störte meine Pläne und Voraussetzungen. Nichtsdestoweniger trat ich mutig ein und sah bald neben mir zwei Hunde, die wie wahre Dorfköter bellten. Auf diesen Lärm hin kam ein dickes Dienstmädchen herbeigelaufen, und als ich ihr gesagt hatte, daß ich die Frau Gräfin sprechen wollte, zeigte sie mit der Hand auf die Baumgruppen eines englischen Parks, der sich um das Schloß herumzog, und antwortete mir: »Die gnädige Frau ist dort …«
»Danke«, sagte ich ironisch. Ihr »dort« konnte mich zwei Stunden lang im Park umherirren lassen.
Inzwischen war ein hübsches kleines Mädchen mit lockigen Haaren, einem rosa Gürtel um das weiße Kleid und einem plissierten Kragen dazugekommen und hörte oder begriff meine Frage und die Antwort. Als sie mich gesehen hatte, verschwand sie wieder und rief in etwas scharfem Ton: »Mama, da ist ein Herr, der dich sprechen will!« Ich folgte über die Windungen der Alleen hin dem Auf und Ab ihres weißen Kragens, der, ähnlich einem Irrlicht, mir den Weg anzeigte, den das kleine Mädchen einschlug.
Ich will nichts verschweigen. Bei dem letzten Gebüsch der großen Allee hatte ich meinen Kragen hinaufgezogen, meinen schlechten Hut und meine Beinkleider mit den Schößen meines Rockes, meinen Rock mit den Ärmeln und diese, einen mit dem andern gereinigt; dann hatte ich den Rock sorgfältig zugeknöpft, um den Stoff der Aufschläge, der immer etwas frischer als das übrige aussieht, sehen zu lassen; endlich ließ ich die Beinkleider über die Stiefel herab, die ich sorgsam im Grase gereinigt hatte. Dank dieser Gaskogner-Toilette hoffte ich, nicht für einen Landstreicher der Unterpräfektur gehalten zu werden; aber wenn ich mich in diese Stunde meines Jugendlebens heute zurückversetze, so muß ich selbst darüber lachen.
Gerade als ich mich so in Positur gesetzt hatte, bemerkte ich plötzlich hinter der Krümmung eines grünen Gebüsches inmitten von tausend, von einem warmen Sonnenstrahl übergossenen Blumen Juliette und ihren Mann. Das hübsche kleine Mädchen hielt die Mutter an der Hand, und man konnte leicht wahrnehmen, daß die Gräfin auf die merkwürdigen Worte ihres Kindes hin ihre Schritte beschleunigt hatte. Erstaunt über den Anblick eines Unbekannten, der sich ziemlich linkisch vor ihr verbeugte, blieb sie stehen und zeigte mir ein Gesicht, auf dem sich kühle Höflichkeit mit einem entzückenden Schmollen mischte, das alle ihre getäuschten Hoffnungen verriet. Ich suchte aber vergeblich nach einigen meiner schönen Redensarten, die ich mir so mühsam ausgeklügelt hatte. Während dieses Moments, da wir beide zu sprechen zögerten, war auch der Ehegatte auf dem Schauplatz erschienen. Tausend Gedanken durchkreuzten mein Hirn. Um mir etwas Haltung zu geben, redete ich einige nichtssagende Worte, indem ich fragte, ob die hier anwesenden Personen auch wirklich der Herr Graf und die Frau Gräfin von Montpersan seien. Dieses Geschwätz gestattete mir, die beiden Ehegatten, deren Zurückgezogenheit so heftig gestört werden sollte, mit einem einzigen Blick zu beurteilen, und mit einer für mein Alter seltenen Scharfsichtigkeit über ihren Charakter klar zu werden. Der Mann schien mir der Typus des Landedelmannes zu sein, wie er augenblicklich den schönsten Schmuck der Provinz bildet. Er trug grobe Schuhe mit dicken Sohlen; ich erwähne sie zuerst, weil sie mir noch mehr ins Auge fielen, als sein schwarzer, abgetragener Rock, seine abgeschabte Hose, seine schlecht gebundene