Galopp der Rechtsmittel wurde mit einer Schnelligkeit in Bewegung gesetzt, wie der Scharfrichter seine »Maschine« handhabt. Molineux bewilligte weder einen andern Zahltag, noch einen Aufschub; in Mietsachen hatte er an Stelle des Herzens einen Knorpel. »Wenn Sie es nötig haben, will ich Ihnen Geld borgen,« sagte er zu einem zahlungsfähigen Manne, »aber Ihre Miete müssen Sie pünktlich bezahlen, jede Verzögerung bringt einen Zinsverlust für mich mit sich, für den uns das Gesetz nicht entschädigt.« – Nachdem er lange die phantastischen Launen der Mieter studiert hatte, die nie die gleichen waren und einander in der Weise folgten, daß der Nachfolger alles wieder anders einrichtete, hatte er sich ein bestimmtes Prinzip ausgedacht, an dem er unverbrüchlich festhielt. Er ließ grundsätzlich keine Reparaturen ausführen; die Kamine rauchten nicht, die Treppen waren sauber, die Zimmerdecken weiß, die Gesimse unversehrt, die Fußböden saßen fest auf ihren Balken, der Anstrich war in Ordnung; die Schlösser waren nicht älter als drei Jahre, keine Fensterscheibe fehlte, Löcher gab es nicht, Risse im Fußboden wurden nur sichtbar beim Ausziehen; wurde ihm die Wohnung wieder übergeben, so übernahm er sie in Gegenwart eines Schlossers, eines Malers und eines Glasers, sehr entgegenkommenden Leuten, wie er sagte. Dem neuen Mieter stand es dann frei, die Wohnung zu restaurieren; wenn der Unglückliche das aber machte, so grübelte der kleine Molineux Tag und Nacht darüber, wie er ihn wieder herausbringen könne, um über die neu in Ordnung gebrachte Wohnung wieder zu verfügen: er spionierte ihn aus, er paßte ihm auf und ließ eine ganze Serie übler Machenschaften gegen ihn los. Er kannte alle Finessen der Pariser Gesetzesbestimmungen über Mietverträge. Händelsüchtig und schreibwütig, verfaßte er sanfte, höfliche Briefe an seine Mieter; aber hinter seinem Stil, wie hinter seiner süßlichen und zuvorkommenden Miene verbarg sich die Seele eines Shylock. Er ließ sich immer halbjährlich voraus bezahlen, um beim Ablauf des Vertrages mit Bezug auf den langen Schwanz all der dornigen Bedingungen, die er ausgeheckt hatte, aufrechnen zu können. Er überzeugte sich stets, ob die eingebrachten Möbel genügend Deckung für den Mietzins gewährten. Über jeden neuen Mieter zog er genaue Erkundigungen ein, denn gewisse Berufe wollte er nicht aufnehmen, und der geringste Hammerschlag erschreckte ihn. Wenn dann ein Vertrag zu unterzeichnen war, hob er ihn erst bei sich auf und buchstabierte ihn erst acht Tage lang durch, denn er hatte Angst vor dem »et cetera« des Notars. Abgesehen von seinen fixen Ideen als Hausbesitzer war Jean-Baptiste Molineux ein guter, hilfsbereiter Kerl, er spielte seinen Boston, ohne zu schimpfen, wenn ihn sein Mitspieler im Stiche ließ; er lachte über das, worüber die Bourgeois zu lachen, redete über das, worüber sie zu reden pflegen, über die Willkürakte der Bäcker, die die Frechheit hatten, einem falsches Gewicht zu verkaufen, über die Polizei und über die heldenmütigen siebzehn Abgeordneten der Linken. Er las den »Bon Sens« des Pfarrers Meslier und ging zur Messe, da er sich zwischen Deismus und Christentum nicht zu entscheiden vermochte; aber die Hostie wies er niemals zurück und beklagte sich dann, daß er sich den um sich greifenden Anmaßungen der Geistlichkeit entziehen müsse. Über diesen Punkt schrieb er unermüdlich Petitionsbriefe an die Zeitungen, die diese weder abdruckten, noch zurücksandten. Im ganzen war er ein achtbarer Bourgeois, der am Weihnachtsabend feierlich seinen Holzkloben ins Feuer legt, den Dreikönigstag feiert, Aprilscherze ersinnt, bei schönem Wetter auf allen Boulevards zu sehen ist, den Schlittschuhläufern zuschaut und schon um zwei Uhr, mit einem Butterbrot in der Tasche, auf der Place Louis XV. erscheint, um an den Tagen, wo hier Feuerwerk abgebrannt wird, vornan zu stehen.
