Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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er, daß man ihn un­ter dem Na­men du Til­let ein­trug, un­ter dem er be­kannt ge­wor­den war, weil man ihn ja in die­ser Ge­mein­de aus­ge­setzt hat­te. Ohne Va­ter und Mut­ter, ohne an­dern Vor­mund als die kai­ser­li­che amt­li­che Vor­mund­schaft, al­lein in der Welt ste­hend, nie­man­dem Re­chen­schaft schul­dig, ging er ge­gen die Ge­sell­schaft, die ihn so stief­müt­ter­lich be­han­del­te, ohne Scho­nung vor; er ließ sich nur von sei­nem In­ter­es­se lei­ten, und um zu Ver­mö­gen zu ge­lan­gen, wa­ren ihm alle Mit­tel recht. Die­ser Nor­man­ne von ge­fähr­li­cher Be­ga­bung ver­band mit sei­nem Dran­ge, in die Höhe zu kom­men, die ab­sto­ßen­den Feh­ler, die man mit Recht oder Un­recht den Be­woh­nern sei­ner Hei­mat zu­schreibt. Hin­ter süß­li­chen Ma­nie­ren ver­barg sich ein rän­ke­süch­ti­ger Geist, denn er war der rück­sichts­lo­ses­te Pro­zes­sie­rer; so frech er nach dem Gut sei­nes Nächs­ten streb­te, so we­nig ließ er et­was von dem sei­ni­gen fah­ren; sei­ne Geg­ner er­mü­de­te er durch ge­dul­di­ges Ab­war­ten und durch eine un­beug­sa­me Wil­lens­kraft. Sei­ne wert­volls­te Fä­hig­keit war die der Sca­pins in der al­ten Ko­mö­die: er be­saß die­sel­be Frucht­bar­keit im Er­sin­nen von Aus­hilfs­mit­teln, die­sel­be Ge­schick­lich­keit, am Un­recht vor­bei­zu­strei­fen, die glei­che Gier, sich das an­zu­eig­nen, was man gern ha­ben und be­hal­ten möch­te. Schließ­lich glaub­te er, auf sei­ne Be­dürf­nis­se das­sel­be Wort an­wen­den zu dür­fen, das der Abbé Ter­ray im Na­men des Staats ge­brauch­te: es ge­nügt, wenn man spä­ter ein an­stän­di­ger Mensch wird. Aus­ge­stat­tet mit ei­nem lei­den­schaft­li­chen Tä­tig­keits­dran­ge, be­reit, mit sol­da­ti­scher Uner­schro­cken­heit von je­der­mann eine gute oder schlech­te Hand­lung zu for­dern, wo­bei er sei­ne For­de­rung schon durch sein per­sön­li­ches In­ter­es­se dar­an für ge­recht­fer­tigt an­sah, ver­ach­te­te er die Men­schen, die er alle für be­stech­lich hielt, zu sehr, war er zu we­nig zart­füh­lend in der Wahl sei­ner Mit­tel, von de­nen ihm je­des recht war, trach­te­te er zu hef­tig nach dem Gel­de, des­sen Be­sitz nach sei­ner Mei­nung von al­len mo­ra­li­schen Sün­den ab­sol­vier­te – als daß ihm nicht frü­her oder spä­ter der Er­folg si­cher ge­we­sen wäre. Ein sol­cher Mann, zwi­schen den Ba­gno und die Mil­lio­nen ge­stellt, muß­te not­wen­di­ger­wei­se rach­süch­tig, ei­gen­wil­lig, schnell in sei­nen Ent­schlüs­sen, aber hin­ter­häl­tig wie ein Crom­well sein, der der Recht­lich­keit den Kopf ab­schla­gen woll­te. Sei­ne Uner­gründ­lich­keit ver­barg sich hin­ter ei­nem spöt­ti­schen, leicht be­weg­li­chen We­sen. Ob­wohl nur ein­fa­cher Kom­mis in ei­ner Par­fü­me­rie­hand­lung, gab es für sei­nen Ehr­geiz kei­ne Gren­zen; er hat­te sei­nen haß­er­füll­ten Blick auf die gan­ze Ge­sell­schaft ge­rich­tet und zu sich ge­sagt: »Du wirst mir ge­hö­ren!