Die Tochter der Firma Adolphus aus Mannheim, die sich nunmehr auf vierundzwanzigtausend Livres Rente beschränkt sah, verlor sich in Betrachtungen, die ihr den Kopf verwirrten. ›Wie?‹ sagte sie zu Malvina. ›Wie? Ich habe für uns stets sechstausend Franken allein bei der Schneiderin ausgegeben! Ja, wo nahm denn dein Vater das Geld dazu her? Was haben wir von vierundzwanzigtausend Franken? Das Elend! Ach, wenn mein Vater mich so sähe, er würde sterben, wenn er nicht schon tot wäre! Arme Wilhelmine!‹ Und sie begann zu weinen. Malvina, die nicht wußte, wie sie die Mutter trösten sollte, stellte ihr vor, daß sie noch jung und hübsch sei, Rosa kleide sie noch immer gut, sie werde in die Oper und ins Bouffons gehen, denn die Loge Frau von Nucingens stehe ihr doch zur Verfügung. Sie lullte die Mutter in einen Traum von Festen, Musik und Tanz, schönen Toiletten und rauschenden Erfolgen – in einen Traum, der in einem himmelblauen Seidenbett eines vornehm eingerichteten Zimmers emporblühte, das jenem benachbart war, in dem zwei Nächte früher Herr Jean Baptiste Baron d’Aldrigger sein Leben ausgehaucht. Hier in kurzem Umriß seine Geschichte. Bei seinen Lebzeiten hatte der ehrenwerte Elsässer, Bankier in Straßburg, ein Vermögen von etwa drei Millionen zusammengetragen. Im Jahre 1800, als er sechsunddreißig Jahre alt war und ein nettes Vermögen besaß, das er während der Revolution erworben, heiratete er aus Strebsamkeit und Neigung die Erbin der Firma Adolphus in Mannheim. Das junge Mädchen wurde von der ganzen Familie vergöttert und heimste natürlich im Laufe von zehn Jahren das gesamte Vermögen ein. D’Aldriggers Vermögen verdoppelte sich dadurch, was zur Folge hatte, daß er von Seiner Majestät dem Kaiser und König zum Baron ernannt wurde; aber leider faßte er für den großen Mann, dem er den Adel verdankte, eine Leidenschaft. So richtete er sich von 1814 bis 1815 zugrunde, weil er die Sonne von Austerlitz ernst genommen hatte. Der ehrliche Elsässer stellte seine Zahlungen nicht ein, suchte nicht seine Gläubiger mit Papieren abzufinden, die er für schlecht hielt; er bezahlte alles sofort und zog sich von der Bank zurück, mit welcher Handlungsweise er sich den Namen, den Nucingen, sein früherer erster Kommis, ihm beigelegt, redlich verdiente: ›ein Ehrenmann, aber dumm!‹
Als alle Zahlungen gemacht, blieben ihm noch fünfhunderttausend Franken und gewisse Forderungen an das Kaiserreich, das nicht mehr bestand. ›Das gommt davon, daß man sich ßu sehr auf Nappolion verlassen hat,‹ sagte er, als er den Erfolg seiner Liquidation gewahrte. Wenn man in einer Stadt der Erste gewesen, so bleibt man nach seinem Fall nicht gern dort … Der Bankier aus dem Elsaß machte es wie alle bankrotten Provinzler: er kam nach Paris und trug hier mutig seine blau-weiß-roten Hosenträger mit den eingestickten kaiserlichen Adlern; er schloß sich den bonapartistischen Kreisen an. Sein Vermögen übergab er dem Baron Nucingen, der ihm für alles acht Prozent gab und seine Forderungen an das Kaiserreich für sechzig Prozent übernahm, was d’Aldrigger veranlaßte, Nucingen mit den Worten die Hand zu drücken: ›Ich wußte ja, daß ich in dir das Herz aines Elsässers finden wirde!