Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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Fran­ken an­statt vier­zig Sous, denn die in­dus­tri­el­len Un­ter­neh­mun­gen, die Kom­man­dit­ge­sell­schaf­ten, sind nun die Lot­te­rie, das Spiel, das zwar nicht am grü­nen Tisch vor sich geht, aber den­noch ein un­sicht­ba­res Glücks­rad schwingt, das durch be­rech­ne­tes Hin­schlep­pen in Be­we­gung ge­hal­ten wird. Die Spiel­sä­le sind ge­schlos­sen, die Lot­te­rie be­steht nicht mehr; da ru­fen denn die Dumm­köp­fe, Frank­reich sei mo­ra­li­scher ge­wor­den, als sei­en die Trümp­fe aus der Welt ge­schafft! Man spielt im­mer, nur daß der Ge­winn nun nicht mehr dem Staat ge­hört, der eine gern ge­ge­be­ne Ab­ga­be durch eine un­gern ge­ge­be­ne er­setzt, ohne doch den Selbst­mord zu ver­mei­den; denn stirbt jetzt auch nicht der Spie­ler, so doch sein Op­fer! Ich rede nicht vom Ka­pi­tal, das nach dem Aus­lan­de geht und für Frank­reich ver­lo­ren ist, noch von den Frank­fur­ter Lot­te­ri­en, auf de­ren Ein­füh­rung der Staat die To­dess­tra­fe ge­setzt hat­te. Da habt ihr den Sinn der blö­den Phil­an­thro­pie der Ge­setz­ge­ber. Der Ansporn, der so den Spar­kas­sen zu­teil wird, ist eine große po­li­ti­sche Dumm­heit. Ge­setzt, es er­eig­ne­te sich im Gang der Ge­schäf­te ir­gend­ei­ne Stö­rung, so hät­te die Re­gie­rung den Sturm nach dem Gel­de ge­schaf­fen, wie sie zur Zeit der Re­vo­lu­ti­on den Sturm nach dem Brot ge­zei­tigt hat. So viel Kas­sen, so viel Sturm­lauf! In ir­gend­ei­nem Win­kel pflan­zen drei Gas­sen­bu­ben eine Fah­ne auf – und schon ist eine Re­vo­lu­ti­on da. Aber die­se Ge­fahr, so groß sie auch sein mag, scheint mir we­ni­ger zu fürch­ten, als die De­mo­ra­li­sie­rung des Vol­kes. Eine Spar­kas­se ist eine Impf­an­stalt, die alle von der Ge­winn­sucht er­zeug­ten Las­ter Leu­ten ein­impft, die we­der durch Er­zie­hung noch durch Ver­nunft von ih­ren un­be­wußt ver­bre­che­ri­schen Be­rech­nun­gen zu­rück­ge­hal­ten wer­den. Das sind die Wir­kun­gen der Phil­an­thro­pie. Ein großer Po­li­ti­ker muß in sei­ner Art ein Schur­ke sein, an­dern­falls wird das Ge­mein­we­sen schlecht ge­lei­tet. Ein eh­ren­haf­ter Po­li­ti­ker wäre ei­nem Lot­sen ver­gleich­bar, der, die Hand am Steu­er­rad, ei­ner Dame die Cour schnei­det: das Schiff gin­ge dar­an zu­grun­de! Ist nicht ein Mi­nis­ter­prä­si­dent, der hun­dert Mil­lio­nen bei­sei­te­bringt und Frank­reich groß und glück­lich macht, ei­nem auf das Staats­ge­halt an­ge­wie­se­nen Mi­nis­ter, der sein Va­ter­land zu­grun­de rich­tet, vor­zu­zie­hen? Könn­te euch wirk­lich die Wahl schwe­rer fal­len zwi­schen ei­nem Ri­che­lieu, Ma­za­rin, Po­tem­kin, von de­nen je­der sich zu sei­ner Zeit mit drei­hun­dert Mil­lio­nen zu be­rei­chern wuß­te, und dem tu­gend­sa­men Ro­bert Lin­det, der we­der aus den As­si­gna­ten noch aus den Na­tio­nal­gü­tern Nut­zen zu zie­hen wuß­te? – Er­zäh­le wei­ter, Bi­xiou!«