« Er hat­te sich zu­ge­schwo­ren, erst mit vier­zig Jah­ren zu hei­ra­ten. Äu­ßer­lich war Fer­di­nand ein schlan­ker jun­ger Mann von gu­ter Fi­gur und Ma­nie­ren, die ihn be­fä­hig­ten, sich je­der Art von Ge­sell­schaft an­zu­pas­sen. Sein schlau­es Ge­sicht ge­fiel beim ers­ten Blick; aber wenn man ihn ein­ge­hen­der be­trach­te­te, so nahm man dar­auf einen ei­gen­ar­ti­gen Aus­druck wahr, wie er sich auf dem Ant­litz von Leu­ten malt, die mit sich sel­ber un­eins sind, oder de­ren Ge­wis­sen sich zu be­stimm­ten Stun­den mel­det. Der blü­hen­de Teint sei­ner zar­ten nor­man­ni­schen Haut hat­te eine grel­le Far­be.

      Der Blick sei­ner gla­si­gen, silb­rig schim­mern­den Au­gen war her­um­fah­rend, aber schreck­lich, wenn er ihn di­rekt auf sein Op­fer rich­te­te. Sei­ne Stim­me klang matt, wie die ei­nes Man­nes, der lan­ge Zeit ge­re­det hat. Sei­ne schma­len Lip­pen wa­ren nicht ohne An­mut; aber sei­ne spit­ze Nase, sei­ne leicht ge­wölb­te Stirn ver­rie­ten einen Feh­ler der Ras­se. Sein Haar end­lich, das wie schwarz ge­färbt er­schi­en, wies auf ein Ba­stard­ge­schöpf hin, das sei­nen Geist ei­nem lie­der­li­chen Grands­eigneur und sei­ne nied­ri­ge Ge­sin­nung ei­ner ver­führ­ten Bau­ern­magd, sei­ne Kennt­nis­se ei­ner un­voll­en­de­ten Er­zie­hung und sei­ne Las­ter sei­ner Ver­wahr­lo­sung zu ver­dan­ken hat­te. Bi­rot­teau sah mit großem Er­stau­nen, daß sein Kom­mis sehr ele­gant ge­klei­det aus­ging, sehr spät heim­kehr­te und Bäl­le bei Ban­kiers und No­ta­ren be­such­te. Die­se Ge­wohn­hei­ten miß­fie­len Cäsar; nach sei­ner Mei­nung muß­ten die Kom­mis die Ge­schäfts­bü­cher stu­die­ren und an nichts als an ihr Ge­schäft den­ken. Der Par­füm­händ­ler är­ger­te sich über Klei­nig­kei­ten, hat­te an du Til­let aus­zu­set­zen, daß er zu fei­ne Wä­sche trug, daß er Vi­si­ten­kar­ten be­saß, auf de­nen sein Name so ge­sto­chen war: »F. du Til­let«, was nach sei­nem kauf­män­ni­schen Rechts­emp­fin­den aus­schließ­lich für die Mit­glie­der der vor­neh­men Ge­sell­schaft paß­te. Fer­di­nand war zu die­sem Or­gon mit den Ab­sich­ten ei­nes Tar­tüff ge­kom­men; er mach­te sei­ner Frau den Hof, ver­such­te sie zu ver­füh­ren und be­ur­teil­te sei­nen Dienstherrn, wie sie selbst es tat, aber mit er­schre­cken­der Schnel­lig­keit. Ob­wohl