»Weil ich Schnupfe habe.« Sie sagte immer Schnupfe ohne n.
»Wegen einem Schnupfen kommt man nicht in die Klinik«, wurde sie von Fee beruhigt.
»Sie heult, weil ihr die Kinder leid tun, die in der Klinik liegen müssen«, sagte Danny.
»Tun mir auch leid«, schluchzte Anneka gleich los. »Will nie in die Klinik, nie, nie.«
»Du brauchst ja nicht in die Klinik«, sagte Danny tröstend. »Papi ist Arzt und Mami auch.«
»Aber so ein Glück haben nicht alle Kinder«, sagte Felix.
Er war eigentlich auch so ein Blümchen Rührmichnichtan gewesen, aber in der letzten Zeit hatte er sich gemausert, denn auch ihm stand nun der erste Schulgang bevor, und dafür machte er sich stark.
»Wenn Anneka lieber bei Lenni bleiben will, lassen wir sie eben hier«, sagte Daniel Norden. »Aber du darfst Lenni dann nicht die Ohren volljammern, wenn wir länger ausbleiben, Schätzchen«, redete er auf seine Jüngste ein. »Wir bleiben den Tag am See, wenn die Feier vorbei ist.«
Da wollte Anneka dann doch lieber mitfahren. Es war ein schöner, sonniger Tag. Nicht zu warm, wie schon so manche in diesem Sommer, die tropische Hitze gebracht hatten.
Mit Dr. Seeberg war Dr. Norden durch einen ganz besonderen Fall bekannt geworden, der allerdings schon Jahre zurücklag. Dr. Norden hatte ein kleines Mädchen behandelt, das an schwerem Asthma litt. Als der Vater des Kindes eine Stellung in einer Stadt annahm, die sechzig Kilometer von München entfernt lag, hatte Dr. Norden Erkundigungen nach einem Arzt eingezogen, der die Behandlung des scheuen Kindes fortführen konnte, und da war er durch seinen Schwiegervater Dr. Cornelius auf den Kinderarzt Dr. Seeberg aufmerksam gemacht worden.
Dem war es dann tatsächlich gelungen, die kleine Patientin zu heilen. Allerdings schob er es ganz bescheiden auch auf die Luftveränderung, die dem Kind sehr geholfen hatte.
Und nun, vier Jahre später, hatte Dr. Philipp Seeberg seinen langgehegten Plan verwirklichen können und die Kinderklinik gebaut auf einem Grundstück, das ihm ein alter Onkel vererbt hatte.
»Seeberg-Klinik am See«, sollte sie heißen, denn sie lag oberhalb des Sees.
»Sehr hübsch«, sagte Fee. »Richtig romantisch.«
»Ein duftes Haus«, sagte Danny.
»Das ist die Klinik«, erklärte Daniel.
»Sieht aber gar nicht so aus«, meinte Anneka, und ihr Gesichtchen hellte sich auf.
Dreißig Betten für den Anfang wären genug, hatte Dr. Seeberg gemeint, und teuer genug war auch das geworden. Doch der junge Arzt hatte seinen Wunschtraum verwirklicht und war bereit, persönlich jedes Opfer da-für zu bringen. Nur eine kleine Anzahl von geladenen Gästen nahm an der Einweihungsfeier teil, die im schlichten Rahmen stattfand. Die ersten Patienten wurden schon in den nächsten Tagen erwartet. Die Zimmer waren freundlich und darauf eingerichtet, daß auch die Mütter bei ihren Kindern bleiben konnten, wenn ihnen die Zeit dazu blieb.
Während sich die Nordens mit Dr. Seeberg unterhielten und sich darüber freuten, wie wohldurchdacht dessen Pläne waren, erschien Ulrich Harrer im Hause Diehl, um Nico abzuholen.
»Jetzt schon«, sagte Nico mürrisch, aber er hielt sich sehr tapfer. »Regt euch bloß nicht auf«, sagte er noch, dann marschierte er wie ein kleiner Held davon.
»Kinder dürfen nicht vorne sitzen«, wurde Ulrich Harrer belehrt, als er ihm die Tür aufhielt.
Dann kletterte er auf den Rücksitz.
»Mami hat hinten auch Gurte«, war dann seine nächste Beanstandung.
»Ich werde noch einiges von dir lernen, Nico«, sagte Ulrich mit nachsichtigem Lächeln.
