Friedrich Kirchner

Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe


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berührt in seinen frühesten Schriften die Idee eines andersartigen Raumes, als der empirische ist. Riemann (1826-1866) suchte durch die vierte Dimension die Schwerkraft, Mach mehratomige Moleküle zu erklären, Zöllner deutete dadurch das Rätsel der Symmetrie, das Hellsehen der Hypnotisierten und die spiritistischen Phänomene.

      Ding (mlat. ens) heißt alles, was sich ohne Widerspruch denken läßt. Solange es nur in Gedanken, nicht auch in Wirklichkeit existiert, ist es ein Gedankending (ens cogitabile). Wird ihm Wirklichkeit zugeschrieben, so heißt es ein reales Ding (ensreale). Das Gegenteil vom Gedankending ist das Unding (non ens), das des realen Dinges das Nichts (nihil). Ein gleichseitiges Tausendeck z.B. ist ein Gedankending, ein viereckiger Kreis ein Unding; die Sonne ist ein reales Ding, ein Messer ohne Klinge und Heft ein Nichts. Was die Phantasie erdichtet (ens imaginarium), existiert auch nicht, aber muß sich doch wenigstens denken lassen, z.B. Chimären, Feen, Gespenster, goldene Berge.

      Ding an sich heißt bei Kant (1724-1804) das den Erscheinungen zu Grunde liegende, außerhalb unseres Bewußtseins existierende Wirkliche; es ist die Idee eines übersinnlichen Grundes der Vorstellungen; es enthält nur den Grund, das Vorstellungsvermögen sinnlich zu bestimmen; aber es ist nicht selbst der Stoff der empirischen Anschauung. Es ist vielmehr für uns ein völlig unbekanntes X. Kant hält Raum und Zeit nicht für etwas Reales oder den Dingen objektiv Anhängendes, sondern nur für Formen der äußeren und inneren Anschauung. Aus dieser transscendentalen Idealität von Raum und Zeit folgert er, daß die räumlich und zeitlich bestimmten Außendinge nur Vorstellungen unserer Sinnlichkeit sind, daß überhaupt alle Objekte unserer Anschauung nichts als Erscheinungen (Phänomene) sind; der nicht in die Sinne fallende, völlig unbekannte Grund derselben ist das Ding an sich. – Diese Ansicht Kants ruft manchen Einwand hervor. So richtig es zunächst ist, an der Wahrnehmung ein subjektives und objektives Element zu unterscheiden und zu betonen, daß unseren Sinnen nicht die Dinge, wie sie sind, sondern nur die Vorstellungen von den Dingen entstammen, so mißlich ist es, an der Wahrnehmung Form und Inhalt zu trennen und jene als Raumzeitlichkeit abzusondern. Der sinnliche Stoff unserer Erkenntnis, der auf den Empfindungen beruht, ist ebensosehr nur Bewußtseinsinhalt, wie die sinnliche Form. Andrerseits genügt die Absonderung der Anschauungsformen Raum und Zeit von den Gegenständen, unserer Erkenntnis nicht, um zu ihrem Wesen zu gelangen Auch die Denkkategorien, die dann übrig bleiben, sind nur im Bewußtsein zu finden und müssen ebenso wie die Anschauungsformen von dem wirklichen Dinge außerhalb unseres Bewußtseins abgezogen werden. Dann behalten wir aber nicht, wie Kant annimmt, die Noumena (nur begrifflich gedachte Dinge, die als leere Begriffe dem Ding an sich korrespondieren), sondern schlechterdings nichts übrig. Das Reelle läßt sich nicht auf dem von Kant eingeschlagenen Wege der Scheidung von Sinnlichkeit und Verstand finden, sondern es ist das uns ohne unseren Willen in der Erfahrung durch die Empfindung Gegebene und kann immer nur in den Formen des Bewußtseins erfaßt werden. Das Ding an sich ist eben, wie Schopenhauer (1788-1860) schon bemerkte, für das Bewußtsein das Ding für mich, d.h. Objekte gibt es nur für Subjekte, und die Außenwelt wird von uns nach Maßgabe unserer Sinneswahrnehmung und in den Gesetzen unseres Verstandes erkannt. Der Begriff Ding an sich widerspricht also dem Begriff des Bewußtseins überhaupt und gehört nicht in die Erkenntnistheorie. Also hat es absolut keinen Zweck, sich außerhalb metaphysischer Hypothesen in der Erkenntnistheorie mit Aufstellung des Begriffs des Dings an sich zu plagen.