dis­kret, zu­rück­hal­tend und nie mehr sa­gend, als er aus­spre­chen woll­te, ließ du Til­let doch sei­ne An­schau­un­gen über die Men­schen und das Le­ben in ei­ner Wei­se klar wer­den, daß eine Frau mit Ge­wis­sen­sängs­ten, die die re­li­gi­öse Über­zeu­gung ih­res Man­nes teil­te und es als ein Ver­bre­chen an­sah, ih­rem Nächs­ten auch nur das ge­rings­te Un­recht an­zu­tun, dar­über ent­setzt sein muß­te. Trotz der Ge­wandt­heit, mit der Frau Bi­rot­teau ihre wah­re Mei­nung ver­barg, ahn­te du Til­let doch, wel­ches Ge­fühl der Ver­ach­tung er ein­flö­ßte. Kon­stan­ze, der Fer­di­nand meh­re­re Lie­bes­brie­fe ge­schrie­ben hat­te, be­merk­te bald eine Ver­än­de­rung im We­sen ih­res Kom­mis, der sich einen über­mü­ti­gen Ton ihr ge­gen­über her­aus­nahm, als ob sie mit ihm im Ein­ver­ständ­nis wäre. Ohne ih­rem Man­ne et­was von ih­ren ge­hei­men Grün­den zu sa­gen, riet sie ihm, Fer­di­nand zu ent­las­sen. Bi­rot­teau war da­mit ein­ver­stan­den und es wur­de be­schlos­sen, dem Kom­mis zu kün­di­gen. Drei Tage vor dem Kün­di­gungs­ter­min mach­te Bi­rot­teau den Mo­nats­ab­schluß der Kas­se und stell­te fest, daß drei­tau­send Fran­ken fehl­ten. Sei­ne Be­stür­zung war furcht­bar, we­ni­ger um des Ver­lus­tes wil­len, als weil sein Ver­dacht sich auf alle, auf drei Kom­mis, eine Kö­chin, einen Haus­die­ner und meh­re­re an­ge­nom­me­ne Ar­bei­ter rich­ten muß­te. An wen soll­te er sich hal­ten? Frau Bi­rot­teau ließ das Kon­tor nie al­lein. Der Kas­sie­rer, ein Nef­fe Ra­g­ons, na­mens Po­pi­not, ein jun­ger Mann von neun­zehn Jah­ren, der bei ih­nen wohn­te, war die Ehr­lich­keit selbst. Sei­ne Zah­len, die im Wi­der­spruch mit der Sum­me in der Kas­se stan­den, zeig­ten ein De­fi­zit an und be­wie­sen, daß die Un­ter­schla­gung nach der Fest­stel­lung des Sal­dos ge­macht wor­den war. Die Ehe­leu­te be­schlos­sen, über die Sa­che Schwei­gen zu be­wah­ren und die An­ge­stell­ten zu be­ob­ach­ten. Am nächs­ten Tage, ei­nem Sonn­ta­ge, emp­fin­gen sie ihre Freun­de. Die Fa­mi­li­en, die zu die­sem Ge­sell­schafts­krei­se ge­hör­ten, be­wir­te­ten ein­an­der der Rei­he nach. Beim Ha­sar­die­ren nach Tisch leg­te der No­tar Ro­guin alte Louis­dors auf die Tisch­de­cke, die Frau Cäsar we­ni­ge Tage vor­her von ei­ner Neu­ver­mähl­ten, Frau d’Espard, er­hal­ten hat­te.

      »Ha­ben Sie eine Ar­men­büch­se be­stoh­len?« sag­te la­chend der Par­füm­händ­ler.

      Ro­guin er­wi­der­te, daß er das Geld von ei­nem Ban­kier du Til­lets er­hal­ten hät­te, was die­ser auch, ohne zu er­rö­ten, be­stä­tig­te. Der Par­füm­händ­ler aber wur­de dun­kel­rot. Als die Gäs­te fort wa­ren