      »Ich wer­de euch die Art des Un­ter­neh­mens, das Nu­cin­gens Ge­nie er­fun­den, nicht nä­her be­schrei­ben,« ent­geg­ne­te Bi­xiou; »es wäre um so un­an­ge­brach­ter, als es noch heu­te be­steht; sei­ne Ak­ti­en no­tie­ren an der Bör­se. Die Be­rech­nun­gen wa­ren so si­cher, das gan­ze Un­ter­neh­men so le­bens­kräf­tig, daß die Ak­ti­en, die mit dem Nenn­wert von tau­send Fran­ken aus­ge­ge­ben, durch kö­nig­li­che Ver­ord­nung ein­ge­setzt, auf drei­hun­dert Fran­ken her­ab­ge­sun­ken wa­ren, wie­der auf sie­ben­hun­dert hin­auf­stie­gen, und nach­dem sie die Stür­me der Jah­re 1827, 1830 und 1832 über­stan­den, bis pari ka­men. Die fi­nan­zi­el­le Kri­se von 1827 ließ sie im Wert sin­ken, die Ju­li­re­vo­lu­ti­on drück­te sie ganz nie­der, aber die Sa­che hat­te Le­bens­kraft (Nu­cin­gen könn­te gar nicht auf eine schlech­te Idee kom­men). Kurz, da meh­re­re ers­te Bank­häu­ser sich dar­an be­tei­ligt ha­ben, wäre es un­par­la­men­ta­risch, auf wei­te­re Ein­zel­hei­ten ein­zu­ge­hen. Der Nenn­wert des Ka­pi­tals war zehn Mil­lio­nen, der rea­le sie­ben, drei Mil­lio­nen ge­hör­ten den Grün­dern und den mit der Emis­si­on der Ak­ti­en be­auf­trag­ten Ban­ken. Al­les war so be­rech­net, daß die Ak­tie in den ers­ten sechs Mo­na­ten durch Ver­tei­lung ei­ner ho­hen Schein­di­vi­den­de zwei­hun­dert Fran­ken Ge­winn brach­te; zehn Mil­lio­nen brach­ten also zwan­zig Pro­zent. Die Zin­sen, die du Til­let ein­heims­te, be­tru­gen fünf­hun­dert­tau­send Fran­ken. Nu­cin­gen be­ab­sich­tig­te, mit sei­ner aus ei­ner Hand­voll rosa Pa­pier mit Hil­fe ei­nes li­tho­gra­phi­schen Stei­nes her­ge­stell­ten Mil­li­on hüb­sche klei­ne, leicht an­zu­brin­gen­de An­teil­schei­ne zu ma­chen, die er sorg­sam in sei­nem Geld­schrank auf­be­wahr­te. Die­se re­el­len Ak­ti­en soll­ten dazu die­nen, das Ge­schäft zu be­grün­den, ein präch­ti­ges Haus zu er­bau­en und die Tä­tig­keit zu be­gin­nen. Nu­cin­gen be­schaff­te sich noch Ak­ti­en von ich weiß nicht wel­chen Blei­gru­ben und Stein­koh­len­berg­wer­ken und von zwei Kanal­bau­ten, Vor­zugs­ak­ti­en, die aus­ge­ge­ben wur­den, um die­se vier Un­ter­neh­mun­gen mit vol­ler Kraft ins Werk zu set­zen; sehr hohe und ge­such­te Ak­ti­en, de­ren Di­vi­den­de vom Ka­pi­tal ge­nom­men wur­de. Nu­cin­gen konn­te, wenn die Ak­ti­en stie­gen, auf ein Agio rech­nen; aber der Baron ließ das in sei­nen Kal­ku­la­tio­nen au­ßer acht. Er hat­te also sei­ne