Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke


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und die Han­dels­häu­ser so ge­wal­ti­ge Bei­spie­le dar­bie­ten. Wa­rum kön­nen nicht neue Py­ra­mi­den im­mer­fort die­sen Grund­satz, der die Po­li­tik der Völ­ker wie des ein­zel­nen be­herr­schen soll­te, wie­der­ho­len: »Wenn die Wir­kung nicht mehr in rich­ti­ger Be­zie­hung und in glei­chem Ver­hält­nis zur Ur­sa­che steht, dann be­ginnt die Auf­lö­sung?« Aber die­se Mo­nu­men­te sind ja über­all vor­han­den, es sind die Über­lie­fe­run­gen und die Stei­ne, die zu uns von der Ver­gan­gen­heit re­den, die die Lau­nen des un­ent­rinn­ba­ren Ge­schicks be­stä­ti­gen, des­sen Hand un­se­re Träu­me ver­nich­tet und uns be­weist, daß die schwer­wie­gends­ten Er­eig­nis­se sich auf einen Grund­ge­dan­ken zu­rück­füh­ren las­sen. Tro­ja und Na­po­le­on sind bei­des nur Ge­dich­te. Möge die­se Er­zäh­lung das Ge­dicht der bür­ger­li­chen Um­schwün­ge sein, de­rer noch kei­ne Stim­me ge­dacht hat, ob­wohl sie mit dem­sel­ben Recht un­ge­heu­re ge­nannt wer­den kön­nen; es han­delt sich hier nicht um einen ein­zel­nen Men­schen, son­dern um ein gan­zes lei­den­des Volk.

      Beim Ein­schla­fen fürch­te­te Cäsar, daß sei­ne Frau ihm am an­dern Mor­gen noch ent­schei­den­de Ein­wür­fe ma­chen wür­de, und nahm sich vor, sehr früh auf­zu­ste­hen, um al­les zum Ab­schluß zu­brin­gen. Mit Ta­ges­grau­en ver­ließ er da­her das Bett, zog sich schnell an und ging in den La­den hin­un­ter, als der Haus­knecht die nu­me­rier­ten Fens­ter­lä­den ab­nahm. Da Bi­rot­teau al­lein war, war­te­te er, bis sei­ne Kom­mis auf­ge­stan­den wa­ren, stell­te sich an die Tür­schwel­le und paß­te auf, wie der Haus­knecht Ra­guet sei­ne Ar­beit tat, und Bi­rot­teau ver­stand sich auf sol­che Ar­beit! Trotz der Käl­te war das Wet­ter herr­lich.

      »Po­pi­not, nimm dei­nen Hut, zieh dir Schu­he an und rufe Herrn Cöles­tin her­un­ter; wir bei­de wol­len in den Tui­le­ri­en mit­ein­an­der re­den«, sag­te er, als er An­selm her­un­ter­kom­men sah.

      Po­pi­not, die­ses aus­ge­spro­che­ne Ge­gen­stück zu du Til­let, den ei­ner je­ner glück­li­chen Zu­fäl­le, die an eine Spe­zi­al­vor­se­hung glau­ben las­sen, Cäsar zur Sei­te ge­stellt hat­te, spielt eine so wich­ti­ge Rol­le in die­ser Er­zäh­lung, daß es nö­tig ist, ihn hier ge­nau­er zu zeich­nen. Frau Ra­gon war eine ge­bo­re­ne Po­pi­not. Sie hat­te zwei Brü­der. Der eine, das jüngs­te Kind, war da­mals Hilfs­rich­ter am Sei­ne­tri­bu­nal ers­ter In­stanz. Der Äl­te­re hat­te einen Han­del mit ro­her Wol­le an­ge­fan­gen, da­bei sein Ver­mö­gen zu­ge­setzt und war ge­stor­ben, in­dem er den Ra­g­ons und sei­nem Bru­der, dem Rich­ter, der kin­der­los war, sei­nen ein­zi­gen Sohn zur Ver­sor­gung hin­ter­ließ, der schon bei sei­ner Ge­burt die Mut­ter ver­lo­ren hat­te. Um ih­ren Nef­fen ei­nem Be­ruf zu­zu­wen­den, hat­te Frau Ra­gon ihn in das Par­fü­me­rie­ge­schäft ge­bracht, in der Hoff­nung, daß er ein­mal der Nach­fol­ger Bi­rot­te­aus wer­den wür­de. An­selm Po­pi­not war klein und hat­te einen Klump­fuß, ein Ge­bre­chen, das das Ge­schick auch Lord By­ron, Wal­ter Scott und Herrn von Tal­ley­rand hat zu­teil wer­den las­sen, um die an­dern da­mit Be­haf­te­ten zu trös­ten. Er hat­te den blü­hen­den, som­mer­spros­si­gen Teint der Rot­haa­ri­gen; aber sei­ne rei­ne Stirn, sei­ne Au­gen von der Far­be grau­ge­äder­ten Achats, sein hüb­scher Mund, die Rein­heit und Gra­zie keu­scher Ju­gend, die Ängst­lich­keit, die er sei­nes kör­per­li­chen Ge­bre­chens hal­ber emp­fand, tru­gen ihm hilf­rei­che Sym­pa­thi­en ein: man be­weist gern den Schwa­chen Lie­be. Po­pi­not in­ter­es­sier­te. Der klei­ne Po­pi­not, wie ihn alle Welt nann­te, ge­hör­te zu ei­ner streng re­li­gi­ösen Fa­mi­lie, in der die Tu­gen­den aus Ein­sicht ge­übt wur­den, und de­ren Le­ben be­schei­den und reich an gu­ten Ta­ten war. So zeig­te auch das von sei­nem On­kel, dem Rich­ter, er­zo­ge­ne Kind alle jene Ei­gen­schaf­ten, die die Ju­gend so schön er­schei­nen las­sen: keusch und lie­be­voll, et­was schüch­tern, aber vol­ler Ei­fer, sanft wie ein Lamm, aber flei­ßig bei der Ar­beit, hin­ge­bend und mä­ßig, be­saß er alle Tu­gen­den ei­nes Chris­ten aus den ers­ten Zei­ten der Kir­che.

