Ohne Wissen des Doktors verwandte er den Rest des Herbstes auf die Vorbereitungen zu diesem gewaltigen Unternehmen. Ein Flüßchen lief durch seinen Park, wo es im Winter einen großen Sumpf überschwemmte, der fast demjenigen glich, der sich längs des rechten Ufers der Beresina ausbreitete. Das Dorf Satout, das auf einem kleinen Hügel lag, rahmte diese Szene des Schreckens ein, wie Studzianka die Niederung der Beresina umschloß. Der Oberst nahm eine Anzahl Arbeiter an und ließ einen Kanal ziehen, der den reißenden Fluß darstellte, wo die Schätze Frankreichs untergegangen waren, Napoleon und seine Armee. Mit Hilfe seiner Erinnerung gelang es Philipp, in seinem Park das Ufer nachzubilden, wo der General Eblé seine Brücken errichtet hatte. Er pflanzte Büsche und ließ sie anzünden, um dadurch die geschwärzten und halb verbrauchten Bretter darzustellen, die auf beiden Seiten des Ufers den Nachzüglern bezeugt hatten, daß der Weg nach Frankreich ihnen versperrt war. Der Oberst ließ Holztrümmer herbeischleppen, ähnlich denen, deren sich seine Unglücksgefährten bedient hatten, um ihr Fahrzeug zu konstruieren. Er verwüstete seinen Park, um die Illusion vollkommen zu machen, auf die er seine letzte Hoffnung baute. Er beschaffte zerlumpte Uniformen und Kleider, um mehrere hundert Bauern darein zu kleiden. Er errichtete Hütten, Biwaks, Batteriestände, die er in Brand setzte. Kurz er vergaß nichts von alledem, was geeignet war, die schrecklichste aller Szenen nachzubilden, und er erreichte sein Ziel. Um die ersten Tage des Monats Dezember, als der Schnee die Erde mit einem dicken weißen Mantel bedeckt hatte, erkannte er die Beresina wieder. Dieses falsche Rußland war von einer so erschreckenden Wirklichkeit, daß auch mehrere seiner Waffengefährten die Szene ihrer ehemaligen Leiden wiedererkannten. Herr von Sucy hütete das Geheimnis dieser tragischen Darstellung, über die zu jener Zeit sich mehrere Pariser Gesellschaftskreise wie über eine Narrheit unterhielten.
Zu Beginn des Monats Januar 1820 bestieg der Oberst einen Wagen, ähnlich dem, der Herr und Frau von Vandières von Moskau nach Studzianka geführt hatte, und wandte sich nach dem Walde von Ile-Adam. Der Wagen wurde von Pferden gezogen, die fast denen glichen, die er bei Gefahr seines Lebens aus den Reihen der Russen geholt hatte. Er trug die beschmutzten und bizarren Kleider, die Waffen, die Kopfbedeckung, die er am 29. November 1812 anhatte. Er hatte sogar Bart und Haare lang wachsen lassen und sein Gesicht vernachlässigt, damit nichts an dieser scheußlichen Wirklichkeit fehlte.
»Ich habe Ihr Kommen geahnt,« rief Herr Fanjat, als er den Oberst aus dem Wagen steigen sah. »Wenn Sie wünschen, daß Ihr Projekt glückt, dann zeigen Sie sich nicht in diesem Aufzug. Heute Abend werde ich meine Nichte etwas Opium nehmen lassen. Während sie schläft, werden wir sie wie bei Studzianka anziehen und werden sie in diesen Wagen setzen. Ich folge Ihnen in einem Reisewagen.«
Etwa um zwei Uhr morgens wurde die junge Gräfin in den Wagen getragen, auf Kissen gebettet und in eine grobe Decke eingehüllt. Einige Bauern hielten Licht bei dieser einzigartigen Entführung. Plötzlich erscholl ein durchdringender Schrei in der Stille der Nacht. Philipp und der Arzt wandten sich um und erblickten Genovefa, die halbnackt aus der Kammer kam, in der sie schlief.
»Adieu, adieu! Es ist zu Ende, adieu!« rief sie, heiße Tränen weinend.
