Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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kost­ba­re Equi­pa­gen eben­so un­ent­behr­lich, wie wah­re oder falsche schmei­chel­haf­te Kom­pli­men­te und die Fes­te und das nich­ti­ge Ge­trie­be bei Hofe. Wie die meis­ten ver­wöhn­ten Kin­der ty­ran­ni­sier­te sie alle, die sie lieb­ten, und spar­te ihre Lie­bens­wür­dig­keit für die Gleich­gül­ti­gen auf. Ihre Feh­ler wur­den mit den Jah­ren nur im­mer schlim­mer, und ihre An­ge­hö­ri­gen soll­ten bald die bit­te­ren Früch­te ei­ner so ver­derb­li­chen Er­zie­hung zu kos­ten be­kom­men. Mit neun­zehn Jah­ren hat­te Emi­lie von Fon­taine noch kei­ne Wahl un­ter den zahl­rei­chen jun­gen Män­nern tref­fen wol­len, die Herr von Fon­taine mit Ab­sich­ten zu sei­nen Ge­sell­schaf­ten ein­lud. Ob­wohl sie noch jung war, er­freu­te sie sich in der Ge­sell­schaft al­ler Frei­heit, die ei­ner geist­vol­len Frau zu­ge­stan­den wird. Wie die Kö­ni­ge, hat­te sie kei­ne Freun­de und sah über­all um sich nur Dienst­fer­tig­keit, ein Ver­hal­ten, dem auch eine bes­se­re Na­tur als sie wohl nicht hät­te wi­der­ste­hen kön­nen. Kein Mann, selbst kein al­ter Mann, war im­stan­de, den An­sich­ten ei­nes jun­gen Mäd­chens zu wi­der­spre­chen, von dem ein ein­zi­ger Blick auch ein kal­tes Herz zu ent­flam­men ver­moch­te. Sorg­fäl­ti­ger als ihre Schwes­tern er­zo­gen, mal­te sie ziem­lich gut, sprach ita­lie­nisch und eng­lisch und spiel­te Kla­vier so gut, daß an­de­re Spie­ler an sich ver­zwei­fel­ten; end­lich be­saß ihre von den bes­ten Leh­rern aus­ge­bil­de­te Stim­me eine Süße, die ih­rem Ge­sang einen un­wi­der­steh­li­chen Zau­ber ver­lieh. Geist­voll und in al­len Li­te­ra­tu­ren zu Hau­se, hät­te sie an den Auss­pruch Mas­ca­ril­les glau­ben ma­chen kön­nen, daß be­deu­ten­de Leu­te schon al­les wis­sen, wenn sie zur Welt kom­men. Es wur­de ihr leicht, über die ita­lie­ni­sche oder die nie­der­län­di­sche Ma­le­rei, über Mit­tel­al­ter oder Re­naissance zu spre­chen, sie gab aufs Ge­ra­te­wohl ihr Ur­teil über alte und neue Bü­cher ab und wuß­te in grau­sa­mer geist­rei­cher Wei­se die Feh­ler ei­nes Wer­kes deut­lich zu kenn­zeich­nen. Ihre ein­fachs­ten Auss­prü­che wur­den von ei­ner in sie ver­narr­ten Men­ge auf­ge­nom­men wie ein »Fet­fa« des Sul­tans von den Tür­ken. So blen­de­te sie ober­fläch­li­che Leu­te; tiefe­re Geis­ter er­kann­te sie mit an­ge­bo­re­nem Takt her­aus, und ih­nen ge­gen­über ent­fal­te­te sie so viel Lie­bens­wür­dig­keit, daß sie durch die­ses be­zau­bern­de We­sen sich ei­ner stren­ge­ren Prü­fung ent­zie­hen konn­te. Hin­ter die­ser ver­füh­re­ri­schen Ober­flä­che ver­barg sich ein un­emp­find­li­ches Herz und die vie­len jun­gen Mäd­chen ge­mein­sa­me An­schau­ung, daß nie­mand hoch ge­nug ge­stellt war, um den Adel ih­rer See­le be­grei­fen zu kön­nen, dazu noch ein Stolz, der sich eben­so auf ihre Her­kunft, wie auf ihre Schön­heit stütz­te. Da ihr je­des hei­ße Emp­fin­den, das frü­her oder spä­ter in dem Her­zen ei­ner Frau Ver­wüs­tun­gen an­rich­tet, fern lag, kam ihr ju­gend­li­ches Feu­er nur in ei­ner maß­lo­sen Sucht nach Aus­zeich­nung, ver­bun­den mit der tiefs­ten Ver­ach­tung der bür­ger­li­chen Ka­nail­le, zum Aus­druck. Sehr hoch­fah­rend ge­gen­über dem neu­en Adel, mach­te sie alle An­stren­gun­gen, da­mit ihre An­ge­hö­ri­gen sich auf glei­chen Fuß mit den be­rühm­tes­ten Fa­mi­li­en des Fau­bourg Saint-Ger­main stel­len konn­ten.

