Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 4 – Familienroman


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an. Sie stempelte mich zum gewissenlosen Mitgiftjäger, der es nur auf das Vermögen ihrer Tochter abgesehen hatte. Ihr war jedes Mittel recht, um unsere Heirat zu hintertreiben – und schließlich hatte sie ja auch Erfolg.«

      »Vielleicht wollte sie sich nicht von Beatrix trennen«, sagte Gisela. »Manche Mütter stehen ihrem zukünftigen Schwiegersohn von vornherein ablehnend gegenüber, weil sie ihre Tochter nicht hergeben möchten.«

      »Ich würde diesen Einwand gelten lassen, wenn es sich um Lydia gehandelt hätte. Die ist nämlich die Lieblingstochter von Mathilde Harlan, obwohl ich denke, dass Frau Harlan froh gewesen wäre … Aber das gehört nicht hierher. Auf jeden Fall war Mathilde Harlans Liebe zu Beatrix nicht so maßlos, dass sie sie keinem Mann gegönnt hätte. Nur ich war ihr ein Dorn im Auge, denn mit einem reichen Schweizer konnte ich nicht konkurrieren.«

      »Ein reicher Schweizer?«

      »Beatrix hatte ihn im Urlaub kennengelernt. Er hat sich Hals über Kopf in sie verliebt und ist ihr nach Deutschland nachgereist. Frau Harlan war sich sofort darüber im Klaren, dass dieser Mann eine viel bessere Partie abgab als ein armer Schullehrer. Sie hat Beatrix zugesetzt, dass sie den Schweizer heiraten soll.«

      Wendelin seufzte, und Gisela wagte es nicht, eine Bemerkung fallenzulassen. Die bewunderte Beatrix schien dem Drängen ihrer Mutter nachgegeben und den reichen Schweizer erhört zu haben.

      Als ob Wendelin Giselas Gedanken erraten hätte, fuhr er fort: »Beatrix hat sich dagegen gewehrt. Sie hat mir hundertmal versichert, dass sie sich nicht würde beeinflussen lassen. Sie hat versprochen, mich zu heiraten, auch gegen den Willen ihrer Mutter und Schwester.«

      »Aber sie hat dieses Versprechen nicht gehalten«, murmelte Gisela.

      »Ich weiß bis heute nicht, was den Umschwung in Beatrix’ Gefühlen bewirkt hat. Gewiss, ihr Wesen hatte sich ein wenig verändert. Sie war nicht mehr so impulsiv wie zu Anfang unserer Bekanntschaft, sondern ruhiger – dabei aber sehr liebevoll. Und dann, eines Tages, ist sie nicht an unserem vereinbarten Treffpunkt erschienen. Ich habe gewartet und bin schließlich zu dem großen Haus in Hechingen gefahren. Frau von Harlan hat mich empfangen und mir mit kalter Überlegenheit mitgeteilt, dass Beatrix zu ihrem Verlobten in die Schweiz gefahren sei, um dort zu heiraten.«

      »Und Sie haben Beatrix Harlan nicht wiedergesehen und auch keine Nachricht von ihr erhalten?«

      »Nein. Ich war damals wie erschlagen. Ich beschuldigte Mathilde Harlan, dass sie Beatrix erpresst und zu der Heirat gezwungen habe. Es gab für mich keine andere Erklärung.«

      »Und was erwiderte Frau Harlan?«

      »Sie lachte mir ins Gesicht und machte mir klar, dass ich mich mit den Tatsachen abfinden müsste.«

      »An Ihrer Stelle wäre ich Beatrix in die Schweiz nachgereist.«

      »Ja. Leider war mir das nicht möglich. Ich habe seither oft genug meine eigene Dummheit verwünscht. Ich kannte weder den Namen des Verlobten noch den Ort, an dem er wohnte. Ich hatte mich nie dafür interessiert, verstehen Sie? Ich habe mich wie ein Idiot benommen und den Rivalen nicht ernst genommen. Ich war einfach überzeugt, dass Beatrix nur mich liebte. Aber geheiratet hat sie den anderen.«

      »Aber warum nur? Und so plötzlich?«

      »Ich kann mir auch keinen Grund dafür denken. Er war reich. Ich weiß zwar nicht, woraus dieser Reichtum bestand …«

      »Sie glauben, dass Beatrix des Geldes wegen …?«

      »Es klingt beschämend – und so unsinnig. Beatrix wusste, dass sie keine Reichtümer zur Verfügung hatte, sondern von meinem Gehalt lebte. Sie selbst war wohlhabend, denn ihr Vater hatte ihr sein Vermögen hinterlassen. Das war mir insofern nicht lieb, als es Mathilde Harlan ein Angriffsziel gegen mich bot. Ich habe Ihnen ja schon erzählt, dass sie mich als Mitgiftjäger bezeichnete. Mir war das Vermögen völlig gleichgültig, aber Beatrix wollte nicht darauf verzichten. Sie sprach davon, dass man leicht in Not geraten könne und dass es dann gut sei, wenn man über Rücklagen verfüge. Wenn es nach mir gegangen wäre …« Er brach ab, denn Lucie kam herbei und streckte Gisela den Strauß, den sie gepflückt hatte, entgegen. Er war so groß geworden, dass sie ihn in ihrer kleinen Hand kaum halten konnte.