»Nun, was hast du denn, Genovefa?« sagte Herr Fanjat zu ihr.
Genovefa schüttelte den Kopf mit einer Bewegung der Verzweiflung, hob die Arme gen Himmel, blickte den Wagen an, stieß einen langen Klageton aus, gab sichtliche Zeichen eines tiefen Schreckens und kehrte schweigend ins Haus zurück.
»Das ist ein gutes Vorzeichen«, rief der Oberst. »Dieses Mädchen bedauert, keine Gefährtin mehr zu haben. Sie sieht vielleicht, daß Stephanie den Verstand wiederfinden wird.
»Gott wolle es!« sagte Herr Fanjat, der von diesem Zwischenfall tiefbewegt zu sein schien. Seitdem er sich mit dem Irrsinn beschäftigte, hatte er mehrfache Beispiele prophetischen Geistes und der Gabe des zweiten Gesichts angetroffen, von denen einige Proben von Geisteskranken gegeben worden sind, und die, nach den Erzählungen mehrerer Reisender, auch bei den wilden Völkern zu finden sind.
So wie es der Oberst berechnet hatte, durchquerte Stephanie die vermeintliche Niederung der Beresina etwa um 9 Uhr morgens; sie wurde durch einen Böllerschuß geweckt, der hundert Schritt von dem Ort entfernt abgefeuert wurde, wo die Szene stattfand. Das war das Signal. Tausend Bauern stießen ein schreckliches Geschrei aus, ähnlich dem Verzweiflungsruf, der die Russen erschreckte, als zwanzigtausend Nachzügler sich durch ihre Schuld dem Tode oder der Sklaverei ausgeliefert sahen. Bei diesem Schrei, bei diesem Kanonenschuß sprang die Gräfin aus dem Wagen, rannte mit rasender Angst auf den schneebedeckten Platz, sah die verbrannten Biwaks und das unglückselige Floß, das man in die vereiste Beresina hinabließ. Dort stand der Major Philipp und ließ seinen Säbel über der Menge wirbeln. Frau von Vandières ließ einen Schrei ertönen, der alle Herzen erstarren machte, und stellte sich vor den Oberst hin, der krampfhaft zusammenzuckte. Sie sammelte sich und blickte zunächst unbestimmt dieses fremde Bild an. Während eines Moments, so kurz wie der Blitz, gewannen ihre Augen die entblößte Klarheit der Intelligenz, die wir in dem erstaunten Auge der Vögel bewundern; dann legte sie die Hand an die Stirn mit dem lebhaften Ausdruck eines Menschen, der nachdenkt, sie erfaßte diese starke Erinnerung, dieses verflossene Erlebnis, das ausgebreitet vor ihr lag, wandte lebhaft den Kopf zu Philipp hin und erkannte ihn. Ein schreckliches Schweigen lastete auf der Menge. Der Oberst seufzte und wagte nicht zu sprechen; der Doktor weinte. Stephanies schönes Gesicht färbte sich schwach; dann, in allmählicher Steigerung, gewann sie den Glanz eines vor Frische strahlenden jungen Mädchens. Ihr Gesicht bekam eine schöne Purpurfarbe. Leben und Glück, angefacht durch eine blitzende Einsicht, nahmen immer mehr zu gleich einer Feuersbrunst. Ein konvulsives Zittern breitete sich von den Füßen bis zum Herzen aus. Dann vereinigten sich diese Erscheinungen, die einen Moment aufleuchteten, gleichsam zu einem gemeinsamen Band, als die Augen Stephanies einen himmlischen Funken, eine bewegte Flamme ausstrahlten. Sie lebte, sie dachte! Sie schauderte, vor Schrecken vielleicht! Gott selbst löste zum zweitenmal die erstorbene Zunge und warf von neuem sein Feuer in diese erloschene Seele. Der menschliche Wille erwuchs mit seinen elektrischen Strömen und belebte diesen Körper, von dem er so lange abwesend gewesen war.
»Stephanie!« schrie der Oberst.
»Oh! das ist Philipp,« sagte die arme Gräfin.
Sie stürzte sich in die zitternden Arme, die der Oberst ihr entgegenstreckte, und die Umarmung der beiden