Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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ge­währ­te die be­lei­dig­te Lie­be dem Stolz die Ober­hand. Ru­hig und kühl nahm un­ser Freund Fer­di­nand die­se zärt­li­che Hin­ga­be an, sog sie ein mit dem stil­len Ent­zücken, mit dem der Ti­ger das Blut leckt, das ihm an der Schnau­ze klebt; er kam und hol­te sich die Be­wei­se oft ge­nug – es ver­gin­gen kaum zwei Tage, ohne daß er sich in der Rue Jou­bert ge­zeigt hät­te. Der Bur­sche be­saß da­mals ge­gen acht­zehn­hun­dert­tau­send Fran­ken, die Ver­mö­gens­fra­ge dürf­te also bei ihm kei­ne Rol­le ge­spielt ha­ben; aber er wi­der­stand nicht nur Mal­vi­na sel­ber, son­dern auch den Baro­nen von Nu­cin­gen und von Ras­ti­gnac, die ihn wohl täg­lich fünf­und­sieb­zig Mei­len durch das La­by­rinth ih­rer Net­ze jag­ten, die sie aus­ge­legt, um ihn ein­zu­fan­gen. Go­de­fro­id konn­te sich nicht ent­hal­ten, sei­ner zu­künf­ti­gen Schwä­ge­rin Vor­hal­tun­gen zu ma­chen, in welch lä­cher­li­cher Lage sie sich da be­fin­de – zwi­schen dem Ban­kier und dem An­walt. ›Sie wol­len mir we­gen Fer­di­nand eine Pre­digt hal­ten,‹ sag­te sie in schö­ner Of­fen­heit, ›möch­ten das Ge­heim­nis ken­nen ler­nen, das zwi­schen uns be­steht? Lie­ber Go­de­fro­id, kom­men Sie nie wie­der dar­auf zu­rück! Die Ge­burt Fer­di­n­ands, sei­ne Ah­nen, sein Ver­mö­gen schlie­ßen es aus, daß … Neh­men Sie also einen Aus­nah­me­fall an!‹ Ei­ni­ge Tage spä­ter aber nahm Mal­vi­na Beau­den­ord bei­sei­te und sag­te zu ihm: ›Ich hal­te Des­ro­ches für kei­nen an­stän­di­gen Men­schen‹ (wie scharf ist doch der In­stinkt der Lie­be!), ›er be­wirbt sich um mich und macht da­bei der Toch­ter ei­nes Dro­gis­ten den Hof. Ich wüß­te gern, ob ich ge­wis­ser­ma­ßen sein Not­na­gel bin, ob die Ehe für ihn eine Geldan­ge­le­gen­heit ist.‹ Trotz sei­ner Ge­rie­ben­heit konn­te Des­ro­ches du Til­let nicht durch­schau­en, und er fürch­te­te, die­ser wer­de Mal­vi­na hei­ra­ten. So hat­te der gute Jun­ge sich einen Rück­zug of­fen ge­hal­ten; sei­ne Lage war un­er­träg­lich, er brach­te kaum die Zin­sen sei­ner Schuld auf. Die Wei­ber ver­ste­hen nichts von die­sen Din­gen. Das Herz ist für sie im­mer Mil­lio­när!«

      »Da aber we­der Des­ro­ches noch du Til­let Mal­vi­na ge­hei­ra­tet ha­ben, so bist du uns die Er­klä­rung für Fer­di­n­ands Ge­heim­nis schul­dig,« sag­te Fi­not. »Also das Ge­heim­nis!« er­wi­der­te Bi­xiou. »All­ge­mei­ne Re­gel: ein jun­ges Mäd­chen, das ein ein­zi­ges Mal ei­nem Man­ne sei­nen Schuh ge­ge­ben, wird, und wenn sie ihn auch für die Fol­ge zehn Jah­re lang ver­wei­ger­te, nie­mals von dem ge­hei­ra­tet, der …«