Der Holländische Hof, wo dieser kleine Alte wohnte, ist das Produkt einer jener verzwickten Terrainspekulationen, aus denen man nicht mehr klug wird, sobald es fertig ist. Dieses klosterartige Bauwerk mit inneren Arkaden und Galerien war aus Quadersteinen errichtet und am Ende des Hofes mit einem Brunnen geschmückt, aber einem durstigen Brunnen, der sein Löwenmaul weniger zum Speien von Wasser öffnete, als um alle Passanten um welches zu bitten; zweifellos hatte man auch das Stadtviertel Saint-Denis mit einer Art von Palais-Royal ausstatten wollen. Dieser ungesunde, auf allen vier Seiten von hohen Häusern umgebene Bau ist nur am Tage etwas belebt; er ist das Zentrum der dunklen Passagen, die hier zusammentreffen und das Viertel der Hallen mit dem Viertel Saint-Martin durch die berüchtigte Rue Quincampoix verbinden, feuchte Fußwege, in denen sich eilige Leute Rheumatismus holen; Nachts aber ist es die einsamste Stelle von Paris, man möchte es die Handelskatakomben nennen. Man findet hier verschiedene übelriechende Gewerbebetriebe, sehr wenig Holländer und viele Gewürzkrämer. Natürlich haben die Zimmer dieses Handelspalastes keine andere Aussicht als auf den gemeinsamen Hof, nach dem alle Fenster gehen, daher sind auch die Mieten hier äußerst niedrig. Herr Molineux wohnte hier in einer Eckwohnung, und zwar aus Gesundheitsrücksichten im sechsten Stock: die Luft war doch erst in einer Höhe von siebzig Fuß über dem Erdboden rein. Hier genoß der biedere Hausbesitzer den entzückenden Anblick der Mühlen auf dem Montmartre, wenn er sich zwischen den Dachrinnen, wo er Blumen zog, ohne Rücksicht auf die Polizeivorschriften bezüglich der hängenden Gärten des modernen Babylons, erging. Seine Wohnung bestand aus vier Zimmern, wozu noch sein kostbarer Dachboden in dem obersten Stockwerk kam: er besaß den Schlüssel dazu, er gehörte ihm, er hatte ihn eingerichtet, damit war für ihn in dieser Beziehung alles in Ordnung. Trat man bei ihm ein, so zeigte die unanständige Kahlheit sofort seinen Geiz an: im Vorzimmer standen sechs Strohstühle und ein Kachelofen, die Wände waren mit einer flaschengrünen Tapete beklebt und mit vier auf Auktionen gekauften Stichen geschmückt; im Speisezimmer befanden sich zwei Schränke, zwei Vogelbauer voll Vögel, ein mit Wachstuch überzogener Tisch, ein Barometer, eine Fenstertür, die nach den hängenden Gärten hinausführte, und mit Roßhaarstoff überzogene Mahagonistühle; der Salon hatte kleine Fenstervorhänge aus alter grüner Seide und weiße, mit grünem Utrechter Sammet überzogene Möbel. Das Schlafzimmer des alten Junggesellen hatte Möbel im Stil Ludwigs XV., die infolge des langen Gebrauchs so aussahen, daß eine in Weiß gekleidete Dame Furcht gehabt hätte, sich auf ihnen schmutzig zu machen. Der Kamin war mit einer von zwei Säulen getragenen Uhr geschmückt, zwischen denen ein Zifferblatt als Postament für eine lanzenschwingende Pallas diente: eine mythologische Darstellung. Der Fußboden war mit Schüsseln voller Speisereste für die Katzen so bedeckt, daß man befürchten mußte, hineinzutreten. Über einer Kommode aus Rosenholz hing ein Pastellbild (Molineux als junger Mann). Dazu einige Bücher, Tische mit gemeiner grüner