Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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eine Gunst für sich zu er­bit­ten, gab er doch dem Wun­sche sei­ner Frau nach, ver­ließ sei­nen Land­sitz, des­sen be­schei­de­ner Er­trag kaum für die Be­dürf­nis­se sei­ner Kin­der aus­reich­te, und ging nach Pa­ris. An­ge­wi­dert von der Be­gehr­lich­keit, mit der sei­ne al­ten Ka­me­ra­den auf die Stel­lun­gen und Wür­den, die die kon­sti­tu­tio­nel­le Re­gie­rung zu ver­ge­ben hat­te, Jagd mach­ten, war er schon im Be­griff, auf sein Land­gut zu­rück­zu­keh­ren, als er einen Brief des Mi­nis­ters er­hielt, in dem ihm eine ziem­lich be­rühm­te Ex­zel­lenz sei­ne Er­he­bung zum Ran­ge ei­nes Feld­mar­schalls mit­teil­te, auf Grund der Or­don­nanz, wo­nach es Of­fi­zie­ren der ka­tho­li­schen Ar­meen ge­stat­tet war, sich die ers­ten zwan­zig Jah­re ei­ner fin­gier­ten Re­gie­rung Lud­wigs XVIII. als Dienst­zeit an­zu­rech­nen. Ei­ni­ge Tage spä­ter emp­fing der Ven­déer auch noch, ohne dar­um ge­be­ten zu ha­ben, son­dern von Amts we­gen, das Kreuz des Or­dens der Ehren­le­gi­on und das Sankt-Lud­wigs­kreuz. Durch die­se auf­ein­an­der­fol­gen­den Gna­den­be­wei­se wur­de er in sei­nem Ent­schlus­se wie­der schwan­kend, da er sie dem Um­stan­de zu­schrei­ben zu müs­sen glaub­te, daß der Mon­arch sich sei­ner er­in­nert habe; er be­gnüg­te sich nicht mehr da­mit, sei­ne Fa­mi­lie alle Sonn­ta­ge, wie er es un­ver­brüch­lich ge­tan hat­te, in den Mar­schall­saal der Tui­le­ri­en zu füh­ren und dort, wenn sich die Prin­zen in die Ka­pel­le be­ga­ben, »Es lebe der Kö­nig« zu ru­fen, son­dern er such­te um die Gunst ei­ner be­son­de­ren Au­di­enz nach. Die­se so­fort be­wil­lig­te Au­di­enz hat­te aber kei­nen be­son­de­ren Cha­rak­ter. Der Saal im Schlos­se war voll von al­ten Die­nern, de­ren ge­pu­der­te Köp­fe, aus ei­ner ge­wis­sen Höhe ge­se­hen, ei­nem Tep­pich aus Schnee gli­chen. Hier traf der Edel­mann alte Ka­me­ra­den, die ihn aber et­was kühl be­grüß­ten; die Prin­zen al­ler­dings er­schie­nen ihm »an­be­tungs­wür­dig« – ein Aus­druck, der ihm in sei­nem En­thu­si­as­mus ent­schlüpf­te –, als der lie­bens­wür­digs­te sei­ner Herr­scher, dem der Graf nur dem Na­men nach be­kannt zu sein glaub­te, zu ihm her­an­trat, ihm die Hand drück­te und ihn als den ech­tes­ten Ven­déer be­zeich­ne­te. Trotz die­ser Hul­di­gung kam aber kei­ner der er­lauch­ten Per­sön­lich­kei­ten auf den Ge­dan­ken, ihn über die Höhe sei­ner Ver­lus­te oder der Be­trä­ge, die er in ge­neröser Wei­se den Kas­sen der ka­tho­li­schen Ar­mee hat­te zu­flie­ßen las­sen, zu be­fra­gen. Er er­kann­te ein we­nig spät, daß er Krieg auf ei­ge­ne Kos­ten ge­führt hat­te. Ge­gen Ende des