Friedrich Kirchner

Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe


Скачать книгу

heißt 5. diejenige Strömung der Renaissancephilosophie, die die reine Lehre des Aristoteles im 15. und 16. Jahrhundert zurückzugewinnen versuchten. Sie spalteten sich in Alexandristen (s. d.), zu denen vor allen Petrus Pomponatius (1462-1530) und Averroisten, zu denen Achillinus (1463-1518) und Niphus (1473-1546) gehörten. Aristoteliker in dieser Form war auch Melanchthon.

      Aristotelismus heißt 6. die Philosophie Adolf Trendelenburgs (1802-1872), der aber selbständig eine konstruktive, durch den Zweck geleitete Bewegung in das System des Aristoteles einfügte.

      Arrhepsie (gr. arrhepsia), Gleichgewicht der Seele, Gemütsruhe, heißt der Gemütszustand, der durch die Zurückhaltung im Urteil von den Skeptikern angestrebt wurde (Diog. Laert. IX, § 74: Dia tês oun Ouden horizomen phônês to tês arrhepsias pothos dêloutai. Siehe Aoristie, Aphasie, Epoché, Ataraxie).

      Art (lat. species, gr. eidos) heißt in der organischen Natur die Einheit verwandter Einzelwesen, welche ihre Eigenschaften aufeinander vererben. Sie ist den Individuen übergeordnet und von diesen nur durch die Zusammenfassung in Abart oder Rasse, Unterart und Spielart oder Varietät getrennt; dagegen ist sie der Gattung untergeordnet. So bezeichnet die Art Leo (Löwe) eine Tierart, die eine Reihe von Spielarten (Löwe vom Senegal, Berberlöwe, Löwe vom Kap der guten Hoffnung und Abessynien, persischer Löwe, Löwe von Gudscherat) in sich einschließt, während die Gattung Felis (Katze) ist. Die Art ist also von den Kategorien der Systeme des Tier- und Pflanzenreichs die wichtigste, weil sie die elementare systematische Einheit ist, die in der Regel nicht weiter auflösbar ist. Zur Bestimmung der Art werden die Merkmale verwendet, die noch bei einer großen Anzahl von Individuen konstant sind. Von den Arten der organischen Natur behaupteten John Ray († 1704), K. Linné († 1778) und G. Cuvier († 1832), sie seien die von Gott erschaffenen, voneinander abgeschlossenen und unveränderlichen Vereinigungen derjenigen Organismen, welche von denselben Eltern abstammen und einander ähnlich sind. Darwin (1809-1882) aber bestritt die Abgeschlossenheit und Unveränderlichkeit (Konstanz) der Arten und stellte die Theorie ihrer allmählichen Entstehung aus Varietäten auf: Die Arten sind konstant gewordene Varietäten. (On the origin of species by means of natural selection 1859.) Neuerdings streitet mit dem Darwinismus die Mutationstheorie. (Vgl. Darwinismus; Mutation.) Vgl. Fr. v. Wagner, Tierkunde, Leipzig 1897. – In der Logik heißt dagegen allgemein ein Begriff, der in einem höheren enthalten ist (z. B. Vogel in Tier), die Art, während der höhere Begriff die Gattung genannt wird. Das Verhältnis ist hier nur relativ. Der Artbegriff ist selbst wiederum für niedere Artbegriffe die Gattung; z. B. ist Vogel die Gattung, während Raub- und Wasservogel die Arten sind. Die Logik kennt hier keine Grenzen, da sich durch Hinzutun irgend eines Merkmals immer neue Arten bilden lassen, während in Wirklichkeit die Grenze da ist, wo Art und Individuum zusammenfallen. Logische Definitionen (s. d.) eines Begriffes bestehen in der Angabe des Gattungsbegriffes (genus proximum) und des Artunterschiedes (differentia specifica).

      Artefakt (vom. lat. ars = Kunst, facio = machen) heißt Kunstprodukt, Kunsterzeugnis, Kunstwerk. Gegensatz dazu ist Naturprodukt.

      Asëität (aseitas, mittelalt. lat.), Allgenügsamkeit, bezeichnet bei den Scholastikern die vollständige Unabhängigkeit Gottes von allen Dingen außer ihm selbst.

      Asketik (v. gr. askêtikos = arbeitsam) heißt eigentlich die Arbeitsübung, dann in abgeleiteter Bedeutung die Tugendübung. Man nennt so den Teil der Ethik, welcher von den Mitteln, tugendhaft zu werden, von der Bezähmung und Läuterung der Triebe und Begierden handelt. Im besonderen versteht man unter Asketik (oder Askese) die Lebensweise der Mönchsorden im Mittelalter, die sich bestrebten, die sinnliche Natur durch Weltflucht, Entsagung, Zucht und Kasteiung und beschauliches Leben nach Möglichkeit abzutöten, was ihnen nur unvollkommen gelingen konnte.

      asomatisch (vom gr. asômatos = unkörperlich) heißt körperlos, unkörperlich; Asómaton heißt ein körperloses Wesen, ein Geist, z. B. Gott. Für die Stoiker und Epikureer galt der obere Raum als asomatisch (Diog. Laert. VII, § 140 sagt von den Stoikern: 'Exôthen autou [= tou kosmou] einai to kenon apeiron. hoper asômaton einai ktl., X § 67, von Epikur: kath' heautou ouk esti noêsai to asômaton plên epi tou kenou). Asomatosis, Körperlosigkeit.

