zu fürchten hatte. Man schwatzte über Nucingen, man belauerte, verurteilte, verleumdete ihn! Sein Luxus, seine vielen Unternehmungen! Wenn ein Mann so vieles will, kommt er unter die Räder! usw. Als der Lärm am stärksten war, erstaunten manche Leute nicht wenig, Briefe aus Genf, Basel, Mailand, Neapel, Genua, Marseille und London zu erhalten, in denen ihre Korrespondenten nicht ohne Verwunderung mitteilten, daß man ihnen für Nucingen-Papiere, deren Sturz ihre Pariser Firma ihnen gemeldet, ein Prozent Agio biete. ›Es geht etwas vor!‹ sagten die Börsenspekulanten. Das Gericht hatte zwischen Nucingen und seiner Gattin die Gütertrennung verfügt. Die Sachlage verwirrte sich noch viel mehr: die Zeitungen verkündeten die Rückkehr des Herrn Barons von Nucingen, der in Belgien gewesen war, um sich dort mit einem bekannten Großindustriellen betreffs der Ausbeutung alter Steinkohlenlager in den Wäldern von Bossut, die lange Zeit brachgelegen, ins Einvernehmen zu setzen. Der Baron erschien wieder an der Börse, und ohne sich auch nur die Mühe zu nehmen, die Verleumdungen, die über sein Haus in Umlauf gewesen, zu widerlegen – er hielt einen Widerruf in der Zeitung für unter seiner Würde –, kaufte er für zwei Millionen einen herrlichen Grundbesitz vor den Toren von Paris. Sechs Wochen später verkündeten die Zeitungen von Bordeaux das Einlaufen zweier für das Haus Nucingen bestimmter Dampfer mit einer Metalladung im Werte von sieben Millionen. Palma, Werbrust und du Tillet begriffen, daß der Streich glücklich zu Ende geführt war, aber sie waren die einzigen, die das begriffen. Sie erkannten die großartige Inszenierung dieses Finanzcoups, erkannten, daß er seit elf Monaten vorbereitet gewesen, und feierten Nucingen als den größten Finanzmann Europas. Rastignac begriff nichts davon, aber er hatte vierhunderttausend Franken gewonnen, die Nucingen durch Rastignac den Pariser Schafen abscheren ließ und mit denen dieser die Mitgift seiner beiden Schwestern bestritt. D’Aiglemont, von seinem Vetter Beaudenord aufmerksam gemacht, hatte Rastignac angefleht, ihm gegen zehn Prozent seiner Million dazu zu verhelfen, daß diese Million in Kanalaktien angelegt werde; dieser Kanal ist noch heute zu bauen, denn Nucingen hat die Führung in dieser Angelegenheit so glänzend betrieben, daß die Konzessionäre des Kanals ein Interesse daran haben, ihn nicht zu beenden. Charles Grandet beschwor den Geliebten Delphines, daß er ihm sein Geld gegen Aktien eintausche. Kurz, Rastignac hat zehn Tage lang die Rolle Laws gespielt, den die hübschesten Herzoginnen um Aktien bestürmten, und heute kann der Bursche vierzigtausend Livres Rente haben, deren Stamm aus den Bleigrubenaktien entstand.«
»Wenn alle Welt gewinnt, wer verliert denn da eigentlich?« fragte Finot.