Abends glaub­te er eine geist­rei­che An­spie­lung auf den Stand sei­ner Ver­mö­gens­ver­hält­nis­se wa­gen zu dür­fen, der dem vie­ler an­de­rer Edel­leu­te glich. Sei­ne Ma­je­stät lach­te herz­lich, weil je­des Wort, das von Geist zeug­te, im­stan­de war, sein Ge­fal­len zu er­re­gen; aber sie ant­wor­te­te nur mit ei­nem der kö­nig­li­chen Scher­ze, de­ren Lie­bens­wür­dig­keit mehr zu fürch­ten war, als ein im Zorn aus­ge­spro­che­ner Ta­del. Ei­ner der in­tims­ten Ver­trau­ten des Kö­nigs zö­ger­te auch nicht, sich dem schlau­en Ven­déer zu nä­hern, und gab ihm mit ei­ner fei­nen höf­li­chen Be­mer­kung zu ver­ste­hen, daß der Mo­ment noch nicht ge­kom­men sei, wo man den Herr­schern sei­ne Rech­nung prä­sen­tie­ren kön­ne: auch be­fan­den sich auf dem Ti­sche noch vie­le Denk­schrif­ten, die äl­ter wa­ren als sein An­lie­gen, und die si­cher von Wich­tig­keit für die Ge­schich­te der Re­vo­lu­ti­ons­zeit wa­ren. Der Graf ent­fern­te sich klüg­lich aus der ver­eh­rungs­wür­di­gen Grup­pe, die re­spekt­voll einen Halb­kreis um die er­lauch­te Fa­mi­lie bil­de­te; dann, nach­dem er sei­nen De­gen, der ihm zwi­schen sei­ne dün­nen Bei­ne ge­ra­ten war, wie­der zu­recht­ge­scho­ben hat­te, be­gab er sich zu Fuß über den Hof der Tui­le­ri­en zu sei­nem Miets­wa­gen, den er am Quai hat­te hal­ten las­sen. Mit der Hals­star­rig­keit, die den Adel vom al­ten Schla­ge aus­zeich­net, bei dem die Erin­ne­rung an die Liga und die Bar­ri­ka­den noch nicht er­lo­schen ist, schimpf­te er in sei­nem Wa­gen so laut, daß er sich da­durch kom­pro­mit­tie­ren konn­te, über die Ver­än­de­rung, die bei Hofe ein­ge­tre­ten war. »Ehe­mals«, sag­te er zu sich, »sprach je­der­mann frei mit dem Kö­ni­ge über sei­ne pri­va­ten An­ge­le­gen­hei­ten, die Edel­leu­te konn­ten nach ih­rem Ge­fal­len ihn um eine Gna­de und um Geld bit­ten, und heu­te soll man, ohne Lärm zu ma­chen, nicht ein­mal die Rück­zah­lung von Gel­dern ver­lan­gen kön­nen, die man in sei­nem In­ter­es­se vor­ge­streckt hat? Zum Don­ner­wet­ter! Das Sankt-Lud­wigs­kreuz und der Rang ei­nes Feld­mar­schalls sind doch kein Aus­gleich für die drei­hun­dert­tau­send Fran­ken, die ich rund und nett für die Sa­che des Kö­nigs her­ge­ge­ben habe. Ich will noch mal mit dem Kö­ni­ge re­den, von An­ge­sicht zu An­ge­sicht in sei­nem Ka­bi­nett.«

      Die­ser Vor­gang kühl­te den Ei­fer des Herrn von Fon­taine um so mehr ab, als sei­ne Ge­su­che um eine Au­di­enz be­stän­dig un­be­ant­wor­tet blie­ben. An­de­rer­seits muß­te er se­hen, wie Ein­dring­lin­ge vom kai­ser­li­chen Hof her mehr­fach Char­gen er­hiel­ten, die un­ter der al­ten Mon­ar­chie nur den Mit­glie­dern der bes­ten Häu­ser vor­be­hal­ten ge­we­sen wa­ren.