Krawatte und sein heruntergedrückter Hemdkragen. Es steckte in diesem Manne etwas von einem Richter, viel mehr von einem Präfekturrat, die ganze Wichtigkeit eines kantonalen Bürgermeisters, dem niemand Widerstand zu leisten vermag, und die Verstimmung eines wählbaren Kandidaten, der seit dem Jahre 1816 regelmäßig durchgefallen war; er wies eine unwahrscheinliche Mischung von bäurischem praktischem Verstande und von Dummheit auf; keine Manieren, aber den Dünkel der Reichen; starke Untertänigkeit seiner Frau gegenüber, sonst aber sich für den gebietenden Herren haltend, der in den unerheblichsten Dingen Widerstand leistet, sich aber um die wichtigen Angelegenheiten nicht kümmert; im übrigen ein verlebtes, sehr runzliges, vertrocknetes Gesicht mit einigen wenigen grauen, langen, flach anliegenden Haaren, so war die Erscheinung dieses Mannes. Aber die Gräfin! Oh, welchen starken und auffallenden Gegensatz bildete sie zu ihrem Manne! Sie war eine kleine Frau von schlanker, graziöser Figur, reizend, zierlich und so zart, daß man fürchten mußte, sie beim Berühren zu zerbrechen; sie trug ein weißes Musselinkleid und auf dem Kopfe ein hübsches Häubchen mit rosa Bändern, einen rosa Gürtel und einen Umhang, der ihre Schultern und ihre schöne Büste so reizvoll umschloß, daß der Anblick die unwiderstehliche Begierde, sie zu besitzen, aufkeimen ließ. Sie hatte lebhafte, schwarze, ausdrucksvolle Augen, reizvolle Bewegungen und entzückende Füße. Ein alter erfahrener Frauenkenner hätte sie höchstens auf dreißig Jahre geschätzt, so viel Jugend leuchtete auf ihrer Stirn und zeigte sich in den geringsten Einzelheiten ihres Kopfes. Was ihren Charakter anlangt, so erinnerte sie auch gleichzeitig an die Gräfin de Lignolles und an die Marquise de B …, zwei Frauentypen, die sich im Gedächtnis eines jungen Mannes, der den Roman von de Louvet gelesen hat, immer lebendig erhalten. Mir wurden plötzlich alle Geheimnisse dieser Ehe klar, und ich faßte den Entschluß, diplomatisch wie ein alter Gesandter vorzugehen. Es war das vielleicht das einzige Mal in meinem Leben, daß ich richtigen Takt entwickelte, und daß ich begriff, worin die Geschicklichkeit von Höflingen und Weltleuten bestand.
Seit diesen Tagen unbekümmerten Daseins habe ich allzu viele Kämpfe durchfechten müssen, als daß ich die unbedeutenden Handlungen im Leben auf die Wagschale legen und die tausend Vorschriften der Etikette und des guten Tons hätte erfüllen können, die die edelmütigsten Regungen des Herzens ersticken.
»Herr Graf, ich möchte mit Ihnen allein sprechen«, sagte ich mit geheimnisvoller Miene, während ich einige Schritte zurücktrat.
Er folgte mir. Juliette ließ uns allein und entfernte sich, unbekümmert wie eine Frau, die sicher ist, die Geheimnisse ihres Mannes zu erfahren, sobald sie sie zu wissen wünscht. Ich erzählte dem Grafen kurz den Tod meines Reisebegleiters. Der Eindruck dieser Nachricht bewies mir, daß er eine warme Zuneigung zu seinem jungen Mitarbeiter hatte, und diese Entdeckung gab mir den Mut zu meiner Antwort in dem Zwiegespräch, das nun zwischen uns beiden sich entspann.
»Meine Frau wird in Verzweiflung sein,« rief er, »und ich werde alle Vorsicht gebrauchen müssen, wenn ich sie von diesem unglückseligen Ereignis in Kenntnis setze.«
»Wenn ich mich zuerst an Sie wandte, Herr Graf,« sagte ich, »so habe ich damit eine Pflicht erfüllt. Ich wollte mich dieses Auftrags, mit dem mich ein Unbekannter