»Ich hätte gerne noch zu Hause gegessen«, sagte Nico.
»Wir gehen zum Essen. Du kannst aussuchen, was du willst.«
»Ich möchte Blumenkohlsuppe, Rahmschnitzel und Eis«, erklärte Nico. »Das mag ich am liebsten, und das gibt es heute auch bei uns zu Hause.«
Ulrich preßte die Lippen aufeinander. »Du wirst es bekommen. Habt ihr Besuch?«
»Wieso?«
»Ich meine nur.«
Nico hüllte sich in Schweigen. Er starrte zum Fenster hinaus.
»Nach dem Essen gehen wir segeln, das macht dir doch sicher Spaß«, sagte Ulrich.
»Ich bin noch nicht gesegelt. Ich weiß nicht, ob es mir Spaß macht.«
»Bei mir wirst du viel lernen, Nico. Treibst du überhaupt Sport?«
»Natürlich. Ich kann schwimmen und skifahren, und nächstes Jahr lerne ich Tennisspielen.«
»Dann mußt du auch für die Schule lernen.«
»Das kann ich alles schon«, sagte Nico.
Den Appetit ließ er sich nicht verderben. Es war ein sehr feines Restaurant, in das Ulrich ihn geführt hatte.
»Im Jagdhof ißt man noch besser«, stellte Nico fest. »Da hüpfen die Ober zwar nicht so rum, aber die Suppe ist heiß, und die Salate sind ganz frisch. Aber am allerbesten schmeckt es mir bei Ömchen.«
Das mußte er loswerden, und Ulrich mußte wieder einmal schlucken, aber er wollte sich bei Nico einschmeicheln. Er wollte schließlich allerhand in Erfahrung bringen.
»Verstehst du dich eigentlich gut mit Dr. Arnim?« fragte er ganz beiläufig.
»Klar, mit Leo auch«, erwiderte Nico, denn seine besten Freunde wollte er nicht verleugnen.
»Wer ist Leo?« fragte Ulrich.
»Winnies Mann. Sie haben geheiratet. Die haben ein tolles Haus, so was haben Sie noch nicht gesehen.«
»Könntest du dich nicht endlich entschließen, du zu mir zu sagen?« fragte Ulrich unwillig.
»Nein«, sagte Nico lakonisch.
»Deine Mami hat es dir wohl verboten?«
»Mami verbietet nichts. Ich habe meinen eigenen Kopf«, erklärte Nico. »Ich mag nicht gleich alle Leute. Ich wollte ja nicht mitfahren, Sie wollten es. Und Mami hat gesagt, daß man dagegen nichts machen kann.«
»Für dein Alter bist du schon ganz schön keck«, sagte Ulrich.
»Ich darf nicht lügen«, erklärte Nico. »Wenn man lügt, kommt man in die Hölle.«
Er gab Ulrich noch manche Nuß zu knacken, aber als sie dann in einem schnittigen Boot auf den See hinaussegelten, schien es Nico doch zu gefallen.
»Gehört das Boot Ihnen?« fragte er.
»Ja, aber ich schenke es dir, wenn du du zu mir sagst.«
»Was soll ich denn damit anfangen? Ich bin noch zu klein für so was.«
»Dann bekommst du es, wenn du groß bist.«
»Dann ist es alt. Das ist bestimmt wie bei Autos. Da gibt es andere Modelle. Ich will auch nichts geschenkt haben.«
»Du bekommst eine ganze Fabrik, wenn du groß bist«, sagte Ulrich.
»Was soll ich damit? Ich werde Rechtsanwalt.«
»Du weißt wohl alles schon ganz genau, du Dreikäsehoch«, spottete Ulrich.
»Vielleicht werde ich auch Architekt wie Leo.«
Nico hatte sich vorgenommen, Ulrich nicht ein bißchen leiden zu mögen, aber das fiel ihm überhaupt nicht schwer. Diese dauernde Fragerei gefiel ihm überhaupt nicht, und daß er Dreikäsehoch zu ihm sagte, gefiel ihm erst recht nicht. Und es gefiel ihm schon gar nicht, als plötzlich ein Wind aufkam und es von Ferne her donnerte.
Und dann vernahm er ein Tuten. »Was ist das?« fragte er.
»Sturmwarnung«,