      Die­se Emp­fin­dun­gen wa­ren dem auf­merk­sa­men Auge des Herrn von Fon­taine nicht ent­gan­gen, der nach der Ver­hei­ra­tung sei­ner bei­den äl­tes­ten Töch­ter mehr als ein­mal über die Sar­kas­men und Bon­mots Emi­lies seufz­te. Lo­gisch Den­ken­de wer­den er­staunt dar­über sein, daß der alte Ven­déer sei­ne äl­tes­te Toch­ter ei­nem Ge­ne­ral­ein­neh­mer ge­ge­ben hat­te, der zwar wohl meh­re­re frü­he­re ad­li­ge Gü­ter be­saß, vor des­sen Na­men sich aber der Par­ti­kel nicht be­fand, dem der Thron so vie­le Ver­tei­di­ger ver­dank­te, und sei­ne zwei­te Toch­ter ei­nem Be­am­ten, des­sen Baro­nie noch zu jung war, um ver­ges­sen zu las­sen, daß sein Va­ter Holz­händ­ler ge­we­sen war. Der be­mer­kens­wer­te Um­schwung in den An­schau­un­gen des Edel­manns, der ein­trat, als er sein sech­zigs­tes Le­bens­jahr er­reich­te, ein Al­ter, in dem die Men­schen nur sel­ten ih­ren al­ten Stand­punkt auf­ge­ben, war nicht nur dem Auf­ent­halt in dem mo­der­nen Ba­by­lon, wo alle Pro­vinz­ler schließ­lich ihre Herb­heit ein­bü­ßen, zu­zu­schrei­ben; die neue po­li­ti­sche Mei­nung des Gra­fen von Fon­taine war auch das Re­sul­tat der Ratschlä­ge und der Freund­schaft des Kö­nigs. Die­ser phi­lo­so­phi­sche Fürst hat­te Ge­fal­len dar­an ge­fun­den, den Ven­déer zu den Ide­en zu be­keh­ren, die der Fort­schritt des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts und die Er­neue­rung der Mon­ar­chie for­der­ten. Lud­wig XVIII. woll­te Par­tei­en schaf­fen, wie Na­po­le­on Ein­rich­tun­gen und Män­ner ge­schaf­fen hat­te. Der le­gi­ti­me Kö­nig, der viel­leicht eben­so geist­voll war wie sein Ri­va­le, han­del­te in ent­ge­gen­ge­setz­tem Sin­ne. Das letz­te Haupt des Hau­ses Bour­bon war eben­so be­müht, dem drit­ten Stand und den Män­nern des Kai­ser­reichs, den Kle­rus in­be­grif­fen, Ge­nü­ge zu tun, wie der ers­te der Na­po­le­ons sich be­ei­fert hat­te, die Grands­eigneurs an sich zu zie­hen und die Kir­che zu be­rei­chern. Ver­traut mit den Ge­dan­ken des Kö­nigs, war der Staats­rat un­merk­lich ei­ner der ein­fluß­reichs­ten und klügs­ten Füh­rer der ge­mä­ßig­ten Par­tei ge­wor­den, die im Na­men der na­tio­na­len In­ter­es­sen leb­haft eine Ei­ni­gung der po­li­ti­schen An­sich­ten wünsch­te. Er pre­dig­te die kost­spie­li­gen Prin­zi­pi­en ei­ner kon­sti­tu­tio­nel­len Re­gie­rung und un­ter­stütz­te mit al­ler Kraft das Spiel der po­li­ti­schen Schau­kel, die sei­nem Herrn ge­stal­te­te, in­mit­ten der Um­trie­be die Re­gie­rung Frank­reichs fort­zu­füh­ren. Vi­el­leicht schmei­chel­te sich auch Herr von Fon­taine mit dem Ge­dan­ken, bei ei­nem der ge­setz­ge­be­ri­schen stür­mi­schen Um­schwün­ge, de­ren merk­wür­di­ge Er­geb­nis­se da­mals auch die äl­tes­ten Po­li­ti­ker über­rasch­ten, zur Pairs­wür­de zu ge­lan­gen. Ei­ner sei­ner starrs­ten Grund­sät­ze be­sag­te, daß er in Frank­reich kei­nen an­dern Adel an­er­ken­nen kön­ne als den der Pairs, de­ren Fa­mi­li­en die ein­zi­gen sei­en, die Pri­vi­le­gi­en be­sä­ßen.

      »Ein Adel ohne Pri­vi­le­gi­en«, pfleg­te er zu sa­gen, »ist ein Griff ohne Mes­ser.«

      Der Par­tei Lafa­yet­tes eben­so fern­ste­hend wie der Par­tei La Bour­don­nayes, ver­such­te er eif­rig, die all­ge­mei­ne Ver­söh­nung durch­zu­set­zen, aus der eine neue Ära und eine glän­zen­de Zu­kunft für Frank­reich ent­ste­hen soll­te. Er be­müh­te sich, die Fa­mi­li­en, die in sei­nem Hau­se ver­kehr­ten, und die, die er be­such­te, da­von zu über­zeu­gen, wie we­nig güns­ti­ge Chan­cen zur­zeit die mi­li­tä­ri­sche und die Be­am­ten­kar­rie­re böte. Er emp­fahl den Müt­tern, ihre Kin­der frei­en und in­dus­tri­el­len Be­ru­fen zu­zu­wen­den, in­dem er ih­nen zu ver­ste­hen gab, daß die ho­hen Stel­lun­gen beim Heer und bei der Ver­wal­tung schließ­lich doch ganz kon­sti­tu­tio­nel­ler­wei­se den jün­ge­ren Söh­nen der Adels­fa­mi­li­en der Pairs vor­be­hal­ten blei­ben müß­ten. Nach sei­ner An­sicht habe die Na­ti­on sich einen ge­nü­gend großen An­teil an der Ver­wal­tung durch die ge­wähl­te Volks­ver­tre­tung er­obert und durch ihre Plät­ze in der Richter­schaft und der Finanz, die, wie er mein­te, im­mer, wie frü­her auch, das Erb­teil der her­vor­ra­gen­den Män­ner des drit­ten Stan­des sein wür­den. Die­se neu­en Ide­en des Fa­mi­li­en­haup­tes der Fon­tai­nes und die klu­gen Ehe­schlie­ßun­gen sei­ner bei­den äl­te­ren Töch­ter, die de­ren Re­sul­tat wa­ren, hat­ten star­ken Wi­der­stand in sei­nem