Helga geworfen haben könnte, die die Boutique neben der Buchhandlung besaß. Das wäre ihr allerdings nicht recht gewesen, denn diese hatte es faustdick hinter den Ohren.
Constance Clement kannte Fee noch nicht. Sie war schon längere Zeit nicht mehr in der Buchhandlung gewesen.
»Bleib doch zum Abendessen, Tim«, schlug sie vor.
»Vielen Dank, Fee, aber ich habe noch zu arbeiten«, erwiderte er rasch.
Und nun hatte er gewartet, bis sie endlich kam. Und sein Herz klopfte genauso stürmisch wie ihres. Er griff nach ihren Händen und drückte sie an seine Brust, ihre Blicke versanken ineinander, und keiner brachte ein Wort über die Lippen. Wortlos legte Tim dann auch seinen Arm um sie und führte sie zu seinem Wagen.
»Ein paar Minuten wirst du doch Zeit haben«, sagte er bittend. Sie nickte beklommen. Ein Kloß saß ihr in der Kehle. Er nahm ihre Hand und drückte sie an seine Lippen. »Mich wirst du nie mehr los«, sagte er. Er fuhr nur ein Stück und hielt in einer stillen Nebenstraße an.
»Constance«, sagte er zärtlich und streifte mit seinen Lippen ihre Stirn. Sie war wie betäubt. Sie konnte es nicht fassen.
»Meine Mutter ist wirklich sehr krank«, flüsterte sie. »Ich habe nicht geschwindelt.«
»Was kann man für sie tun?« fragte Tim.
»Ich weiß es nicht.«
»Hat sie einen guten Arzt?«
»Ich bezweifle es.«
»Dann werde ich Dr. Norden schicken«, sagte er. »Er ist der beste Arzt, den ich kenne. Wir sind befreundet. Er wird deine Mutter zur Insel der Hoffnung; schicken, und dort wird sie gesund. Meine Mutter ist jedes Jahr ein paar Wochen dort, jetzt auch.«
Constance sah ihn fassungslos an. »Das geht doch nicht«, flüsterte sie.
»Natürlich geht es.«
»Aber der Krankenschein liegt bei Dr. Brückner. Wir sind keine Privatpatienten, Tim.« Zum erstenmal sprach sie seinen Namen aus.
»Mach dir darum keine Gedanken, Constance.« Er kostete es aus, diesen Namen, der ihm so gefiel, auszusprechen. »Du hast jetzt mich. Ich schicke Dr. Norden noch heute zu deiner Mutter. Jetzt sagst du mir, wo du wohnst. Ich bringe dich nach Hause, und morgen sehen wir uns wieder. Aber du kannst mich heute abend auch anrufen.«
»Ich muß Mama doch erst fragen, ob sie einen anderen Arzt akzeptiert«, flüsterte Constance. »Kranke Menschen sind schwierig, Tim.«
»Gut, ich überlasse es dir. Ich rufe Dr. Norden an und sage ihm Bescheid, damit er weiß, um wen es sich handelt. Und wenn du ihn brauchst, kommt er. Du kannst dich darauf verlassen.«
»Und was sagst du ihm, um wen es sich handelt?«
»Um ein Mädchen, an dem mir sehr viel liegt.«
»Wieso gerade ich?« fragte sie bebend.
»Ja, wieso? Das kann man nicht erklären. Ich habe es gewußt vom ersten Augenblick an, Constance. Da gibt es nicht den geringsten Zweifel. Mein Wort darauf. Und sollte es da einen anderen Mann geben, kannst du ihm ausrichten, daß ein Thornhill niemals aufgibt, was er liebt.«
»Es gibt aber keinen«, sagte Constance.
»Um so besser«, sagte er und drückte ihre Hand an seine Wange.
*
Er blickte ihr dann nach, bis sie das Haus betrat und die Tür hinter sich schloß, aber vorher hatte sie ihm noch einmal zugewinkt.
Wie eine Träumende ging sie die Treppe hinauf. Konnte so etwas Wirklichkeit sein?
Sie lehnte an der Wand und preßte die Hände auf ihr wildklopfendes Herz. Einmal, als ihre Mutter noch nicht so krank war, war sie mit ihr in einem amerikanischen Film gewesen, der auch eine Liebesgeschichte schilderte.
