James V. Schall SJ

Der Islam


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eng miteinander verwoben. Von Nichtmuslimen verlangt der Islam in den Gebieten, die er politisch kontrolliert, Unterwerfung; das hat Bat Ye’or in ihrem Buch Eurabia anschaulich gezeigt. Juden und Christen wird unter Umständen eine besondere Art der Unterwerfung zugestanden, die bisweilen Toleranz genannt wird und doch Unterwerfung bleibt. Die Kopten in Ägypten sind hierfür das vielleicht älteste noch existierende Beispiel.39 Und die verfolgten Christen im Sudan das anschaulichste.

      Das letzte Ziel

      Der erste Schritt im Umgang mit jeder Bewegung oder Religion besteht darin herauszufinden, was sie ist und was sie über sich selbst denkt. Natürlich ist das, was jemand seinen eigenen Worten zufolge denkt, und das, was er zu tun oder zu praktizieren gedenkt, nicht immer dasselbe. Doch nicht wenige Denker wie beispielsweise Hitler oder Lenin haben uns von vornherein gesagt, was sie dachten und was sie zu tun gedachten, und dann sind sie hingegangen und haben es getan. Niemand hatte ihnen geglaubt – bis sie das, wovon sie gesagt hatten, dass sie es zu tun gedachten, wirklich taten.

      In diesem Sinne sagen uns Mohammed und der Islam selbst mit Worten und Taten, was sie getan haben und was sie tun würden, wenn sie es könnten. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass Europa, wenn es nach dem Willen der islamischen Kriegsherren gegangen wäre, heute muslimisch wäre. Zu ebendiesem Zweck ließen sie ihre Truppen nicht nur in Afrika und den Nahen Osten, sondern auch in Europa einmarschieren. Und sie verstanden diesen Zweck als religiös: Die Armeen hatten eine Mission. Es ist derselbe Zweck, den die sogenannten »terroristischen« muslimischen Gruppierungen noch immer verfolgen. Europa ist heute nur deshalb nicht muslimisch, weil die muslimischen Armeen in hart umkämpften Schlachten in Frankreich und Österreich zurückgeschlagen wurden. Viele islamische Denker vertreten die Auffassung, dass jedes einstmals muslimisch kontrollierte und sodann zurückeroberte Gebiet (Spanien zum Beispiel) ihnen noch immer gehört. Es gibt keine legitime »Zurückeroberung« – damit waren die spanischen Wahlen von 2004, nur drei Tage nachdem Spanien selbst von terroristischen Bombenanschlägen erschüttert worden war, im doppelten Sinne eine Ironie der Geschichte.

      Überdies ist der größte Teil der Welt, der heute offiziell muslimisch ist, deshalb muslimisch, weil der Islam in seiner gegenwärtigen Gestalt noch immer auf die eine oder andere Weise von den langen Reihen seiner militärischen Siege und Eroberungen geprägt ist. Diese Situation ist, wie wir es auch drehen und wenden, schlichtweg eine Tatsache. Terroristische Aktionen werden heute in aller Regel damit begründet, dass muslimisches Territorium (Spanien, Israel, die Balkanstaaten) zurückerobert oder der muslimische Friede herbeigeführt, das heißt, die ganze Welt dem Gesetz des Islams unterworfen werden soll. Eine solche Herrschaft wäre in der Tat eine Art »Frieden«, nämlich das Ende aller äußeren Widerstände.

      Die derzeitige islamische Aufteilung in ein »Haus des Krieges« (die nicht muslimischen Länder) und ein »Haus des Friedens« wäre damit Geschichte. Ohne Zweifel ist der unerwartete Aufstieg eines sichtbar militanten Islams in den vergangenen Jahrzehnten die Folge gewisser muslimischer Theorien, denen zufolge der Westen moralisch schwach und degeneriert und nicht willens oder nicht in der Lage ist, sich einem geballten, vom »Heldenmut« der Selbstmordattentäter beflügelten Angriff zu widersetzen. Dass es, wie die beiden Irakkriege gezeigt haben, keine nennenswerte muslimische Armee gibt, die gegen gut ausgerüstete Truppen bestehen könnte, heißt nicht, dass kein Krieg stattfindet. Es heißt vielmehr, dass wir es mit einem unbegrenzten oder uneingeschränkten Krieg zu tun haben, der mit unkonventionellen Waffen geführt wird.

