Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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fäl­len; aber er mach­te nur mä­ßi­gen Ge­brauch von sei­ner furcht­ba­ren Macht­voll­kom­men­heit. So­bald die­se tem­po­rä­re Recht­spre­chung er­le­digt war, konn­te sich der bis­he­ri­ge Ge­ne­ral­pro­foß auf ei­nem der Stüh­le des Staats­rats nie­der­las­sen, wur­de De­pu­tier­ter, als wel­cher er we­nig sprach, aber auf­merk­sam zu­hör­te, und än­der­te sei­ne An­schau­un­gen er­heb­lich. Meh­re­re den Bio­gra­phen un­be­kannt ge­blie­be­ne Um­stän­de lie­ßen ihn mit dem Kö­ni­ge so ver­traut wer­den, daß der bos­haf­te Mon­arch ihn ein­mal beim He­r­ein­tre­ten mit den Wor­ten emp­fing: »Fon­taine, mein lie­ber Freund, ich wür­de mir nicht ein­fal­len las­sen, Sie zum Ge­ne­ral­di­rek­tor oder zum Mi­nis­ter zu er­nen­nen! We­der Sie noch ich könn­ten, wenn wir ein sol­ches Amt hät­ten, bei un­sern An­schau­un­gen dar­in ver­blei­ben. Das Re­prä­sen­ta­tivsys­tem hat die gute Sei­te, daß es uns die Pein­lich­keit er­spart, die wir frü­her emp­fan­den, wenn wir un­se­re Staats­se­kre­tä­re sel­ber fort­schi­cken muß­ten.Un­ser Staats­rat ist zu ei­nem Wirts­haus ge­wor­den, in das die öf­fent­li­che Mei­nung uns häu­fig selt­sa­me Rei­sen­de schickt; aber schließ­lich wer­den wir doch im­mer wis­sen, wie wir uns­re ge­treu­en Die­ner un­ter­zu­brin­gen ha­ben.« Nach die­ser bos­haf­ten Er­öff­nung er­ging eine Or­don­nanz, durch die Herr von Fon­taine mit der Ver­wal­tung ei­ner Do­mä­ne, die Pri­vatei­gen­tum der Kro­ne war, be­traut wur­de. In­fol­ge der ver­ständ­nis­vol­len Auf­merk­sam­keit, mit der er die Sar­kas­men sei­nes kö­nig­li­chen Freun­des an­hör­te, kam sein Name im­mer Sei­ner Ma­je­stät auf die Zun­ge, so­bald eine Kom­mis­si­on ge­bil­det wer­den muß­te, de­ren Mit­glie­der rei­che Ge­häl­ter emp­fin­gen. Er war klug ge­nug, über die Gunst, mit der ihn der Mon­arch beehr­te, Still­schwei­gen zu be­wah­ren, und ver­stand es, den Kö­nig durch sei­ne pi­kan­te Er­zäh­lungs­kunst bei den ver­trau­li­chen Plau­de­rei­en gut zu un­ter­hal­ten, die Lud­wig XVIII. eben­so sehr lieb­te, wie ge­fäl­lig ab­ge­faß­te Bil­letts, po­li­ti­sche An­ek­do­ten und, wenn man sich die­ses Aus­drucks be­die­nen darf, di­plo­ma­ti­sche oder par­la­men­ta­ri­sche Kan­k­ans, die da­mals im Über­fluß zir­ku­lier­ten. Man weiß, daß De­tails über sei­ne »Re­gie­rungs­be­fä­hi­gung«, ein Aus­druck, den der er­lauch­te Spöt­ter auf­ge­nom­men hat­te, ihn au­ßer­or­dent­lich be­läs­tig­ten.

