Friedrich Kirchner

Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe


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Werden begreifen lehrt. Der Grundgedanke einer allmählichen Vervollkommnung der Organismen ist wissenschaftlich überaus fruchtbar und widerspricht auch nicht dem Glauben. Die Theorie Darwins bedroht nicht, wie anfangs angenommen wurde, den Theismus. Denn die schöpferische Tätigkeit Gottes erscheint, wie schon Newton im Kampf gegen den Mechanismus angedeutet hat, ebenso groß, ja noch größer, wenn die Natur entwicklungsfähig ist, wenn also, wie es der Darwinismus später gelehrt hat, fortwährend neue Stufen der Entwicklung erscheinen, als wenn die Natur konstant wäre, also die Arten am Anfang fest ins Dasein getreten wären. Und selbst wenn die Ursache einer Erscheinung noch so weit, bis in die Elemente aller Dinge zurückgeschoben wird, so bleiben wir doch damit nur innerhalb der endlichen Erscheinungswelt stehen. Mag die Entwicklung der Individuen von innen (wie nach Wallaces Evolutionstheorie) oder von außen (wie nach Darwins Selektionstheorie) kommen, die Frage einer Weltschöpfung wird dadurch nicht berührt. Die Schöpfung gewinnt nur an Würde und Bedeutung, sagt O. Peschel (1826-1875), wenn sie die Kraft der Erneuerung und Entwicklung in sich selbst trägt. Der unbefangene Blick wird leicht erkennen, daß die Züchtungslehre die Teleologie nicht einfach abweist, sondern ihr vielmehr den Boden bereitet. Doch darf die Darwinsche Theorie nicht in das Gebiet der Wertunterschiede im Dasein übergreifen. Das Gebiet des Geistes, besonders das ethische, läßt sich nicht in bloßen Naturmechanismus auflösen. Denn die geistigen und ethischen Tatsachen sind nicht nur verschieden von den materiellen, sondern auch bedeutungsvoller als diese. Das Weltall, den Menschen mit einbegriffen, kann nicht in eine Mechanik der Atome verwandelt werden. Die Darwinsche Theorie muß sich auf das naturwissenschaftliche Gebiet beschränken und die Ethik als ein selbständiges, außerhalb ihres Forschungskreises liegendes Gebiet anerkennen. – Recht leer und unbedeutend ist übrigens die von einem Schüler Haeckels, des hervorragendsten Vertreters des Darwinismus in Deutschland, Joh. Unbehaun, versuchte rein philosophische Selektionstheorie (Jena 1896). Vgl. G. P. Weygoldt, Darwinismus, Religion, Sittlichkeit. Leyden 1878. R. Schmidt, die Darwinsche Theorie. Leipzig 1876. Vgl. Evolution, Mutation.

      Dasein (existentia) ist das Sein in der Wirklichkeit. Während das Sein zunächst nur s. a. Gesetztwerden, Gedachtsein ist, so z.B. bei allem Abstrakten, haben die realen Außendinge Dasein. Das Dasein ist kein Merkmal der Dinge, sondern absolute Position. Das Denken reicht nie dazu aus, ein Dasein nachzuweisen; vielmehr gehört dazu stets Empfindung, Wahrnehmung oder Zusammenhang mit Wahrnehmungen nach den Grundsätzen der erfahrungmäßigen Verknüpfung derselben. Ein Dasein hat nur (d.h. wirklich ist nur) »was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt«. Vgl. Kant, Kr. d. r. V. S. 218ff. und Kant, der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. Königsberg 1763.

      Datisi heißt der vierte Modus der dritten Schlußfignr mit allgemein bejahendem Obersatz, aber partikulär bejahendem Unter- und Schlußsatz. Er hat die Form: Map, MiS, SiP; z. B: Alle Zahlen, die nur durch 1 und sich selbst teilbar sind, sind Primzahlen; einige Zahlen, die nur durch 1 und sich selbst teilbar sind, enthalten 7 Einer; also sind einige Zahlen, die 7 Einer enthalten, Primzahlen.

      Dauer ist das unveränderte Dasein eines Gegenstandes im Wechsel der Zeit. Die Zeit selbst ist beständiger Fluß; ihr kommt keine Dauer zu. Nur von den Dingen in der Zeit, dem Zeitinhalt, kann Dauer ausgesagt werden. Das Bewußtsein von der Dauer eines Gegenstandes beruht auf dem Gegensatz, daß das Objekt mit seinem Empfindungs- und Gefühlsinhalte verharrt, während der Vorstellende sich ändert. Dies geschieht besonders wirksam, wenn der Wunsch des Vorstellenden dem Zustande des Objekts widerstrebt, d.h. das Nochdasein einer Vorstellung die Erwartung einer anderen Lügen straft. Unendliche Dauer heißt Ewigkeit. Alle Dauer im Fluß des Werdens der Dinge leugnete Herakleitos von Ephesos (um 600 v. Chr.), während die Eleaten umgekehrt allen Wechsel und alle Veränderung für Sinnestrug erklärten.

      Declaration (lat.) heißt s. a. Definition (s. d.).

