ausgeheckt. Natürlich wurden die hunderttausend Franken, die Birotteau Roguin übergeben hatte, damit er sie anlege, du Tillet zugestellt, der, um den Parfümhändler zu verderben, Roguin begreiflich machte, daß er weniger Gefahr liefe, wenn er seine intimsten Freunde in seine Netze verstrickte. »Ein Freund«, sagte er, »legt sich auch noch im Zorne Mäßigung auf.«
Wenige haben heute eine Ahnung, wie gering in jener Zeit ein Quadratmeter der Terrains um die Madeleinekirche bewertet wurde; aber diese Terrains mußten notgedrungen höher, als ihr augenblicklicher Wert war, wieder verkauft werden, weil man genötigt war, Baulustige zu finden, die von der günstigen Gelegenheit Gebrauch machen wollten; du Tillet wollte nun eine solche Position dabei einnehmen, daß er den Gewinn einsteckte, ohne den Verlusten einer Spekulation auf lange Sicht ausgesetzt zu sein. Mit andern Worten: sein Plan ging darauf hinaus, das Geschäft selbst tot zu machen, um sich dann den Kadaver zuschlagen zu lassen, den wieder lebendig zu machen, er sich stark genug fühlte. Bei solchen Gelegenheiten pflegten die Gobseck, die Palma, Werbrust und Gigonnet Hand in Hand zu arbeiten; du Tillet war mit ihnen noch nicht in genügend intimen Beziehungen, um sie mit zur Hilfe heranzuziehen; er wünschte auch bei der ganzen Angelegenheit seine leitende Hand so versteckt zu halten, daß er den Nutzen aus dem Betruge einstecken konnte, ohne daß ein schmachvolles Licht auf ihn fiel; er sah sich daher genötigt, eine jener lebendigen Gliederpuppen heranzuziehen, die man in Kaufmannskreisen »Strohmänner« nennt. Sein bisheriger, von ihm vorgeschobener Börsenmann schien ihm geeignet, die Rolle seiner verdammten Seele zu übernehmen, und so griff er in das göttliche Recht ein, indem er einen Menschen schuf. Aus einem früheren Geschäftsreisenden ohne Mittel, ohne Fähigkeiten, außer der, endlos über jede Sache zu reden, ohne etwas zu sagen, mit einer seltenen Art Ehrgefühl, nämlich der Fähigkeit, ein Geheimnis zu bewahren und sich zugunsten seines Auftraggebers entehren zu lassen, machte du Tillet einen Bankier, der die größten Unternehmungen zustande brachte und leitete, den Chef des Hauses Claparon. Karl Claparon war dazu bestimmt, eines Tages den Juden und Pharisäern ausgeliefert zu werden, wenn die von du Tillet lancierten Geschäfte ein Fallissement nötig machen sollten, und Claparon wußte das auch. Aber für einen armen Teufel, der melancholisch auf den Boulevards mit einem Vermögen von vierzig Sous in der Tasche herumlief, als sein früherer Kamerad du Tillet ihm begegnete, waren die kleinen Gewinnanteile, die für ihn bei jedem Geschäft abfielen, ein Eldorado. Daher ließen seine Freundschaft und seine Ergebenheit für du Tillet, noch verstärkt durch ein unwillkürliches Dankbarkeitsgefühl und erhöht durch den Zwang der Bedürfnisse, die ein liederliches, unordentliches Leben mit sich brachte, ihn zu allem »Ja und Amen« sagen. Da er außerdem sah, daß seine verkaufte Ehre mit größter Vorsicht aufs Spiel gesetzt wurde, empfand er schließlich für seinen früheren Kameraden ein Gefühl der Anhänglichkeit, wie ein Hund für seinen Herrn. Claparon war zwar ein sehr häßlicher Pudel, aber immer bereit, den Curtiussprung zu tun. Bei der jetzt eingefädelten Kombination sollte er die eine Hälfte der Terrainskäufer repräsentieren, deren andere Cäsar Birotteau darstellte. Die Werte, die Claparon von Birotteau erhielt, sollten dann von einem der Wucherer, dessen Namen du Tillet vorschieben konnte, eskomptiert