      Dank der Klug­heit, dem Geist und der Ge­wandt­heit des Gra­fen von Fon­taine konn­te je­des Glied sei­ner zahl­rei­chen Fa­mi­lie, so jung es auch war, sich schließ­lich, wie er sich ge­gen sei­nen Herrn scherz­haft aus­drück­te, wie ein Sei­den­wurm auf die Blät­ter des Etats set­zen. So er­hielt durch kö­nig­li­che Gna­de sein äl­tes­ter Sohn eine her­vor­ra­gen­de Stel­lung in der un­ab­setz­ba­ren Richter­schaft. Der zwei­te, vor der Re­stau­ra­ti­on ein­fa­cher Haupt­mann, be­kam un­mit­tel­bar nach sei­ner Rück­kehr aus Gent das Kom­man­do ei­ner kai­ser­li­chen Le­gi­on; dann kam er, an­läß­lich der Um­wäl­zun­gen im Jah­re 1815, wäh­rend de­ren man sich nicht an das Re­gle­ment hielt, in die kö­nig­li­che Gar­de, von da wie­der zu den Gar­des-du-Corps, wur­de dann noch­mals zur Li­nie ver­setzt und war schließ­lich, nach der Af­fä­re des Tro­ca­de­ro, Ge­ne­ral­leut­nant mit ei­nem Kom­man­do bei der Gar­de. Der Jüngs­te, zum Un­ter­prä­fek­ten er­nannt, wur­de bald Ge­ne­ral­steuer­ein­neh­mer und Ab­tei­lungs­di­rek­tor bei der Pa­ri­ser Stadt­ver­wal­tung, wo er vor al­len Ge­fah­ren ge­setz­ge­be­ri­scher Um­wäl­zun­gen ge­bor­gen war. Die­se un­auf­fäl­li­gen Gna­den­be­wei­se, die eben­so ge­heim blie­ben wie die Gunst, in der der Graf stand, er­gos­sen sich, ohne Auf­se­hen zu er­re­gen, über die Fa­mi­lie. Ob­gleich der Va­ter und die drei Söh­ne nun je­der ge­nü­gend Si­ne­ku­ren be­saß, um sich des Ge­nus­ses ei­nes si­che­ren Ein­kom­mens zu er­freu­en, das fast so groß war wie das ei­nes Ge­ne­ral­di­rek­tors, so er­reg­te ihr Glück, das sie ih­rer po­li­ti­schen Stel­lung ver­dank­ten, doch nie­man­des Neid. In die­ser Zeit der ers­ten kon­sti­tu­tio­nel­len Ein­rich­tun­gen hat­ten nur we­ni­ge einen rich­ti­gen Be­griff von den fried­li­chen Re­gio­nen des Bud­gets, in de­nen ge­schick­te Günst­lin­ge Er­satz für zer­stör­te Ab­tei­en zu fin­den ver­stan­den. Der Graf von Fon­taine, der sich noch vor kur­z­em ge­rühmt hat­te, daß er die Ver­fas­sung nie ge­le­sen habe, zö­ger­te nicht, sei­nem er­ha­be­nen Herrn zu be­wei­sen, daß er eben­so­gut wie er den Geist und die Hilfs­quel­len des »Re­prä­sen­ta­tivsys­tems« be­grif­fen habe. Aber trotz der si­che­ren Kar­rie­ren, die sich sei­nen drei Söh­nen er­öff­net hat­ten, trotz der pe­ku­ni­ären Vor­tei­le, die sich aus den vier Stel­lun­gen er­ga­ben, stand Herr von Fon­taine doch an der Spit­ze ei­ner zu zahl­rei­chen Fa­mi­lie, als daß er schnell und leicht wie­der zu Ver­mö­gen hät­te kom­men kön­nen. Sei­ne drei Söh­ne wa­ren reich an Zu­kunfts­hoff­nun­gen, Gunst und Be­ga­bung; aber er be­saß noch drei Töch­ter und muß­te fürch­ten, die Güte des Mon­ar­chen zu er­mü­den. Er hat­te sich da­her vor­ge­nom­men, im­mer nur von ei­ner die­ser Jung­frau­en mit ihm zu re­den, wenn sie die Hoch­zeits­fa­ckel ent­zün­den woll­ten. Der Kö­nig be­saß einen zu gu­ten Ge­schmack, als daß er sein Werk hät­te un­voll­en­det las­sen wol­len. Die Hei­rat der äl­tes­ten mit ei­nem Ge­ne­ral­ein­neh­mer, Pla­nat de Bau­dry, kam zu­stan­de auf Grund ei­nes kö­nig­li­chen Auss­pruchs, der nichts kos­te­te und Mil­lio­nen ein­brach­te. Ei­nes Abends muß­te der Mon­arch, der schlech­ter Lau­ne war, lä­cheln, als er von der Exis­tenz ei­nes zwei­ten Fräu­leins von Fon­taine hör­te, die er dann mit ei­nem jun­gen Rich­ter ver­hei­ra­te­te, der zwar, es ist wahr, von bür­ger­li­cher Her­kunft, aber reich und von großer Be­ga­bung war, und den er zum Baron mach­te. Als aber im nächs­ten Jah­re der Ven­déer von Fräu­lein Emi­lie von Fon­taine sprach, da er­wi­der­te ihm der Kö­nig mit sei­ner schwa­chen rau­hen Stim­me: »Ami­cus Pla­to, sed ma­gis ami­ca Na­tio.« Dann, ei­ni­ge Tage spä­ter, ver­ehr­te er sei­nem »Freun­de Fon­taine« einen ziem­lich harm­lo­sen Vier­zei­ler, den er ein Epi­gramm nann­te, und in dem er über sei­ne drei Töch­ter scherz­te, die er so ge­wandt un­ter der Form ei­ner Tri­ni­tät vor­ge­bracht hät­te. Wenn man der Chro­nik Glau­ben schen­ken darf, so hat­te der Kö­nig mit sei­nem Bon­mot auf die gött­li­che Drei­ei­nig­keit an­spie­len wol­len.

      »Wür­de sich der Kö­nig nicht her­ab­las­sen, sein Epi­gramm in ein Hoch­zeits­ge­dicht um­zu­wan­deln?« sag­te der Graf, in­dem er ver­such­te, die­se Lau­ne zu sei­nen Guns­ten zu len­ken.

      »Wenn ich auch die Rei­me dazu fän­de, so könn­te ich doch kei­nen Sinn hin­ein­brin­gen«, er­wi­der­te scharf der Kö­nig, der einen sol­chen Scherz über sein Dich­ten, wie mil­de er auch war, nicht lieb­te. Von die­sem Tage an wur­de sein Ver­kehr mit Herrn von Fon­taine we­ni­ger freund­lich. Die Kö­ni­ge sind wi­der­spruchs­vol­ler, als man ge­wöhn­lich glaubt. Wie fast alle spät ge­bo­re­nen Kin­der, war Emi­lie von Fon­taine der von al­ler Welt ver­wöhn­te Ben­ja­min. Die Küh­le des Kö­nigs war da­her dem Gra­fen um so schmerz­li­cher, als nie­mals eine Hei­rat schwe­rer zu­stan­de zu brin­gen war, als die die­ser ge­lieb­ten Toch­ter. Um alle die­se Schwie­rig­kei­ten zu ver­ste­hen, muß man sich in das In­ne­re des schö­nen Hau­ses be­ge­ben, in dem der Lei­ter der Do­mä­ne auf Kos­ten der Zi­vil­lis­te un­ter­ge­bracht war. Emi­lie hat­te ihre Kind­heit auf dem Fa­mi­li­en­gu­te ver­bracht, wo ihr alle Wün­sche der frü­hen Ju­gend reich­lich er­füllt wur­den; ihr ge­rings­tes Ver­lan­gen war für