er, daß man ihn unter dem Namen du Tillet eintrug, unter dem er bekannt geworden war, weil man ihn ja in dieser Gemeinde ausgesetzt hatte. Ohne Vater und Mutter, ohne andern Vormund als die kaiserliche amtliche Vormundschaft, allein in der Welt stehend, niemandem Rechenschaft schuldig, ging er gegen die Gesellschaft, die ihn so stiefmütterlich behandelte, ohne Schonung vor; er ließ sich nur von seinem Interesse leiten, und um zu Vermögen zu gelangen, waren ihm alle Mittel recht. Dieser Normanne von gefährlicher Begabung verband mit seinem Drange, in die Höhe zu kommen, die abstoßenden Fehler, die man mit Recht oder Unrecht den Bewohnern seiner Heimat zuschreibt. Hinter süßlichen Manieren verbarg sich ein ränkesüchtiger Geist, denn er war der rücksichtsloseste Prozessierer; so frech er nach dem Gut seines Nächsten strebte, so wenig ließ er etwas von dem seinigen fahren; seine Gegner ermüdete er durch geduldiges Abwarten und durch eine unbeugsame Willenskraft. Seine wertvollste Fähigkeit war die der Scapins in der alten Komödie: er besaß dieselbe Fruchtbarkeit im Ersinnen von Aushilfsmitteln, dieselbe Geschicklichkeit, am Unrecht vorbeizustreifen, die gleiche Gier, sich das anzueignen, was man gern haben und behalten möchte. Schließlich glaubte er, auf seine Bedürfnisse dasselbe Wort anwenden zu dürfen, das der Abbé Terray im Namen des Staats gebrauchte: es genügt, wenn man später ein anständiger Mensch wird. Ausgestattet mit einem leidenschaftlichen Tätigkeitsdrange, bereit, mit soldatischer Unerschrockenheit von jedermann eine gute oder schlechte Handlung zu fordern, wobei er seine Forderung schon durch sein persönliches Interesse daran für gerechtfertigt ansah, verachtete er die Menschen, die er alle für bestechlich hielt, zu sehr, war er zu wenig zartfühlend in der Wahl seiner Mittel, von denen ihm jedes recht war, trachtete er zu heftig nach dem Gelde, dessen Besitz nach seiner Meinung von allen moralischen Sünden absolvierte – als daß ihm nicht früher oder später der Erfolg sicher gewesen wäre. Ein solcher Mann, zwischen den Bagno und die Millionen gestellt, mußte notwendigerweise rachsüchtig, eigenwillig, schnell in seinen Entschlüssen, aber hinterhältig wie ein Cromwell sein, der der Rechtlichkeit den Kopf abschlagen wollte. Seine Unergründlichkeit verbarg sich hinter einem spöttischen, leicht beweglichen Wesen. Obwohl nur einfacher Kommis in einer Parfümeriehandlung, gab es für seinen Ehrgeiz keine Grenzen; er hatte seinen haßerfüllten Blick auf die ganze Gesellschaft gerichtet und zu sich gesagt: »Du wirst mir gehören!« Er hatte sich zugeschworen, erst mit vierzig Jahren zu heiraten. Äußerlich war Ferdinand ein schlanker junger Mann von guter Figur und Manieren, die ihn befähigten, sich jeder Art von Gesellschaft anzupassen. Sein schlaues Gesicht gefiel beim ersten Blick; aber wenn man ihn eingehender betrachtete, so nahm man darauf einen eigenartigen Ausdruck wahr, wie er sich auf dem Antlitz von Leuten malt, die mit sich selber uneins sind, oder deren Gewissen sich zu bestimmten Stunden meldet. Der blühende Teint seiner zarten normannischen Haut hatte eine grelle Farbe.
