war.«
»Man hat ihn ausgenutzt, aufgesogen! Die Liebe ist der einzige Weg, auf dem die Dummen zu einer gewissen Größe gelangen,« erwiderte Blondet. »Blondet, Blondet, warum nur sind wir so arm?« rief Bixiou. »Und warum ist Finot so reich?« entgegnete Blondet, »Ich will es dir sagen, mein Sohn, wir verstehen uns! Halt, Finot, du schenkst mir ja ein, als hätte ich deinen Klee gelobt. Weißt du nicht, daß man gegen Ende eines Diners am Wein nur nippen soll? … Also weiter. Du hast es gesagt: der ›aufgesogene‹ Godefroid machte weitgehende Bekanntschaft mit der großen Malvina, der leichtsinnigen Baronin und der kleinen Tänzerin. Er versank in kleinlichste Abhängigkeit und Dienstbarkeit. Diese leichenhaften Reste einstigen Wohlstandes schreckten ihn nicht. Bewahre! Er gewöhnte sich schließlich an alle die Fetzen und Lumpen. Nie sollte die Möbelgarnitur aus grüner chinesischer Seide, die den Salon zierte, diesem Bewerber alt und verbraucht erscheinen. Die Vorhänge, das Teetischchen, die chinesischen Vasen auf dem Kamin, der Rokoko-Kronleuchter, der fadenscheinige Teppich, das Piano, das blumengezierte Teeservice, die Servietten mit spanischen Fransen und spanischen Löchern, der persische Salon, der dem blauen Schlafgemach der Baronin benachbart war, alles schien ihm geheiligt. Nur dumme Frauen, deren strahlende Schönheit Geist, Herz und Seele in Schatten stellt, können solche Leidenschaften entfachen; eine geistvolle Frau hat keine derartigen Erfolge, man muß klein und dumm sein, um sich eines Mannes zu bemächtigen. Beaudenord hat es mir selbst gesagt, daß er dem alten würdigen Kammerdiener Wirth zugetan war. Der alte Narr hatte vor seinem künftigen Herrn eine Hochachtung, wie der gläubige Katholik vor der Eucharistie. Der biedere Wirth war ein deutscher Michel, so ein Biertrinker, der seine Durchtriebenheit zu verbergen weiß, wie ein mittelalterlicher Kardinal seine Faust im Ärmel versteckte. Als Wirth sah, daß hier ein Gatte für Isaure zu fangen sei, umschmeichelte er Godefroid mit dem ganzen Aufwand seiner elsässischen Biederkeit, dem wirksamsten aller Klebstoffe. Frau d’Aldrigger benahm sich höchst ›unpassend‹, sie sah die Liebe als etwas ganz Natürliches an. Wenn Isaure und Malvina zusammen die Tuilerien oder die Champs Elysées besuchten, wo sie mit jungen Männern ihres Kreises zusammentrafen, so sagte die Mutter: ›Unterhaltet euch gut, liebe Kinder!‹ Ihre Freunde, die einzigen, die über die beiden Schwestern hätten übel reden können, verteidigten sie; denn die unbeschränkte Freiheit, die jeder im Salon d’Aldrigger genoß, machte diesen zu einem unvergleichlich angenehmen Treffpunkt. Selbst für Millionen hätte man in ganz Paris nur schwer dergleichen Abendgesellschaften zu sehen bekommen – eine Gesellschaft, in der man über alles geistvoll zu plaudern wußte, in der die modische Kleidung nicht Vorschrift war und ein jeder sich behaglich fühlte. Die beiden Schwestern korrespondierten mit wem es ihnen gefiel, und empfingen und lasen in Gegenwart der Mutter ihre Briefe, ohne daß die Baronin jemals auf den Gedanken gekommen wäre, etwas davon wissen zu wollen. Die prächtige Mutter schenkte den Töchtern alle Wohltaten, die ihr Egoismus für sich selbst verlangte; denn der Egoist, der unbehelligt sein will, behelligt auch die andern nicht und ist keiner von denen, der das Leben seiner Freunde mit den Hecken guten Rates und dem Dornbusch der Ermahnungen umgibt …«
»Du sprichst mir zu Herzen,« sagte Blondet; »aber, mein Lieber, du erzählst nicht, du schwatzest.«
