, was gemeine Erkenntnis allererst zur Wissenschaft, d. i. aus einem bloßen Aggregat derselben ein System macht, so ist Architektonik die Lehre des Scientifischen in unserer Erkenntnis überhaupt und sie gehört also notwendig zur Methodenlehre.«

      Architektur (lat. architectura) heißt die Baukunst. Sie ist in dem System der Künste insofern die unterste, als sie am meisten mit dem physischen Stoffe zu ringen hat, aber darum auch andrerseits die oberste Kunst, insofern sie die größten Schwierigkeiten überwindet und dem Künstler am meisten Ehre zu bereiten imstande ist. Aus dem Bedürfnis der Menschen entstanden, die Erde als Wohnplatz zu benutzen, dient sie in ihren Werken Lebensforderungen und Zwecken der Menschheit. Ihre Werke sind daher nicht in jeder Hinsicht freie Kunstwerke. Der Kunstzweck muß sich bei ihnen mit dem Gebrauchszweck verbinden, ja selbst oft diesem unterordnen. Sie ist auch die wirklichste aller Künste, und die ausschließliche Verwendung fester Materialien, die auf den Boden der Erde gesetzt, sicher dastehn sollen, bindet sie an die Gesetze der Mathematik und Physik, so daß die Grundformen ihrer Gestalten im allgemeinen regelmäßige, geometrische sein müssen. Sie gibt dem Raume feste Grenzen und macht ihn dadurch nutzbar, sichtbar und ästhetisch wirksam. So schafft sie Räume, aber nicht die Gestalten, die sich in dem Raume bewegen. Ihre wesentlichen Teile bedingen die konstruktive auf der rechten Proportion der Teile beruhende Schönheit eines Bauwerkes und sind sämtlich Glieder von Raumgrenzen (Fundament, Wände, Träger, Pfeiler, Säulen, Decken, Gebälk, Gewölbe usw.). Zur Zierde der konstruktiven Glieder verwendet sie entweder einen den geometrischen Formen angepaßten zum Teil aus der Technik erwachsenden oder einen freieren plastischen und malerischen Schmuck (dekorative Schönheit). In diesen Ornamenten, und auch in der Ausgestaltung ihrer Konstruktionsformen, kann sie zur nachahmenden Kunst werden. Die Darstellung von Ideen bereitet der Baukunst mehr Schwierigkeit als anderen Künsten. Sie kann direkt nur Räumliches, nicht Zeitliches und Bewegung und Ideenhaftes darstellen. Aber sie kann sich in ihren geometrischen Verhältnissen und ihren konstruktiven wie dekorativen Formen in die Zwecke, die sie darstellt, und in den Zeitgeist, den sie verkörpern will, hineindenken und hineinleben und so Werke schaffen, die für alle ähnlichen Zwecke maßgebend werden und ein Zeitalter klarer als alle anderen gleichzeitigen Kunstwerke charakterisieren. Der Tempel der Griechen, der gotische Dom, der Palast des Renaissancezeitalters führen uns am sichersten in den Geist bestimmter Völker und Zeitalter ein. Die Architektur entwickelt und verändert sich also mit der Zeit und mit der Lebensweise der Menschheit und ist keineswegs eine stumme Kunst, sondern zeugt vom Geist der Zeiten und von den Ideen der Künstler.

      Archologie (aus d. Gr. geb.) heißt Anfangs-, Grundlehre oder Fundamentalphilosophie.

      Aretalog (gr. aretalogos) heißt Tugendschwätzer. Die Aretalogen waren philosophische Spaßmacher, die gewerbsmäßig bei Gastmählern vornehmer Römer von ihren Tugenden Beschreibungen machten, denen ihr Leben widersprach. Sie bildeten bei Augustus' Tafel z. B. eine Art Hofnarren. (Suet. Aug. 74. Ad communionem sermonis – interponebat – frequentius aretalogos.)

      Aretalogie (v. gr. aretê Tugend und logos Lehre) heißt Tugendlehre; sie bildet einen Teil der Ethik (s. d.).

      Arglist ist die Handlungsweise eines Menschen, der mit böser Gesinnung und nicht mangelnder Geschicklichkeit üble Zwecke mit schlauen Mitteln zu erreichen sucht.

      Argologie (gr. argologia) heißt müßiges Geschwätz.

      Argument (lat. argumentum) heißt Beweis oder auch Beweisgrund, d. i. dasjenige