      Decoration (franz. decoration) heißt die Ausschmückung oder Verzierung eines Gegenstandes, die ihm gegeben wird, damit er ein gefälligeres oder ein zweckentsprechenderes Aussehen erhalte. Bei räumlich gestalteten Kunstwerken besteht die Dekoration in den Zutaten, die nicht unmittelbar organisch mit ihrer Idee zusammenhängen, sondern mehr zur feineren Gestaltung der einzelnen Glieder und zur Ausfüllung des gegebenen Raumes dienen. Besonders in der Baukunst ist zu scheiden zwischen konstruktiven Teilen und dekorativen (ornamentalen) Zutaten des Bauwerks. Jene sind die unentbehrlichen Bestandteile des Ganzen, wie etwa Mauern, Säulen, Pfeiler, Architrave, Bögen, Gewölbe, diese, wie Basis, Kapital, Kanellüren der Säulen, Triglyphenschlitze, Gesimse, Metopentafeln, Friese, Wandgemälde, Giebelgruppen, Maßwerk, Wimperge, Fialen, Krabben usw., wachsen in ihren einfachsten Grundformen teilweise aus der Technik des Materials bei Gestaltung der einzelnen Teile hervor, teilweise sind sie eine vermannigfaltigende und verschönernde Zugabe. Auch können die dekorativen Zutaten der Baukunst sich in der Form den Gestalten der konstruktiven Teile anpassen und sich innerhalb des geometrischen Figurenkreises halten, oder sie können, in selbständigeren Formen sich bewegend, die besondere Bestimmung eines Gebäudes deutlicher zum Ausdruck bringen. Ein völliger Mangel an aller Dekoration ist an einem Bauwerk, soweit es Kunstzwecken dient, ebenso unerträglich wie ein Zuviel. Doch ist das Verhältnis der verschiedenen Stilarten zur Dekoration ein sehr verschiedenes.

      deductio ad absurdum, s. Apagoge.

      Deduction (lat. deductio, gr. apagôgê), eigentl. die Herabführung, die Ableitung, ist diejenige Beweis-und Darstellungsmethode, welche das Besondere aus dem Allgemeinen ableitet. Das Mittel dieser Ableitung ist der Syllogismus (s. d.). Sie ist also nur da in der Wissenschaft möglich, wo ein Allgemeines bereits gegeben ist. Da dieses aber nur durch Abstraktion und Induktion gefunden wird, so fußt die Deduktion auf den Resultaten des Abstraktions- und Induktionsprozesses. Sie stellt die Abstraktionen und Induktionen in Definitionen, Gesetzen und Hypothesen zusammen, gliedert dann durch Einteilung den wissenschaftlichen Stoff nach den Verhältnissen der Über-, Unter- und Beiordnung. Sie setzt die allgemeinen Begriffe logisch in Beziehung zueinander und zieht aus ihnen Folgerungen oder leitet aus den gewonnenen Gesetzen syllogistisch die Tatsachen und ihre Erklärung ab. Sie ist die fruchtbare Methode der Mathematik und hat auch in der Naturwissenschaft da ihren Platz, wo man bereits Erfahrungen gesammelt, Hypothesen aufgestellt und Prinzipien gewonnen hat. Für die Philosophie ist sie dagegen die fruchtbare Methode nicht. Die Philosophie ist nur durch die Induktion vorwärts gekommen, und auch in ihr kann die Deduktion erst der Induktion folgen. Deduktive Systeme wie das des Aristoteles, Fichtes, Schellings, Hegels, Schopenhauers haben sich nicht bewährt. So ist der Versuch des Aristoteles (384-322), den ganzen Kosmos aus vier Prinzipien: Form, Stoff, Ursache und Zweck, Fichtes (1762-1814) aus dem Ich, Schellings (1776-1854) aus dem Absoluten, Hegels (1770-1831) aus der Idee, Schopenhauers (1788-1866) aus dem Willen zu konstruieren, doch im Kerne mißlungen.

      Deduction, transscendentale. Der Kern der kantischen Vernunftkritik besteht darin, nachzuweisen, wie Begriffe a priori sich auf Objekte beziehen und, ohne aus der Erfahrung zu stammen, Gültigkeit von Gegenständen der Erfahrung erlangen können. Dieser Aufgabe dient in der Kr. d. r. V. von dem II. Teil der Elementarlehre (Transsc. Logik) das zweite Hauptstück der ersten Abteilung (Transsc. Analytik), das sich, S. 84-130, die transscendentale Deduction der Kategorien nennt. Kant weist darin nach, daß diejenigen Anschauungen und Begriffe a priori, welche die Erfahrung erst möglich machen, nicht subjektive Erdichtungen sind, sondern als Bedingungen aller Erkenntnis von allen Objekten Gültigkeit haben müssen. (Vgl. Raum u. Zeit, Kategorien.) Seinem Beweise fehlt aber zweierlei, erstens der Nachweis der Notwendigkeit der einzelnen Anschauungsformen und Kategorien und zweitens der Nachweis einer Notwendigkeit der Erkenntnis überhaupt. Die Unmöglichkeit, diesen doppelten Nachweis anders als empirisch und in den Einschränkungen, die der Empirismus vorschreibt, zu geben, entscheidet über das Schicksal des kantischen Apriori, das in der Form, wie Kant es selber gibt, unhaltbar sein dürfte. Ein schlechthin Notwendiges und Allgemeines ist nicht nachzuweisen. Vgl. Angeboren, a posteriori, Nativismus, Kategorien, Raum und Zeit.

      definitio hybrida heißt eine Erklärung, die zu viel