      Asophie (gr. asophia) heißt Mangel an Weisheit, Torheit.

      Asot (gr. asôtos) heißt Schwelger, Lüstling; Asotie heißt Schwelgerei.

      assertorisch (v. lat. assertorius = das Urteil betreffend) heißt ein Urteil seiner Modalität (s. d.) nach, welches ohne jeden Zusatz etwas als wahr oder wirklich behauptet oder leugnet, während das problematische Urteil etwas als möglich, das apodiktische Urteil etwas als notwendig hinstellt. Das bejahende assertorische Urteil hat die Form: A ist B, das problematische: A kann B sein, das apodiktische: A muß B sein. Ein Beispiel für das assertorische Urteil ist: Ellipsen sind Kegelschnitte. Kant definiert: Assertorische Urteile sind solche, da das Bejahen und Verneinen als wirklich betrachtet wird (Kr. d. v. V. S. 74).

      Assimilation (lat. von ad und similis), eigentl. Verähnlichung, heißt die Aufnahme fremder Stoffe in einen Organismus und ihre Umwandlung in seine Substanz. Die Assimilation findet nicht nur auf körperlichem, sondern auch auf geistigem Gebiete statt. Vgl. Assoziation.

      Assoziation (aus dem Lat. von associare = beigesellen) heißt eigentl. Vergesellschaftung, gesellige Verbindung. – Ideenassoziation heißt diejenige natürliche Verbindung unserer Vorstellungen, welche ohne unseren Willen entsteht und die Wirkung hat, daß die Vorstellungen einander unwillkürlich hervorrufen. Schon Platon(427-347) und Aristoteles (384-322) kennen sie, aber erst die neuere Psychologie hat sie gründlicher untersucht. Am allgemeinsten aufgefaßt, ist die Ideen-Assoziation im Wesen nicht unterschieden von dem, was man Phantasie nennt, sofern darunter das nicht durch Wille und Vernunft gelenkte Spiel unserer Vorstellungen gemeint ist. Das Phantasieren des Kindes, des Dichters und Musikers, der Witz und das Wortspiel des geistreichen Menschen, die Bilder und Gleichnisse des Redners, das Gedächtnis und die Erfindungskraft des Gelehrten – alles hängt von der Ideenassoziation ab. Trotz ihrer scheinbaren Regellosigkeit lassen sich für die in dieser Weise bestimmte Assoziation Gesetze aufstellen, nämlich 1. das Gesetz der Zeitfolge und Gleichzeitigkeit (lex successionis et simultaneitatis): Vorstellungen, welche wir hintereinander oder zugleich empfangen, assoziieren sich und rufen einander hervor: So erinnern Orte an Ereignisse, welche dort vorgefallen sind, und gleichzeitige Ereignisse aneinander; Wenn jemand zwei Personen zugleich kennen gelernt hat, fällt ihm, sobald er die eine sieht, die andere ein; 2. das Gesetz der Ähnlichkeit und des Kontrastes (lex similitudinis et oppositionis): Einander ähnliche Vorstellungen von Personen, Sachen, Gegenden, Ereignissen rufen sich gegenseitig hervor; aber auch Gegensätze, z. B. die Vorstellung von Himmel und Hölle, Engeln und Teufeln, Tugenden und Lastern u. dgl. tun dasselbe; hierzu kommen auch noch die Korrelata, wie Ursache und Wirkung, Zweck und Mittel, Ganzes und Teile, Subjekt und Objekt u. s. f. Eine fruchtbare Ideenassoziation ist die Voraussetzung alles künstlerischen und wissenschaftlichen Schaffens. – Strenger philosophisch gefaßt hat den Assoziationsbegriff die empiristische Philosophie des 18. Jahrhunderts und ihre Nachfolger. Für sie ist nach dem Vorgange von Hartley (1704 bis 1757) und David Hume (1711-1776) Assoziation die Verbindung der Vorstellungen, die sich bei passivem Bewußtseinsstande bildet, und ihre Reproduktion. (Vgl. Hume, Inquiry concerning Human Understanding, Section III und Assoziationspsychologic.) Der so gefaßte Assoziationsbegriff war aber insofern nicht haltbar, als die von dem Empirismus bei der Assoziation als Einheiten zugrunde gelegten Vorstellungen keine Einheiten sind, sondern selbst aus Verbindungen hervorgehen, und auch insofern, als eine Reproduktion im strengen Sinne, eine unveränderte Wiederhervorbringung früherer Vorstellungen nicht stattfindet. Auch berücksichtigt der empiristische Assoziationsbegriff nicht die Verbindung der Vorstellungen mit Gefühlen und Bestrebungen. – Neuere, wie Wundt (geb.