      Das Einzige, was heute wirklich neu ist, ist die Tatsache, dass es dem Islam, wenn er geduldig ist, infolge des rapiden Geburtenrückgangs unter den europäischen Bevölkerungen und des gleichzeitigen rapiden Anstiegs der muslimischen Geburtenzahlen in den betreffenden Gebieten wirklich gelingen könnte, in Europa und anderen Regionen die Kontrolle zu übernehmen. Dieses Drama sollte besonders für diejenigen Katholiken interessant sein, die einst an der Bedeutung von Humanae vitae gezweifelt haben. So gesehen erscheint die Enzyklika heute als eines der wichtigsten Dokumente des 20. Jahrhunderts. Vor diesem Hintergrund ist es vorstellbar, dass der Islam unter Umständen nur deshalb keinen Erfolg haben wird, weil er eben nicht den »friedlichen« demografischen Weg beschritten, sondern die eine Macht herausgefordert hat, die imstande ist, systematisch gegen ihn vorzugehen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob der politische Wille, sich der terroristischen Agenda zu widersetzen, in Demokratien langfristig aufrechterhalten werden kann. Die Terroristen ihrerseits scheinen gewieft genug, um zu verstehen, dass dieser Krieg nicht nur mit Armeen, sondern auch mit Ideen und Abendnachrichten geführt wird.

      Gegen eine gefährliche Bedrohung kann man nur wenig tun, solange man sich nicht über ihre wahre Natur im Klaren ist. Und selbst wenn Einigkeit darüber herrscht, dass sie real ist – ich denke hier etwa an das Münchner Abkommen oder an die sowjetische Kontrolle über Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg –, müssen auf die Einsicht, wenn sie denn stichhaltig ist, auch der Wille und die Entschlossenheit folgen, etwas zu unternehmen. Europa ist, so die berühmt gewordene Beschreibung eines deutschen Verlegers, ein Kontinent, der absolut nicht den Mut aufbringt, der ihm drohenden Gefahr ins Auge zu sehen. Die viel gepriesene europäische »Diplomatie«, die – wie bei dem Versuch, den Iran von der Herstellung von Nuklearwaffen abzubringen – keine Gewalt, sondern »andere« Mittel anwendet, ist schlichtweg nicht effektiv.

      Der Schrecken des terroristischen »Märtyrertods«

      Vielleicht ist auf allen nur möglichen Ebenen – von der Theologie über die Politik und die Medien bis hin zum gesunden Menschenverstand – nichts so klärungsbedürftig wie der Unterschied zwischen Selbstmordattentat und Martyrium. Schon die bloße Assoziation – dass sie als Manifestationen ein und derselben Sache miteinander in Verbindung gebracht werden – scheint geradezu obszön. Fürs Erste sollten wir festhalten, dass die muslimischen Apologeten und ihre Anhänger die Auffassung vertreten, ein Selbstmordattentäter sei ein Märtyrer. Ein Selbstmordattentat ist ein Akt, zu dem sich der Täter entscheidet, um seine persönliche Geschichte mit Allah dadurch zu verbessern, dass er sich der Förderung muslimischer Ziele (die gleichzeitig politisch und theologisch sind) verschreibt und sich selbst und andere im Dienst dieser »Sache« tötet. Dieses Vorgehen hat, was immer wir davon halten mögen, in einem großen Teil der muslimischen Welt seine Verfechter oder Sympathisanten. Stimmen, die diese Verbindung zwischen Selbstmord und Martyrium aktiv kritisieren, finden sich in der muslimischen Welt – auch wenn es sie gibt – eher selten.

      Für uns ist es, zynisch gesprochen, schön und gut, wenn wir unsere eigenen, unzureichenden Kategorien verwenden und denken, die verschiedenen Bin Ladens dieser Welt würden Selbstmordattentate lediglich als eine Form der Realpolitik und ohne religiösen Beigeschmack einsetzen. Und vielleicht fühlen wir uns dadurch bestätigt, dass nur selten al-Qaida-Anführer selbst solche Attentate verübt haben, auch wenn nicht wenige von ihnen von diversen sowohl muslimischen als auch amerikanischen Streit- oder Polizeikräften erschossen worden sind. Selbstmordattentate sind definitiv ein Mittel des Krieges, aber das heißt, theologisch gesprochen, nicht, dass sie nicht auch als ein Akt der Hingabe, als Martyrium, verstanden werden können. Kriege können »heilig« sein.