Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 4 – Familienroman


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begann Gisela, stockte dann aber, denn sie hatte sofort Gelegenheit, die Richtigkeit ihrer Vermutung bestätigt zu finden.

      Mathilde Harlan betrat den Salon. Als sie Wendelin erkannte, fuhr sie betroffen zurück. »Dieses dumme Ding«, schimpfte sie. »Ich muss ihr einschärfen, dass sie sich künftig nach den Namen der Besucher zu erkundigen hat, bevor sie sie in den Salon führt.«

      »Dann hätten Sie uns also nicht eingelassen«, stellte der Studienrat gleichmütig fest.

      »Gewiss nicht. Sie sind widerrechtlich hier eingedrungen. Ich wünsche, dass Sie mein Haus unverzüglich verlassen.«

      »Ich habe nicht die Absicht, lange zu bleiben«, erwiderte Wendelin kühl. »Dies hier ist Gisela, meine Verlobte. Wir sind zufällig in dieser Gegend. Da mir die Geschichte mit Lucie keine Ruhe lässt, habe ich beschlossen, die günstige Gelegenheit zu nützen und Sie nochmals aufzusuchen.«

      »Ich kenne keine Lucie. Es besteht kein Anlass, mich wegen dieser Lucie immer wieder zu belästigen«, entgegnete Mathilde barsch. »Auch dass Sie Ihr Freundin als Verstärkung mitgeschleppt haben, wird Ihnen wenig nützen. Überhaupt ist es eine Frechheit von Ihnen, diese Person in mein Haus zu bringen. Ich habe ja gewusst, dass es Ihnen bei Beatrix nur um ihr Vermögen zu tun war. Sonst hätten Sie sie nicht so schnell vergessen.«

      »Schnell vergessen? Es sind dreieinhalb Jahre her, dass ich Beatrix zum letzten Mal sah, und eigentlich bin ich heute nur deswegen gekommen. Teilen Sie mir Beatrix’ Aufenthaltsort mit, und ich verspreche Ihnen, dass Sie mich nie mehr zu Gesicht bekommen.«

      »Beatrix’ Aufenthaltsort«, wiederholte die alte Frau gedehnt. Sie versank in kurzes Nachsinnen. Endlich hob sie den Kopf und meinte entschlossen: »Warum nicht? Wenn Sie darauf bestehen, sollen Sie Ihren Willen haben. Ich werde Sie und Ihre – hm – Verlobte zu Beatrix führen.«

      Gisela überhörte geflissentlich die Beleidigung, die in den Worten der alten Dame lag. Sie hatte bis jetzt geschwiegen, jetzt aber entfuhr ihr die überraschte Frage: »Sie wollen uns zu ihr führen? Heißt das, dass Beatrix sich in der Nähe aufhält?«

      »Ja. Aber keine Angst, sie wird Ihnen nicht gefährlich werden. Sie ist nicht in der Lage, Ihnen Wendelin streitig zu machen.« Spöttisch musterte Mathilde Harlan Gisela, die dabei verlegen wurde.

      Der Studienrat bemerkte finster: »Sparen Sie sich diese sonderbaren Andeutungen und machen Sie Ihr Versprechen wahr.« Er musste sich sehr beherrschen, um ein Zittern seiner Stimme zu unterdrücken. Die letzte Bemerkung der Hausherrin hatte so unheimlich geklungen.

      Auch Gisela konnte sich dieser Wirkung nicht entziehen. Sie atmete auf, als sie wieder draußen im Garten im hellen Sonnenschein stand.

      Mathilde Harlan übernahm die Führung, und Wendelin und Gisela folgten ihr.

      »Sollen wir mit meinem Wagen …«, schlug Wendelin vor.

      Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Es ist nicht weit«, sagte sie.

      Gisela stolperte, und Wendelin griff besorgt nach ihrem Arm, um einen Sturz zu verhindern. »Hast du dir weh getan?«, fragte er.

      »Nein«, flüsterte sie, »aber – ich fürchte mich. Schon das Haus … Ich hatte das Gefühl, dass darin ein Unheil auf uns lauerte.«

      »Das einzige Unheil, das an dem Haus lauert, ist Mathilde Harlan«, flüsterte Wendelin zurück.

      Mathilde Wendelin war, ohne auf das Geflüster hinter ihr zu achten, flott vorangeschritten.

      »Rüstig ist sie noch, das muss man ihr lassen«, wisperte Wendelin.

      »Ja. Rüstig und – drohend. Wer weiß, wohin sie uns schleppt.«

      »Sie kann uns nichts anhaben«, suchte Wendelin Gisela zu beschwichtigen. »Allein die Idee ist lächerlich. Es ist helllichter Tag, und wir befinden uns neben einer viel befahrenen Straße.«

      »Kein einziges Auto ist vorübergekommen«, flüsterte Gisela.