»Blondet, wärest du nicht schon betrunken, so würde ich mich über dich ärgern! Von uns vieren ist er der einzige wirkliche Literat! Um seinetwillen tue ich euch die Ehre an, euch gewissermaßen als Feinschmecker zu behandeln; ich serviere euch meine Geschichte wie kleine zarte Kuchen, und er sitzt und kritisiert! Meine Freunde, ein einfaches Aneinanderreihen von Tatsachen ist entschieden ein Zeichen geistiger Sterilität. Die feine Komödie ›Der Misanthrop‹ beweist, daß die wahre Kunst darin besteht, auf einer Nadelspitze einen Palast aufzubauen. Ich liebe es, meinem Stoff Größe zu verleihen, ihn umzuformen; ich mache es wie die Feen, die aus einer Sandwüste in zehn Sekunden ein Interlaken erstehen lassen – so schnell also, wie ich hier dies Glas leere! Wollt ihr, daß mein Bericht wie eine Kanonenkugel daherschießt, wollt ihr einen militärischen Rapport? Wir plaudern und lachen, und dieser nüchterne Büchersammler verlangt in seiner Trunkenheit, daß ich so albern daherreden soll wie ein Buch.« (Er tat, als weine er.) »Weinen wir, Candide, und so lebe denn die ›Kritik der reinen Vernunft‹!«
»Also erzähle nur weiter,« sagte Finot.
»Ich wollte euch klarmachen, worin das Glück eines Mannes besteht, der nicht Aktieninhaber ist (eine Schmeichelei für Couture!). Also wißt ihr nun, zu welchem Preise sich Godefroid die köstlichste Glückseligkeit verschaffte, die ein junger Mann sich träumen kann? … Er studierte Isaure, um sicher zu gehen, verstanden zu werden! … Dinge, die einander verstehen sollen, müssen einander gleichen. Nun, sie haben nichts Gemeinsames als das Nichts und das Unendliche; die Dummheit ist das Nichts, der Verstand ist das Unendliche. Die beiden Liebenden schrieben einander die albernsten Briefe von der Welt, sie sandten sich gegenseitig auf duftenden rosa Blättchen Worte wie: ›Engel! Äolsharfe! Wenn ich Dich habe, bin ich vollkommen! Auch ein Mann hat ein fühlendes Herz in der Brust! Schwaches Weib! Ich Armer!‹ Alle die unsinnigen Worte eines Liebespaares von heute. Godefroid blieb in keiner Gesellschaft länger als zehn Minuten, er sprach mit den Damen höchst anspruchslose Dinge, sie fanden ihn also sehr geistvoll. Er war einer von denen, die gerade so viel Geist haben, als man ihnen unterschiebt. Urteilt selbst, wie sehr er in Anspruch genommen war. Joby und seine Pferde wurden nun in seinem Dasein nebensächliche Dinge. Er war nur dann glücklich, wenn er, in seinen bequemen Lehnstuhl vergraben, zur Seite des Kamins aus grünem Marmor, der Baronin gegenübersaß, Isaure anschauen und behaglich plaudernd seinen Tee schlürfen konnte. Es war immer ein kleiner Freundeskreis dort in der Rue Joubert beisammen, man kam zwischen elf und Mitternacht und konnte ohne Gefahr ein Spielchen machen; ich habe dort immer gewonnen! Wenn Isaure ihren hübschen kleinen Fuß im schwarzen Seidenschuh kokett zeigte und Godefroid ihn lange betrachtet hatte, so blieb er als der Letzte da und sagte zu Isaure: ›Gib mir deinen Schuh …‹ Isaure hob den Fuß, stellte ihn auf einen Stuhl, zog den Schuh aus und gab ihn ihm mit einem Blick, einem Blick … nun, ihr versteht! Godefroid entdeckte an Malvina ein großes Geheimnis. Wenn du Tillet an die Tür klopfte, so flüsterte das Rot, das in Malvinas Wangen stieg: ›Ferdinand!‹ Wenn das arme Mädchen den prankenbewehrten Tiger ansah, so leuchteten ihre Augen auf wie ein Kohlenbecken, über das ein Wind hinfährt; sie empfand eine unendliche Beseligung, wenn Ferdinand sie beiseiteführte, um mit ihr allein zu