»So etwas gibt es eben nur im Film«, hatte ihre Mutter da gesagt. »Die Wirklichkeit raubt einem alle Illusionen, Conny. Manchmal stiehlt man sich ein Glück, ein bißchen Glück, wenn man viel verloren hat, und dann muß man dafür leiden.«
Warum kamen ihr jetzt diese Worte in den Sinn, warum mußte sie darüber nachdenken?
Sie betrat die Wohnung ganz leise, denn sie vernahm ein Schluchzen. Schnell streifte sie den Mantel ab und eilte ins Wohnzimmer.
Ihre Mutter lag auf dem Sofa und krümmte sich vor Schmerzen. »Mama, was ist denn?« fragte Constance angstvoll.
»Dr. Brückner ist nicht da. Er ist im Urlaub. Ich halte es nicht mehr aus, Conny. Es ist zuviel. Ich kann nicht mehr.«
»Sei ruhig, Mama, ich rufe Dr. Norden«, sagte Constance. »Man sagte mir, daß er ein sehr guter Arzt ist.«
Dr. Norden saß beim Abendessen, als das Telefon läutete. Fee ging hin.
»Du, Tim? Ist etwas?« fragte sie.
Ihr Gesicht war ein einziges Fragezeichen, als sie seinen Worten lauschte.
»Ja, ich sage es Daniel«, erwiderte sie. »Aber du hättest doch schon vorhin etwas sagen können.«
Kopfschüttelnd setzte sie sich wieder an den Tisch. »Was ist mit Tim?« fragte Daniel.
»Er ist eine Überraschung wert. Er bittet dich, eine Frau Clement zu betreuen, falls ein Anruf von ihrer Tochter kommen sollte. Es sei dann gewiß dringend.«
»Hallo«, rief Daniel aus, »was hat das zu bedeuten?«
»Daß es sich um ein Mädchen handelt, an dem ihm viel liegt, aber Clarissa soll es jetzt noch nicht erfahren. Ich hab’s ja geahnt.«
»Was hast du geahnt?«
»Daß er verliebt ist. Weißt du, da haben die Männer so einen ganz besonderen Ausdruck in den Augen.«
»Die Frauen nicht?«
»Das kann ich schwer beurteilen.« Und da läutete das Telefon schon wieder. Diesmal tönte eine bebende Mädchenstimme an Fees Ohr. »Mein Name ist Constance Clement. Mir wurde gesagt, daß ich Dr. Norden um einen Hausbesuch bitten darf, wenn es dringend ist. Es ist sehr dringend.«
»Bitte, sagen Sie die Adresse«, sagte Fee. »Mein Mann kommt.«
»So, das war die Constance aus dem Wunderland der Liebe«, meinte Fee. »Du wirst dringend gebraucht, mein Schatz. Und schau sie dir genau an. Wenn Tim etwas an einem Mädchen liegt, ist es sehr ernst.«
»Nicht mal fertigessen darf ich«, brummte Daniel.
»Du bekommst alles frisch serviert, wenn du heimkommst«, sagte Fee.
»Ist ja gar nicht so weit«, meinte er, als er auf die Adresse schaute. »Sicher eine Patientin von Brückner. Die laufen mir jetzt die Praxis ein. Hat wohl allerhand verschusselt.«
»Ärzte sollten wissen, wann es Zeit ist, sich zur Ruhe zu setzen«, meinte Fee.
*
Was sich Daniels Augen bot, als Constance ihm die Tür öffnete, fand er höchst erfreulich, und in seinen Gedanken machte er Tim ein Kompliment. Als er dann jedoch Anita Clement untersuchte, wurde sein Gesicht sehr ernst.
Sie war jetzt zwar ziemlich apathisch, aber ihr Körper wurde von einem Schüttelfrost hin und her geworfen.
»Ich halte es für richtig, Ihre Mutter in die Klinik zu bringen, Fräulein Clement«, sagte er.
»Bist du einverstanden, Mama?« fragte Constance tonlos.
»Mir ist alles gleich«, erwiderte die Kranke kaum vernehmbar. »Nur nicht mehr so leiden.«
Dr. Norden bestellte einen Krankenwagen. Dann erst gab er der Kranken eine Injektion. Er wußte, daß er sehr vorsichtig sein mußte, denn er kannte ja die Anamnese nicht.
»Möchten Sie mitfahren?« fragte er das junge Mädchen.
»Ja, selbstverständlich«,