      Gisela nahm den Strauß dem Kind ab und dankte ihm gebührend dafür. »So einen schönen Strauß hast du gepflückt? Gehört er mir?«

      Lucie nickte.

      »Da freue ich mich sehr. Zu Hause werde ich ihn gleich in eine Vase stellen. Die Tante Doktor, ihr Mann und Filzchen werden ihn sehen und fragen, wer ihn gepflückt hat. Und ich werde ihnen sagen, dass nur Lucie so einen prächtigen Strauß pflücken kann.«

      Lucie strahlte. Sie gingen weiter, wobei aber Lucie nicht mehr neben den Erwachsenen ging, sondern fröhlich vor ihnen herhüpfte. Oft blieb sie stehen, um einen Schmetterling oder eine Biene aufmerksam zu betrachten.

      »Wir müssen umkehren«, mahnte Gisela, und Lucie gehorchte sofort.

      Während des Heimweges war Gisela sehr nachdenklich. Sie musste den Bericht des Studienrats erst verdauen. Auch Wendelin schwieg, sodass Gisela schon befürchtete, er bereue seine Offenheit ihr gegenüber. Schließlich war sie eine Fremde für ihn. Doch Gisela wusste auch, dass sie genau der Typ war, dem man eingebildeten oder wirklichen Kummer gern anvertraute. Wie viele Freundinnen hatte sie schon bei akuten Anfällen von Liebeskummer getröstet und beruhigt! Sie selbst aber war gewöhnt, mit ihren Problemen allein fertig zu werden.

      »Ich muss die Wahrheit über Lucie herausbekommen«, sagte Wendelin plötzlich und riss Gisela damit aus ihren Gedanken.

      Gisela, die nahe daran gewesen war, ihn zu fragen, ob er Lucie für seine Tochter halte, konnte diese indiskrete Frage gerade noch zurückhalten. Stattdessen meinte sie: »In Ihrer Erzählung findet sich nirgends eine Erklärung für Lucies Vorhandensein. Wenn sie Beatrix Harlans Tochter wäre, müsste sie sich doch in der Schweiz aufhalten.«

      »Ich werde noch einmal nach Hechingen fahren«, erklärte Wendelin entschlossen. »Und wenn ich mit Gewalt gegen Frau Harlan vorgehen muss – sie wird mir Rede und Antwort stehen.«

      »Wenn Sie vorhaben, gewaltsam in das Haus einzudringen, sehe ich darin wenig Sinn«, meinte Gisela bedächtig. »Sie setzen sich damit nur ins Unrecht. Die alte Frau könnte die Polizei zu Hilfe rufen und Sie als Einbrecher festnehmen lassen.«

      »Imstande wäre sie es«, erwiderte Wendelin nachdenklich. »Ich fürchte, ich bin Mathilde Harlan nicht gewachsen. Sie scheint anzunehmen, dass ich Beatrix neuerlich für mich gewinnen will. Aber das ist keineswegs meine Absicht. Ich will nur Aufklärung über Lucie erlangen. Wenn ich nur einen Weg wüsste …« Er verstummte.

      Gisela überlegte. »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, so geht es darum, die alte Frau Harlan davon zu überzeugen, dass Sie Beatrix keineswegs nahetreten wollen«, begann sie zögernd.

      »Ja.«

      »Und Sie meinen, dass es auf diese Weise gelingen würde, der alten Frau die Adresse Ihrer Tochter herauszulocken.«

      »Genau.«

      »Nun, wie wäre es, wenn Sie mich nach Hechingen mitnehmen und als Ihre neue Freundin vorstellen würden?«, schlug Gisela ein wenig atemlos vor.

      Gisela war bei diesem Vorschlag errötet, doch Wendelin bemerkte das nicht. »Ja, das ist eine ausgezeichnete Idee!«, rief er freudig aus. »Frau Harlan wird dadurch annehmen, dass mir nichts mehr an Beatrix liegt. Außerdem sind Sie eine Fremde für sie. Ihnen gegenüber kann Sie keinen Groll hegen. Das müsste sie freundlicher stimmen.«

      »Auch Frau von Schoenecker, die Huber-Mutter, Nick und Pünktchen waren Fremde für Frau Harlan«, äußerte Gisela nachdenklich. »Das hat die alte Frau jedoch keineswegs zu besonderer Freundlichkeit bewogen. Na ja, egal. Wann fahren wir?«

      »Am liebsten würde ich sofort losfahren. Leider ist es für heute schon zu spät. Da ich morgen Unterricht habe, muss ich heute noch nach Stuttgart zurück. Ich habe erst am Sonntag Zeit für eine Fahrt nach Hechingen.«

      »Gut.