      »Dumm­heit!« fiel ihm Blon­det ins Wort, »man liebt ge­ra­de­so, weil man schon ge­liebt hat. Das gan­ze Ge­heim­nis ist so! All­ge­mei­ne Re­gel: Hei­ra­tet nicht als Un­ter­of­fi­zier, wenn ihr Ge­le­gen­heit habt, Her­zog von Dan­zig und Mar­schall von Frank­reich zu wer­den! Seht doch, wel­che Ver­bin­dung du Til­let ein­ge­gan­gen ist! Er hat eine der Töch­ter des Gra­fen von Gran­ville ge­hei­ra­tet, und die Gran­ville sind eine der äl­tes­ten Fa­mi­li­en in der fran­zö­si­schen Be­am­ten­welt,«

      »Des­ro­ches’ Mut­ter hat­te eine Freun­din,« fuhr Bi­xiou fort, »die Frau ei­nes Dro­gis­ten, der sich mit ei­nem fet­ten Ver­mö­gen in den Ru­he­stand be­ge­ben hat­te. Die­se Dro­gis­ten ha­ben recht ab­ge­schmack­te Ide­en: um sei­ner Toch­ter eine gute Er­zie­hung zu ge­ben, hat­te er sie in ein Pen­sio­nat ge­tan! Be­sag­ter Ma­ti­fat ge­dach­te sei­ne Toch­ter gut zu ver­hei­ra­ten, und zwar mit Hil­fe von zwei­hun­dert­tau­send Fran­ken in gu­tem Gel­de, das nicht nach den vä­ter­li­chen Spe­ze­rei­en duf­te­te.«

      »Der Ma­ti­fat von Flo­ri­ne?« frag­te Blon­det. »Nun ja, von Lous­teau, un­ser Ma­ti­fat! Die Ma­ti­fat, die jetzt für uns ver­lo­ren sind, hat­ten sich in der Rue du Cher­che-Midi nie­der­ge­las­sen, in dem der Rue des Lom­bards, wo sie ihr Ver­mö­gen er­wor­ben, ent­ge­gen­ge­setz­ten Stadt­teil. Ich habe die Ma­ti­fat oft be­sucht! Wäh­rend mei­nes mi­nis­te­ri­el­len Ga­lee­ren­diens­tes, wo ich acht Stun­den am Tag mit Tröp­fen von zwei­und­zwan­zig Ka­rat zu­sam­men­ge­pfercht saß, habe ich Ori­gi­na­le ge­trof­fen, die mir die Über­zeu­gung bei­brach­ten, wie nütz­lich die­ser und je­ner sei­nem Mit­menschen wer­den kann. Mut­ter Des­ro­ches hat­te die­se Ehe für ih­ren Sohn von lan­ger Hand vor­be­rei­tet, un­ge­ach­tet ei­nes be­denk­li­chen Hin­der­nis­ses in Ge­stalt ei­nes ge­wis­sen Co­chin, Sohn des stil­len Teil­ha­bers der Ma­ti­fat und Be­am­ter im Finanz­mi­nis­te­ri­um. In den Au­gen von Herrn und Frau Ma­ti­fat schi­en der Ad­vo­ka­ten­be­ruf ›für das Glück der Toch­ter ge­wis­se Ga­ran­ti­en zu bie­ten‹, so sag­ten sie wört­lich. Des­ro­ches hat­te sich für die Plä­ne sei­ner Mut­ter her­ge­ge­ben, well er einen Not­na­gel brauch­te. Er um­kreis­te also die Dro­gis­ten­fa­mi­lie aus der Rue du Cher­che-Midi. Um euch eine an­de­re Art von Glück be­greif­lich zu ma­chen, müß­te man euch die­se bei­den al­ten Han­dels­leu­te zeich­nen, wie sie da be­se­ligt ih­res klei­nen Gar­tens pfleg­ten, eine hüb­sche Par­terre­woh­nung in­ne­hat­ten und sich an ei­nem Spring­brun­nen er­götz­ten, des­sen