‹ Nucingen ließ sich von unserm Freund des Lupeaulx bis auf Heller und Pfennig ausbezahlen. Trotzdem man ihn also gehörig gerupft hatte, besaß der Elsässer ein gewerbliches Einkommen von vierundvierzigtausend Franken. Wie alle Leute, die plötzlich einer langgewohnten und Geistesgegenwart erfordernden Tätigkeit entsagen müssen, sich irgendeinem Spleen hingeben, so auch er. Der Bankier machte es sich zur Aufgabe, sich für seine Frau aufzuopfern, das edle Herz! Ihr Vermögen war dahin, und sie hatte diese Tatsache mit der Sorglosigkeit eines jungen Mädchens, das von Geldangelegenheiten nicht das geringste versteht, hingenommen. Die Baronin d’Aldrigger genoß also nach wie vor die Freuden, an die sie gewöhnt war – und jetzt sogar nicht mehr in Straßburg, sondern in Paris. Das Haus Nucingen stand schon damals, wie noch heute, an der Spitze der Geldaristokratie, und der ›geriebene Baron‹ machte es sich zur Ehre, den ›ehrlichen Baron‹ gut aufzunehmen. Diese schöne Tugend stand dem Hause Nucingen gut. Jeder Winter verminderte das Kapital d’Aldriggers, aber er wagte keinen Vorwurf gegen die Perle der Adolphus in Mannheim: seine Zärtlichkeit war die erfinderischste und unangebrachteste von der Welt. Ein braver Mann, aber erzdumm! Als er starb, fragte er sich: ›Was wird aus ihnen werden ohne mich?‹ Und als er sich einmal mit Wirth, seinem alten Kammerdiener, allein sah, legte er ihm zwischen zwei Hustenanfällen sein Weib und seine Kinder ans Herz, als ob dieser gebrechliche Alte das einzige vernünftige Wesen im ganzen Hause sei! Drei Jahre später, 1826, war Isaure zwanzig Jahre und Malvina unverheiratet. Malvina hatte das gesellschaftliche Treiben durchschaut, es für oberflächlich und berechnend erkannt. Gleich fast allen wohlerzogenen jungen Mädchen wußte Malvina nichts vom praktischen Leben, von der Macht des Geldes, der Schwierigkeit, solches zu erwerben, vom Preis der Dinge. Jede Lehre, die sie in diesen sechs Jahren ziehen mußte, war ihr wie eine Beleidigung erschienen. Die vierhunderttausend Franken, die der selige d’Aldrigger noch beim Bankhaus Nucingen stehen hatte, wurden als Guthaben der Baronin geführt, denn der Nachlaß ihres Gatten schuldete ihr zwölfhunderttausend Franken, und in Augenblicken der Bedrängnis tat die Sennerin einen Griff in diese Kasse, als sei sie unerschöpflich. Zur Zeit, als unser Tauber sich seiner Täubin näherte, hatte Nucingen, der den Charakter seines ehemaligen Chefs kannte, Malvina über die finanzielle Lage der Witwe aufgeklärt: es lagen nur noch dreihunderttausend Franken bei ihm, so daß die Rente von vierundzwanzigtausend Franken auf achtzehntausend heruntergesetzt werden mußte. Wirth hatte drei Jahre lang die Situation gehalten! Nach der vertraulichen Mitteilung des Bankiers wurden Pferde und Wagen abgeschafft und der Kutscher entlassen; das tat Malvina hinter dem Rücken der Mutter. Die Einrichtung des Hauses, die zehn Jahre alt war, konnte nun nicht durch neues Mobiliar ersetzt werden, aber alles war gleichzeitig alt und fadenscheinig geworden; für die, die eine gewisse Harmonie lieben, war es allerdings nur halb so schlimm. Die wohlkonservierte Baronin glich nun einer kalten und welken Rose, die inmitten des November als einzige am Busch hängt. Ich, der ich hier zu euch rede, habe mit angesehen, wie diese üppige Blüte allmählich, ganz allmählich verblaßte. Entsetzlich, mein Ehrenwort! Das war der letzte Kummer, den ich hatte. Später sagte ich mir: ›Es ist dumm, an andern so viel Interesse zu nehmen!‹ Als ich noch Beamter war, nahm ich Anteil an allen Häusern, in denen ich speiste, ich verteidigte sie vor übler Nachrede, ich spottete nicht über sie, ich … Oh, ich war ein Kind! – Als ihre Tochter ihr die Lage der Dinge mitgeteilt, rief die ehemalige Perle entsetzt: ›Meine armen Kinder! Wer wird mir nun meine Toiletten nähen? Ich werde also keine neuen Hüte mehr tragen, keine Besuche empfangen, keine erwidern!‹ – Woran, meint ihr, erkennt man bei einem Mann