      Als er von ei­nem Spa­zier­gang nach den Tui­le­ri­en re­den hör­te, dem un­ge­wöhn­lichs­ten Vor­schla­ge, den zu sol­cher Stun­de sein er­ha­be­ner Chef ma­chen konn­te, glaub­te Po­pi­not, daß die­ser mit ihm vom Hei­ra­ten re­den woll­te, und dach­te so­fort an Cäsa­ri­ne, die wah­re Kö­ni­gin der Ro­sen, das le­ben­de Wahr­zei­chen des Hau­ses, in die er sich an dem­sel­ben Tage, an dem er, zwei Mo­na­te vor du Til­let, bei Bi­rot­teau ein­ge­tre­ten war, ver­liebt hat­te. Beim Hin­auf­ge­hen muß­te er ste­hen blei­ben, so sehr schwoll ihm und so stark schlug ihm das Herz; bald kam er mit Cöles­tin, dem ers­ten Kom­mis Bi­rot­te­aus, zu­rück. An­selm und sein Chef gin­gen nun, ohne ein Wort zu re­den, nach den Tui­le­ri­en. Po­pi­not war jetzt ein­und­zwan­zig Jahr alt, in wel­chem Al­ter sich auch Bi­rot­teau ver­hei­ra­tet hat­te. An­selm sah da­her hier­in kein Hin­der­nis für sei­ne Hei­rat mit Cäsa­ri­ne, ob­gleich das Ver­mö­gen des Par­füm­händ­lers und die Schön­heit des Mäd­chens der Ver­wirk­li­chung so ehr­gei­zi­ger Wün­sche sehr be­denk­lich ent­ge­gen­stan­den; aber die Lie­be wiegt sich gern in den größ­ten Hoff­nun­gen und je aus­schwei­fen­der sie sind, um so mehr glaubt sie an ihre Ver­wirk­li­chung; je fer­ner da­her sei­ne Ge­lieb­te ihm zu ste­hen schi­en, de­sto leb­haf­ter be­gehr­te er sie. Glück­li­ches Kind, das in ei­ner Zeit der all­ge­mei­nen Gleich­ma­che­rei, wo alle die­sel­ben Hüte tra­gen, noch eine Di­stanz zwi­schen ei­nem Par­füm­händ­ler und sich, dem Nach­kom­men ei­ner al­ten Pa­ri­ser Fa­mi­lie, an­er­ken­nen zu müs­sen glaub­te! Aber trotz al­ler Zwei­fel, al­ler Un­ru­he war er glück­lich; er saß ja alle Tage bei Tisch ne­ben Cäsa­ri­ne! In der Art, wie er sich den Ge­schäf­ten des Hau­ses wid­me­te, be­wies er einen Ei­fer und eine Be­geis­te­rung, die der Ar­beit jede Bit­ter­keit nah­men; da er al­les für Cäsa­ri­ne tat, war er nie­mals müde. Bei ei­nem Jüng­ling von zwan­zig Jah­ren lebt die Lie­be von der Hin­ge­bung.

      »Der wird mal ein rich­ti­ger Kauf­mann, der kommt in die Höhe«, hat­te Cäsar von ihm zu Frau Ra­gon ge­sagt, als er An­selms Tüch­tig­keit im Fa­brik­ge­schäft und sein Ver­ständ­nis für die Fi­nes­sen der Kunst rühm­te und sei­nen Ar­beitsei­fer beim Ex­pe­die­ren er­wähn­te, wo der Hin­ken­de mit auf­ge­krem­pel­ten Är­meln und blo­ßen Ar­men mehr Kis­ten pack­te und zu­na­gel­te als die üb­ri­gen Kom­mis.

      Die be­kann­te und kund­ge­ge­be­ne Be­wer­bung Alex­an­der Crot­tats, des ers­ten No­ta­ri­ats­schrei­bers bei Ro­guin, das Ver­mö­gen sei­nes Va­ters, ei­nes rei­chen Päch­ters aus der Brie, leg­ten dem Sie­ge des Ver­wais­ten star­ke Hin­der­nis­se in den Weg; aber das wa­ren nicht die stärks­ten Schwie­rig­kei­ten, die zu über­win­den wa­ren; Po­pi­not trug tief im Her­zen noch ein trau­ri­ges Ge­heim­nis be­gra­ben, das die Ent­fer­nung zwi­schen Cäsa­ri­ne und ihm noch ver­grö­ßer­te. das Ver­mö­gen der Ra­g­ons, auf das er hät­te rech­nen kön­nen, war stark er­schüt­tert; er war glück­lich, zu ih­rem Le­bens­un­ter­halt mit bei­tra­gen zu kön­nen, in­dem er ih­nen sein be­schei­de­nes Ge­halt über­ließ. Und trotz al­le­dem glaub­te er an sei­nen Er­folg! Mehr­mals hat­te er Bli­cke auf­ge­fan­gen, die Cäsa­ri­ne mit of­fen­ba­rem Stolz auf ihn ge­wor­fen hat­te: in der Tie­fe ih­rer blau­en Au­gen hat­te er eine heim­li­che Re­gung voll sü­ßer Hoff­nun­gen le­sen zu kön­nen ge­meint. So schritt er da­hin, er­regt von sei­ner au­gen­blick­li­chen Hoff­nung, zit­ternd, schweig­sam und tief be­wegt,