Ka­pi­ta­li­en in ge­schlos­se­nen Mas­sen auf­ge­stellt, wie Na­po­le­on sei­ne Trup­pen, um wäh­rend der dro­hen­den Kri­se, die in den Jah­ren 1826 und 1827 den eu­ro­päi­schen Markt be­fiel, zu li­qui­die­ren. Aber er hat­te kei­nen Ver­trau­ten, denn du Til­let soll­te ihm nicht in die Kar­ten bli­cken. Die bei­den ers­ten Li­qui­da­tio­nen hat­ten un­serm großen Baron ge­zeigt, wie nö­tig er es hat­te, einen er­ge­be­nen Men­schen zu fin­den, der bei den Gläu­bi­gern für ihn ein­trat. Nu­cin­gen hat­te kei­nen Nef­fen, kei­nen Ver­trau­ten; er be­durf­te ei­nes in­tel­li­gen­ten, wohl­er­zo­ge­nen Cla­paron, ei­nes wah­ren Di­plo­ma­ten, ei­nes Man­nes, der es wert war, Mi­nis­ter und sein Freund zu wer­den. Sol­che Be­zie­hun­gen knüp­fen sich nicht in ei­nem Tag, auch nicht in ei­nem Jahr. Ras­ti­gnac wur­de also da­mals von dem Baron so eif­rig um­wor­ben, daß er, der sich von ihm und ihr ge­liebt sah, ver­mein­te, in Nu­cin­gen einen großen Esel ge­fun­den zu ha­ben. Nach­dem er so zu­erst über die­sen Mann, des­sen wah­res We­sen ihm lan­ge ver­bor­gen blieb, ge­lacht, en­de­te er da­mit, ihm eine tie­fe Hochach­tung zu zol­len, denn er hat­te in ihm die Kraft er­kannt, die er al­lein zu be­sit­zen glaub­te. Seit sei­nem ers­ten Auf­tre­ten in Pa­ris war Ras­ti­gnac da­hin ge­langt, die gan­ze Ge­sell­schaft zu miß­ach­ten. Seit 1820 hat­te er die­sel­ben An­schau­un­gen wie der Baron: er wuß­te, es gab nur schein­bar eh­ren­haf­te Leu­te, und die große Welt er­schi­en ihm wie die Zu­sam­men­rot­tung al­ler Ver­derbt­heit, al­ler Nichts­wür­dig­keit. Wenn er auch hier und da den ein­zel­nen aus­nahm, so ver­damm­te er doch die Ge­samt­heit: er glaub­te an kei­ne Tu­gend, nur an Zu­fäl­le, in de­nen der Mensch sich tu­gend­haft er­wies. Die­se Wis­sen­schaft er­rang er sich in ei­nem ein­zi­gen Au­gen­blick der Er­kennt­nis: er er­warb sie auf der Höhe des Père-Lachai­se, am Tage, als er einen ar­men Greis dort­hin ge­lei­tet, den Va­ter sei­ner Del­phi­ne, der als ein Op­fer un­se­rer Ge­sell­schaft, ein Op­fer sei­nes in­ni­gen Ge­fühls­le­bens, von sei­nen Töch­tern und Schwie­ger­söh­nen ver­las­sen, ge­stor­ben war. Da be­schloß Ras­ti­gnac, der gan­zen Welt zu spot­ten und ihr im Ge­wand der Tu­gend und Red­lich­keit den Fuß auf den Na­cken zu set­zen. Der jun­ge Edel­mann hat­te sich von Kopf bis zu Fuß mit Ego­is­mus ge­wapp­net. Als er nun Nu­cin­gen in glei­cher Rüs­tung sah, ach­te­te er ihn ge­ra­de so, wie ein mit­tel­al­ter­li­cher Rit­ter beim Tur­nier den eben­bür­ti­gen Geg­ner ach­tet. Eine Zeit­lang al­ler­dings ver­weich­lich­te er in den Ar­men der Lie­be. Die Freund­schaft ei­ner Frau, wie die Baro­nin von