      »Es ist al­les ver­lo­ren«, sag­te er ei­nes Mor­gens zu sich. »Der Kö­nig ist un­zwei­fel­haft nie­mals et­was an­de­res als ein Re­vo­lu­tio­när ge­we­sen. Hät­ten wir nicht sei­nen Bru­der, der nicht wankt und der Trost sei­ner ge­treu­en Die­ner ist, dann wüß­te ich nicht, in wel­che Hän­de ei­nes Ta­ges die Kro­ne Frank­reichs ge­ra­ten kön­ne, wenn die­se Art zu re­gie­ren so wei­ter geht. Ihre ver­damm­te kon­sti­tu­tio­nel­le Ver­fas­sung ist die schlech­tes­te al­ler Re­gie­rungs­for­men, und Frank­reich wird sich ihr nie­mals an­pas­sen. Lud­wig XVIII. und Herr Beugnot ha­ben uns in Saint-Ouen al­les ver­dor­ben.«

      Der Graf, der alle Hoff­nun­gen auf­ge­ge­ben hat­te, schick­te sich an, auf sein Land­gut zu­rück­zu­ge­hen und gab groß­mü­tig alle sei­ne An­sprü­che auf Schad­los­hal­tung auf. In die­sem Mo­ment kün­dig­ten die Er­eig­nis­se des zwan­zigs­ten März einen neu­en Sturm an, der das le­gi­ti­me Kö­nig­tum und sei­ne Ver­tei­di­ger mit fort­zu­rei­ßen droh­te. Gleich den zart­füh­len­den Leu­ten, die einen Die­ner bei Re­gen­wet­ter nicht aus­schi­cken, nahm Herr von Fon­taine Geld auf sei­ne Be­sit­zung auf, um dem auf der Flucht be­find­li­chen Kö­nigs­hau­se fol­gen zu kön­nen, ohne zu wis­sen, ob sein An­schluß an die Emi­gran­ten für ihn nutz­brin­gen­der sein wür­de, als es sei­ne Hin­ge­bung in der ver­gan­ge­nen Zeit ge­we­sen war; da er aber be­merkt hat­te, daß die Exil­ge­nos­sen mehr in Gunst stan­den, als die Tap­fe­ren, die einst­mals sich ge­gen die Auf­rich­tung der Re­pu­blik mit be­waff­ne­ter Hand auf­ge­lehnt hat­ten, so durf­te er viel­leicht hof­fen, aus die­sem Auf­ent­halt in der Frem­de grö­ße­ren Vor­teil zu zie­hen, als durch tä­ti­ge und ge­fähr­li­che Dienst­leis­tun­gen im Lan­de. Die­se Er­wä­gun­gen ei­nes Hof­manns wa­ren kei­ne Spe­ku­la­tio­nen ins Blaue hin­ein, die auf dem Pa­pier glän­zen­de Re­sul­ta­te ver­hei­ßen, aber bei ih­rer Aus­füh­rung zum Ruin füh­ren. So wur­de er, nach dem Auss­pruch des geist­reichs­ten und ge­wand­tes­ten uns­rer Di­plo­ma­ten, ei­ner von den fünf­hun­dert ge­treu­en Die­nern, die das kö­nig­li­che Exil in Gent teil­ten, und die in ei­ner An­zahl von fünf­zig­tau­send aus ihm zu­rück­kehr­ten. Wäh­rend die­ser kur­z­en Ab­we­sen­heit des Kö­nigs­hau­ses hat­te Herr von Fon­taine das Glück, von Lud­wig XVIII. zu Diens­ten ver­wen­det zu wer­den; und es fand sich mehr als eine Ge­le­gen­heit, da er dem Kö­ni­ge den Be­weis großer po­li­ti­scher Zu­ver­läs­sig­keit