»Schluß der Geschichte!« fuhr Bixiou fort. »Angelockt von der Pseudodividende, die sie sich einige Monate nach dem Umtausch ihrer Bargelder in Aktien auszahlen ließen, behielten der Marquis d’Aiglemont und Beaudenord – ich nenne euch als Beispiel nur diese beiden – ihre Papiere; sie hatten drei Prozent mehr, als ihr Kapital betragen hatte, und sangen Nucingens Lob, ja verteidigten ihn sogar, als man ihn der Zahlungseinstellung verdächtigte. Godefroid heiratete seine liebe Isaure und erhielt für hunderttausend Franken Minenaktien. Bei Gelegenheit der Trauung gaben die Nucingen einen Ball, dessen Pracht alle Erwartungen überstieg. Delphine überreichte der jungen Braut einen kostbaren Rubinschmuck. Isaure tanzte nicht mehr als junges Mädchen, sondern als glückliches Weib. Die kleine Baronin war mehr als je Sennerin. Malvina erhielt inmitten der Ballfreuden von du Tillet den trockenen Rat, Frau Desroches zu werden. Desroches, angetrieben von Nucingen und Rastignac, versuchte, das Geschäft in Gang zu bringen. Als er aber hörte, daß die Mitgift in Bleigrubenaktien bestände, brach er die Beziehungen ab und wandte sich wieder den Matifat zu. In der Rue du Cherche-Midi fand der Advokat die verdammten Kanalaktien, die Gigonnet dem Matifat an Stelle von Bargeld aufgehängt hatte. Da seht ihr, wie Desroches auf den beiden Wiesen, die er zu mähen gedacht hatte, der Sense Nucingens begegnete! Die Ereignisse ließen nicht auf sich warten. Die Gesellschaft Claparon ließ sich in zu viele Geschäfte ein, es ging ihr an den Kragen; sie bot keine Zinsen und keine Dividende mehr, trotzdem ihre Unternehmungen glänzend waren. Dies Unglück traf mit den Ereignissen von 1827 zusammen. 1829 war Claparon zu bekannt, um noch weiterhin der Strohmann der beiden Kolosse sein zu können, und er fiel von seinem hohen Sockel zu Boden. Von zwölfhundertfünfzig Franken sanken die Aktien auf vierhundert, obgleich ihr eigentlicher Wert sechshundert Franken betrug. Nucingen, der ihren wahren Wert kannte, kaufte zurück. Die kleine Baronin d’Aldrigger hatte ihre Grubenaktien, die nichts einbrachten, verkauft, und Godefroid verkaufte diejenigen seiner Frau aus demselben Grunde. Gleich der Baronin hatte Godefroid seine Grubenaktien gegen die Aktien der Gesellschaft Claparon vertauscht. Ihre Schulden zwangen sie, bei tiefster Baisse zu verkaufen. Von dem, was ihnen siebenhunderttausend Franken bedeutete, erhielten sie zweihundertdreißigtausend Franken. Sie wuschen ihre Wäsche rein, und der Rest wurde kläglich in dreiprozentigen Papieren angelegt. Godefroid, der einst glückliche Junggeselle, der so sorglos dahingelebt hatte, sah sich nun mit einer jungen Frau belastet, die so dumm war wie eine Gans, und überdies mit einer Schwiegermutter, die von Toiletten träumte. Die beiden Familien haben sich zusammengetan, um überhaupt existieren zu können. Godefroid war genötigt, alle seine inzwischen aufgegebenen vorteilhaften Konnexionen wieder aufzufrischen, um eine Tausendtalerstelle im Finanzministerium zu erhalten. Die Freunde? … futsch! Die Verwandten? … versichern erstaunt: ›Wie, mein Lieber? Natürlich dürfen Sie auf mich rechnen! Armer Kerl!‹ Eine Viertelstunde später ist alles vergessen. Beaudenord verdankte seine Anstellung Nucingen und Vandenesse. Die ganze so ehrenhafte und so unglückliche Familie wohnt heute Rue du Mont-Tabor im vierten Stock. Die arme Malvina besitzt nichts, sie gibt Klavierstunden, um ihrem Schwager nicht zur Last zu fallen. Schwarz, groß, dürr und welk, gleicht sie einer wiedererwachten Mumie, die hilflos durch Paris irrt. Im Jahre 1830 verlor Beaudenord seine Stellung, und seine Frau schenkte ihm ein viertes Kind. Acht Familienmitglieder und zwei Dienstboten (Wirth und seine Frau)! Geld: Achttausend Livres Rente. Die Gruben geben heute so beträchtliche Dividenden, daß die Aktie zu tausend Franken tausend Franken Rente bringt. Rastignac und Frau von Nucingen haben die von Godefroid und der Baronin verkauften Aktien erworben. Nucingen wurde von der Julirevolution zum Pair von Frankreich und Großoffizier der Ehrenlegion ernannt. Obgleich er nach 1830 nicht liquidiert hat, besitzt er, wie man sagt, ein Vermögen