werden, um Birotteau in den Abgrund eines Fallissements zu stürzen, wenn Boguin mit dessen Gelde geflohen war. Die Konkurssyndici würden dann nach den Direktiven du Tillets handeln, der als Besitzer der Taler, die der Parfümhändler hergegeben hatte, und als Gläubiger unter verschiedenen Namen die Terrains zur Versteigerung bringen und sie für die Hälfte des Wertes würde erwerben können, indem er sie mit dem von Roguin hergegebenen Gelde und der Dividende des Konkurses bezahlte. Der Notar ging auf diesen Plan ein, weil er auf einen reichlichen Anteil an der dem Parfümhändler und seinen Mitinteressenten abgejagten Beute rechnen zu können glaubte; aber der Mann, dessen Belieben er sich ausgeliefert hatte, mußte sich natürlich den Löwenanteil sichern und tat das auch. Roguin, der du Tillet vor keinem Gericht verklagen konnte, war schließlich glücklich, daß ihm allmonatlich ein Knochen zum Abnagen in einem verborgenen Orte in der Schweiz hingeworfen wurde, wo er sich mit Frauenzimmern zu herabgesetzten Preisen begnügte. Die Verhältnisse und nicht etwa ein über eine Intrige grübelnder Tragödiendichter hatten diesen abscheulichen Plan entstehen lassen. Haß ohne das Verlangen nach Rache ist wie ein Saatkorn auf Granit; aber die Rache, die du Tillet Cäsar gelobt hatte, entsprach einer Regung der Menschennatur, oder man müßte den ewigen Kampf der gefallenen Engel mit den Engeln des Lichtes leugnen. Du Tillet konnte nicht ohne große Unannehmlichkeiten den einzigen Menschen in Paris, der seinen Hausdiebstahl kannte, ermorden; aber er konnte ihn in den Kot hinabstoßen und ihn so tief erniedrigen, daß sein Zeugnis wertlos wurde. Lange Zeit hatte die Rache in seinem Herzen gekeimt, ohne aufblühen zu können, denn auch der stärkste Hasser hat in Paris wenig Gelegenheit, Pläne zu schmieden; das Leben ist hier zu hastig und zu bewegt, es gibt hier zu viele unvermutete Zwischenfälle; aber wenn auch das ständige Auf und Ab keine langausschauende Vorbereitung gestattet, so ist es doch sehr geeignet, einen tief im Herzen versteckten Gedanken die flüchtigen Chancen erspähen zu lassen. Als Roguin du Tillet sein Herz ausgeschüttet hatte, sah der Kommis hierbei von ferne die Möglichkeit, Cäsar zu verderben, und er hatte sich darin nicht getäuscht. Da dem Notar bevorstand, sein Idol verlassen zu müssen, wollte er sich noch an dem Rest des Liebestrankes in dem zerbrochenen Becher erlaben; er begab sich alle Tage nach den Champs-Elysées und kehrte erst am frühen Morgen heim. Die mißtrauische Frau Birotteau hatte also recht gehabt. Sobald ein Mensch sich entschlossen hat, eine Rolle zu spielen, wie du Tillet sie Roguin übertragen hatte, zeigt sich bei ihm die Begabung eines großen Schauspielers, die Scharfsichtigkeit eines Luchses, das Ahnungsvermögen eines Hellsehers und die Fähigkeit, sein Opfer zu magnetisieren; so hatte der Notar Birotteau längst bemerkt, bevor dieser ihn gesehen hatte, und als der Parfümhändler ihn erblickte, streckte er ihm schon von weitem die Hand entgegen.
»Ich habe eben das Testament einer hohen Persönlichkeit aufgenommen, die keine acht Tage mehr zu leben hat,« sagte er mit dem unbefangensten Tone der Welt; »aber man hat mich wie einen Dorfarzt behandelt; holen ließen sie mich im Wagen und jetzt muß ich zu Fuß heimkehren.« Diese Worte zerstreuten die leichte Wolke von Mißtrauen, die die Stirn des Parfümhändlers verdunkelt und die Roguin bemerkt hatte; der Notar hütete sich auch, zuerst von der Terrainangelegenheit