Der Blick seiner glasigen, silbrig schimmernden Augen war herumfahrend, aber schrecklich, wenn er ihn direkt auf sein Opfer richtete. Seine Stimme klang matt, wie die eines Mannes, der lange Zeit geredet hat. Seine schmalen Lippen waren nicht ohne Anmut; aber seine spitze Nase, seine leicht gewölbte Stirn verrieten einen Fehler der Rasse. Sein Haar endlich, das wie schwarz gefärbt erschien, wies auf ein Bastardgeschöpf hin, das seinen Geist einem liederlichen Grandseigneur und seine niedrige Gesinnung einer verführten Bauernmagd, seine Kenntnisse einer unvollendeten Erziehung und seine Laster seiner Verwahrlosung zu verdanken hatte. Birotteau sah mit großem Erstaunen, daß sein Kommis sehr elegant gekleidet ausging, sehr spät heimkehrte und Bälle bei Bankiers und Notaren besuchte. Diese Gewohnheiten mißfielen Cäsar; nach seiner Meinung mußten die Kommis die Geschäftsbücher studieren und an nichts als an ihr Geschäft denken. Der Parfümhändler ärgerte sich über Kleinigkeiten, hatte an du Tillet auszusetzen, daß er zu feine Wäsche trug, daß er Visitenkarten besaß, auf denen sein Name so gestochen war: »F. du Tillet«, was nach seinem kaufmännischen Rechtsempfinden ausschließlich für die Mitglieder der vornehmen Gesellschaft paßte. Ferdinand war zu diesem Orgon mit den Absichten eines Tartüff gekommen; er machte seiner Frau den Hof, versuchte sie zu verführen und beurteilte seinen Dienstherrn, wie sie selbst es tat, aber mit erschreckender Schnelligkeit. Obwohl diskret, zurückhaltend und nie mehr sagend, als er aussprechen wollte, ließ du Tillet doch seine Anschauungen über die Menschen und das Leben in einer Weise klar werden, daß eine Frau mit Gewissensängsten, die die religiöse Überzeugung ihres Mannes teilte und es als ein Verbrechen ansah, ihrem Nächsten auch nur das geringste Unrecht anzutun, darüber entsetzt sein mußte. Trotz der Gewandtheit, mit der Frau Birotteau ihre wahre Meinung verbarg, ahnte du Tillet doch, welches Gefühl der Verachtung er einflößte. Konstanze, der Ferdinand mehrere Liebesbriefe geschrieben hatte, bemerkte bald eine Veränderung im Wesen ihres Kommis, der sich einen übermütigen Ton ihr gegenüber herausnahm, als ob sie mit ihm im Einverständnis wäre. Ohne ihrem Manne etwas von ihren geheimen Gründen zu sagen, riet sie ihm, Ferdinand zu entlassen. Birotteau war damit einverstanden und es wurde beschlossen, dem Kommis zu kündigen. Drei Tage vor dem Kündigungstermin machte Birotteau den Monatsabschluß der Kasse und stellte fest, daß dreitausend Franken fehlten. Seine Bestürzung war furchtbar, weniger um des Verlustes willen, als weil sein Verdacht sich auf alle, auf drei Kommis, eine Köchin, einen Hausdiener und mehrere angenommene Arbeiter richten mußte. An wen sollte er sich halten? Frau Birotteau ließ das Kontor nie allein. Der Kassierer, ein Neffe Ragons, namens Popinot, ein junger Mann von neunzehn Jahren, der bei ihnen wohnte, war die Ehrlichkeit selbst. Seine Zahlen, die im Widerspruch mit der Summe in der Kasse standen, zeigten ein Defizit an und bewiesen, daß die Unterschlagung nach der Feststellung des Saldos gemacht worden war. Die Eheleute beschlossen, über die Sache Schweigen zu bewahren und die Angestellten zu beobachten. Am nächsten Tage, einem Sonntage, empfingen sie ihre Freunde. Die Familien, die zu diesem Gesellschaftskreise gehörten, bewirteten einander der Reihe nach. Beim Hasardieren nach Tisch legte der Notar Roguin alte Louisdors auf die Tischdecke, die Frau Cäsar wenige Tage vorher von einer Neuvermählten, Frau d’Espard, erhalten hatte.
»Haben Sie eine Armenbüchse bestohlen?« sagte lachend der Parfümhändler.
Roguin erwiderte, daß er das Geld von einem Bankier du Tillets erhalten hätte, was dieser auch, ohne zu erröten, bestätigte. Der Parfümhändler aber wurde dunkelrot. Als die Gäste fort waren