äh­ren­dün­ner Was­ser­strahl be­stän­dig auf und ab stieg in­mit­ten ei­nes Kalk­stein­be­ckens von sechs Fuß Durch­mes­ser, wie sie früh­zei­tig auf­stan­den, um zu se­hen, ob die Blu­men im Gar­ten sproß­ten, ar­beits­los und rast­los sich an- und um­klei­de­ten, sich im Thea­ter lang­weil­ten und im­mer zwi­schen Pa­ris und Luzar­ches hin und her pen­del­ten; denn hier be­sa­ßen sie ein Land­haus, in dem auch ich sie be­sucht habe. Hör zu, Blon­det! Ei­nes Ta­ges woll­ten sie mich auf­zie­hen, ich soll­te ih­nen was er­zäh­len. Da tisch­te ich ih­nen denn einen Rat­ten­kö­nig von Aben­teu­ern auf, von abends neun Uhr bis Mit­ter­nacht! Ich war ge­ra­de bei der Ein­füh­rung mei­ner neun­zehn­ten Per­son (die Feuil­le­ton-Ro­man­schrei­ber könn­ten von mir ler­nen!), als Va­ter Ma­ti­fat, der sich als Haus­herr ver­pflich­tet ge­fühlt, Hal­tung zu be­wah­ren, gleich den an­dern in Schnar­chen ver­fiel. Am an­dern Tag ha­ben sie mich alle zu der hüb­schen Schluß­poin­te mei­ner Ge­schich­te be­glück­wünscht. Un­se­re Dro­gis­ten hat­ten zum Ver­kehr Herrn und Frau Co­chin, Adolph Co­chin, Frau Des­ro­ches und einen ge­wis­sen Po­pi­not, Dro­gis­ten­lehr­ling, der ih­nen die Neu­ig­kei­ten aus der Rue des Lom­bards brach­te – üb­ri­gens ein Be­kann­ter von dir, Fi­not! – Frau Ma­ti­fat, die für Kunst et­was üb­rig hat­te, kauf­te Li­tho­gra­phien, far­bi­ge Stein­dru­cke, ko­lo­rier­te Zeich­nun­gen, al­les der­ar­ti­ge, was bil­lig zu ha­ben war. Herr Ma­ti­fat un­ter­hielt sich da­mit, alle neu­en Un­ter­neh­mun­gen zu prü­fen und zu ver­fol­gen und ein we­nig zu spe­ku­lie­ren, um das Blut et­was in Be­we­gung zu brin­gen. Mit ei­nem Wort kann ich euch mei­nen Ma­ti­fat vor Au­gen stel­len. Der Gute wünsch­te sei­nen Nich­ten auf fol­gen­de Wei­se gute Nacht: ›Geht schla­fen, mei­ne Nich­ten!‹ Er sag­te, er fürch­te sie zu be­lei­di­gen, falls er sie ›Sie‹ nen­ne. Ihre Toch­ter war ein un­ge­bil­de­tes jun­ges Mäd­chen, die aus­sah wie eine bes­se­re Kam­mer­zo­fe; sie konn­te schlecht und recht eine So­na­te her­un­ter­spie­len, hat­te eine nied­li­che Hand­schrift, be­herrsch­te ihre Mut­ter­spra­che und auch die Or­tho­gra­phie, kurz­um, sie hat­te eine echt bür­ger­li­che Er­zie­hung ge­nos­sen. Sie war vol­ler Un­ge­duld, sich zu ver­hei­ra­ten, um das Va­ter­haus ver­las­sen zu kön­nen, in dem sie sich lang­weil­te wie ein Ma­ri­ne­of­fi­zier auf der Nacht­wa­che; ihre Wa­che aber dau­er­te den gan­zen Tag. Des­ro­ches oder Co­chin Sohn, ein No­tar oder ein Gar­de­of­fi­zier, ja selbst ein falscher Lord – je­der wäre ihr als Gat­te recht ge­we­sen. Da sie er­sicht­lich nichts vom