      Disamis heißt der dritte Modus der dritten Schlußfigur, in dem der Obersatz besonders, der Untersatz allgemein und der Schlußsatz wieder besonders bejaht. Er hat die Form: MiP, MaS, SiP; z.B. Einige neuhochdeutsche Deklinationen entsprechen den mittelhochdeutschen; alle neuhochdeutschen Deklinationen sind endungsarm; also sind einige endungsarme Deklinationen (bereits) im Mittelhochdeutschen vorhanden.

      disjunkt (lat von disiungere = scheiden), geschieden heißen Begriffe, die innerhalb eines anderen Begriffs einen Gegensatz bilden, z.B. Mann und Weib (Mensch), Trapez und Parallelogramm (Viereck). Disjunkte Begriffe sind also im Umfang eines höheren Begriffs gelegene koordinierte, aber gegensätzlich erfaßte Arten eines Gattungsbegriffs. Das Verhältnis der Disjunktion ist die logische Grundlage der Einteilung. In einer Reihe von koordinierten Artbegriffen müssen disjunkt aber auch diejenigen heißen, die einen Abstand voneinander haben, nicht nur diejenigen, die die äußersten Grenzen bilden. Vgl. conträr, contingent.

      Disjunktion (lat. disiunctio = Scheidung) heißt logische Entgegensetzung.

      disjunktiv (lat. disiunctivus) heißt gegensätzlich. Disjunktive Urteile sind solche, deren Prädikat oder Subjekt disjunktive Begriffe enthalten. Ihre Formel ist: A ist entweder B oder C; oder: entweder A oder B ist C. Der disjunktive Schluß ist derjenige, welcher durch eine bestimmte Aussage über das eine Trennungsglied etwas über das andere entscheidet:

      A ist entweder B oder C;

      nun ist A B; also ist A nicht C.

      nun ist A nicht B; also ist A C.

      Bekannt ist Leibniz' (1646-1716) Disjunktionsschluß: Wäre die bestehende Welt nicht die beste, so hätte Gott die beste Welt entweder nicht gekannt oder nicht schaffen können oder nicht wollen; alle drei Annahmen aber sind unhaltbar – folglich ist die bestehende Welt die beste von allen möglichen.

      Diskrepanz (lat. discrepantia) heißt Abweichung.

      diskret (lat. von discernere = absondern) heißt getrennt, abgesondert, unterschieden. Diskrete Größen sind im Gegensatz zu den kontinuierlichen solche Größen, deren Teile voneinander abgesondert sind, während bei kontinuierlichen Größen alle Teile zusammenhängen. Eine gestrichelte oder punktierte gerade Linie z.B. ist eine diskrete, eine nicht unterbrochene gerade Linie, dagegen eine kontinuierliche Größe. Die Reihe der ganzen Zahlen ist eine diskrete Größe, während die geometrischen Gebilde kontinuierliche Größen sind. Daß auch die Zahlenreihe kontinuierlich gemacht werden kann, hat Dedekind (geb. 1831) nachgewiesen. – Zu scheiden von dem aus dem Lat. stammenden Ausdruck ist der auf dem Franz, (discret) beruhende diskret. Dieser bedeutet: besonnen unterscheidend, umsichtig, taktvoll, verschwiegen. Dementsprechend bezeichnet Diskretion die angemessene Rücksicht in unserem Betragen auf Zeit und Umstände. Vgl. Stetigkeit.

      diskursiv (v. lat. discursus = das Hin- und Herlaufen, die Besprechung) heißt begrifflich. Es bildet den Gegensatz zu intuitiv, welches anschaulich heißt. Kant (1724-1804) stellt in der Kr. d. r. V. diskursiv und ästhetisch einander gegenüber. Eine diskursive Erkenntnis entsteht demnach aus Begriffen, die der Verstand verknüpft, während die intuitive (oder ästhetische) Erkenntnis auf Anschauungen beruht.

      disparat heißen diejenigen Begriffe, welche unter keinem gemeinschaftlichen höheren Gattungsbegriffe stehen, also ohne Gleichheit des Inhalts sind und einem dritten Begriff zugleich als seine Merkmale beigelegt werden können, z.B. Mut und Schönheit. Ein Mensch kann zugleich Mut und Schönheit besitzen. – Disparate Urteile sind solche, deren Subjekte disparate Begriffe sind; z.B.: Den Dachs im Loche beißt der Hund, Soldaten tut der Säbel kund. Die Zusammenstellung solcher Urteile wirkt immer komisch, wie im Leben die von disparaten Dingen.

      Disposition (lat. dispositio) heißt Gemütsstimmung, Geneigtheit, Anlage. In anderer Bedeutung heißt es logische Anordnung eines wissenschaftlichen Stoffs. Vgl. Anordnung.

      distinkt (lat. von distinguere = unterscheiden) heißt unterschieden, klar. (Vgl. clare et distincte.) Qui bene distinguit, bene docet, heißt: Wer gut unterscheidet, lehrt gut. Distinktion heißt klarmachendes Urteil, Unterscheidung.

      Divisio (lat. divisio = Teilung) heißt die Einteilung des Umfangs eines Begriffs, also die Zerlegung der Gattung in Arten. Vgl. Einteilung, Partitio, Anordnung.

      Dogmatismus