      »Gisela! Du kannst doch nicht ernsthaft annehmen …«

      »… dass sie uns loswerden will«, vollendete Gisela den Satz. »Ein für alle Mal. Oder versteifst du dich zu der Behauptung, dass sie uns besondere Sympathie entgegenbringt?«

      »Nein, das bestimmt nicht. Trotzdem – der Verdacht, den du da andeutest, ist völlig aus der Luft gegriffen.«

      Gisela überging seinen Einwand. »Bisher habe ich Nick, der rundherum erklärte, dass Frau Harlan böse sei, keinen Glauben geschenkt. Aber wenn mir jemals ein böser Mensch über den Weg gelaufen ist …«

      »Du übertreibst!«, unterbrach Wendelin sie. »Ich habe alle Ursache, Frau Harlan nicht zu mögen. Trotzdem versteife ich mich nicht zu der Vermutung, dass sie uns in den finsteren Wald lockt, um uns dort umzubringen. Wie sollte sie das überhaupt bewerkstelligen? Sie hat weder ein Messer, noch einen Revolver bei sich.«

      »Du hast recht. Ich benehme mich töricht«, seufzte Gisela auf. »Aber dieses unheimliche Gefühl kann ich einfach nicht abschütteln.«

      »Mir geht es ähnlich«, gestand Wendelin.

      Wendelin und Gisela waren so in ihre geflüsterte Unterhaltung vertieft gewesen, dass sie nicht auf den Weg geachtet hatten. So war ihnen entgangen, dass sie seit einiger Zeit neben einer hohen Mauer einherschritten. Erst als Mathilde Harlan ein offenstehendes Tor passierte, wurden sie sich ihrer Umgebung bewusst.

      »Aber das ist …, das ist ja ein Friedhof«, keuchte Gisela voll Entsetzen.

      »Ganz recht«, erwiderte Mathilde Harlan mit aufreizender Ruhe.

      »Heißt das …« Gisela wagte es nicht weiterzusprechen.

      Wendelin war blass geworden. Er schien nicht imstande zu sein, ein Wort zu äußern.

      Mathilde Harlan ging zielstrebig an einer Gräberreihe vorbei und verschwand im oberen Teil des Friedhofes. Nun war es Gisela, die Wendelin am Arm fasste und weiterzog. »Wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren, sonst müssen wir stundenlang nach dem Grab suchen«, meinte sie.

      »Nein«, stöhnte Wendelin, »ich kann es nicht glauben. Vielleicht macht uns die alte Frau nur etwas vor.« Aber er wusste selbst, dass er sich damit an einen Strohhalm klammerte.

      Als er kurz darauf neben Mathilde Harlan vor einem Grab stand, konnte er an der traurigen Gewissheit nicht mehr zweifeln.

      Die Worte, die in den Grabstein eingemeißelt waren, sagten ihm, dass Beatrix Harlan tot war.

      Gisela betrachtete Wendelin voll Besorgnis. Seine Verzweiflung war offenkundig. Gisela suchte nach Worten, um ihm Trost zu spenden, aber sie fand keine.

      Mathilde Harlan stand steif aufgerichtet vor dem Grab. Ihre Miene war undurchdringlich, und doch beschlich Gisela das Gefühl, dass sich die alte Frau insgeheim an Wendelins Kummer weidete. Nein, das ist nicht möglich, schalt sich Gisela, ich darf nicht so schlecht von Mathilde Harlan denken. Die Verstorbene war ihre Tochter. Sie muss sie geliebt haben.

      Wendelins Blicke blieben an den goldenen Buchstaben, die Beatrix Harlans Geburts- und Sterbedatum nannten, hängen.

      »Nur vierundzwanzig Jahre waren ihr vergönnt«, klagte er. »Ich kann es einfach nicht fassen. Nie wieder soll ich in ihre lachenden Augen sehen …«

      »Da wird sich Ihre Verlobte aber freuen, wenn Sie jetzt von Beatrix zu schwärmen beginnen«, warf Mathilde Harlan höhnisch ein.

      »Wie können Sie es wagen, so zu sprechen!«, brauste die sonst so ruhige und bedachtsame Gisela zornig auf. »Ihnen scheint der Tod Ihrer Tochter in keiner Weise nahegegangen zu sein.«

      »Sie hat nur das bekommen, was sie verdient hat«, zischte Mathilde Harlan zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

      »Was wollen Sie damit andeuten?«, begehrte Wendelin auf, doch die alte Frau schwieg verdrossen.

      »Dem Grabstein entnehme ich, dass Beatrix vor drei Jahren gestorben ist«, sagte Wendelin etwas ruhiger. »Warum