weil er Schlachten gewann. Dieser Erfolg sollte moderne Pazifisten nachdenklich stimmen, was jedoch meist nicht geschieht. Doch den Islam als eine Religion der Einfachheit zu bezeichnen, ist für Bellocs Begriffe eher ein Kompliment. Er weist darauf hin, dass er viele Menschen aus der Zwickmühle des Zinswuchers und vor dem Richter gerettet habe. Er befreite Sklaven, wenn sie konvertierten, und machte sie innerhalb des Systems zu Brüdern. Die Bruderschaft im Glauben hat Vorrang vor allen anderen Beziehungen. Belloc unterscheidet zwischen der anfänglichen Ausbreitung des Islams im Nahen Osten und seiner Expansion in persisches und mongolisches Gebiet – von Mesopotamien bis nach Indien und ins Oströmische Reich. »Der typische Gleichmut der asiatischen Gesellschaft fühlte sich sofort von dieser neuen Idee einer sehr einfachen, persönlichen Regierungsform angesprochen, die durch die Religion geheiligt war und mit theoretisch absoluter Macht von einem Zentrum aus regierte.«18 Durch diese Eroberungen lernte der Islam die griechische Philosophie und andere Kulturen kennen und legte so den Grundstein für einen Großteil seiner wissenschaftlichen und künstlerischen Errungenschaften. »Der Islam war die eine Irrlehre«, so Belloc, »die das Christentum durch seine frühe materielle und intellektuelle Überlegenheit um ein Haar vernichtet hätte.«19
Um die »Toleranz« des Islams insbesondere den Buchreligionen gegenüber ist viel Aufhebens gemacht worden. In vielen Fällen war diese Toleranz jedoch schlicht der Tatsache geschuldet, dass bei großen eroberten Völkern nicht binnen Kurzem ein Gesinnungswandel herbeigeführt werden konnte. Belloc vertrat die Auffassung, dass »das muslimische Temperament nicht tolerant« gewesen sei. »Es war im Gegenteil fanatisch und blutrünstig. Es empfand keinerlei Respekt und nicht einmal Neugier gegenüber jenen, von denen es sich unterschied. Es war auf absurde Weise selbstgefällig und blickte voller Verachtung auf die christliche Hochkultur seiner Umgebung herab. Und diese Verachtung hat es sich bis heute bewahrt.«20 Der praktische Kompromiss bestand in dieser Situation darin, dass die Christen bleiben durften – aber nur innerhalb sehr eng umrissener Grenzen und Beschäftigungen. Sie mussten Abgaben zahlen. Und viele wurden nach und nach vom Islam absorbiert, weil sie keine Chance sahen, ihm zu entkommen.
V
Dieser historische Befund – die Beständigkeit des Islams, seine Geschlossenheit, seine Treue zu sich selbst – verdienten, so Belloc, nähere Betrachtung. Der Islam war »die gravierendste aller Irrlehren« gewesen. Nun stellte sich die Frage: Warum hatte er überlebt? »Millionen moderner Menschen der weißen Zivilisation – das heißt der Zivilisation Europas und Amerikas – haben den Islam vollständig vergessen.«21 1938 konnte man das noch schreiben – 2003 nicht mehr. Die Frage, die sich heute stellt, lautet nicht einfach: »Warum hat er überlebt?«, sondern: »Warum war er erfolgreich?«. Man kann nicht umhin anzuerkennen, dass Belloc das Problem vorhergesehen hat: »Er ist de facto der gravierendste und ausdauerndste Gegner, den unsere Zivilisation je gehabt hat, und kann jederzeit in der Zukunft zu einer ebensolchen Bedrohung werden, wie er es in der Vergangenheit gewesen ist.«22 Eine solche Offenheit erlaubt uns weder unsere moderne Kultur noch die moderne Kirche.
In der Regel, glaubte Belloc, erzielen Irrlehren gewisse Anfangserfolge, ehe sie abebben und schließlich verschwinden. Beim Islam war das nicht so. Der Islam blieb, was die Zahl seiner Gläubigen und die Kraft seiner Überzeugungen anging, auch dann noch stark, als er bereits besiegt war. Inwiefern ist der Islam also anders als die anderen Irrlehren? Weil er einfach sei, sich auf die Gerechtigkeit gründe und dem Christentum gegenüber eine Verbesserung darstelle, meinen einige westliche Denker. Belloc wies dieses Argument mit der Begründung zurück, dass auch andere Irrlehren diesen Anspruch vertreten hätten und dennoch verschwunden seien. Historisch betrachtet gewann der Islam beständig neue Rekruten: die Türken, die Mongolen.
»Die Ursachen dieser Lebenskraft [des Islams] sind sehr schwierig zu sehen und können vielleicht nicht endgültig geklärt werden. Ich persönlich würde es in Teilen darauf zurückführen, dass der Islam deswegen, weil er von außerhalb kam, weil er eine Irrlehre war, die nicht innerhalb der christlichen Gemeinschaft, sondern jenseits ihrer Grenzen entstanden ist, immer über einen Vorrat an Menschen, an Neuankömmlingen verfügen konnte, die hinzuströmten und seine Kräfte wiederaufleben ließen. Dies kann jedoch nicht die vollständige Erklärung sein.«23
Heute, so vermute ich, gewinnt der Islam seine neuen Rekruten vor allem aus seinem eigenen Bevölkerungswachstum, mit dem er in das Vakuum vorstößt, das die niedrigen Geburtenraten des Westens hinterlassen haben. Die Kreuzzüge haben den Islam nicht geografisch gespalten. Belloc war der Meinung, dass der Islam vielleicht an Kraft verloren hätte, wenn Afrika durch die Kreuzzüge (1095–1200) von Asien abgeschnitten worden wäre. Interessanterweise vertreten viele Befürworter der Besetzung des Iraks heute dieselbe Theorie: dass der Islam aufgespalten sei und auf diese Weise seine geopolitische Macht verringert werden müsse.
Belloc war jedoch der Ansicht, dass der Islam, obwohl er sich auf seine militärische Stärke stützte, auch eine kulturelle Kraft besaß.
»Der Erfolg des Islams beruhte nicht darauf, dass er in Fragen der Philosophie und Moral etwas Befriedigenderes angeboten hätte, sondern, wie ich schon geschrieben habe, darauf, dass er dem Sklaven und dem Schuldner die Chance auf Freiheit bot und dass seine extreme Einfachheit den unintelligenten Massen gefiel, die den Mysterien, die untrennbar mit dem tiefen intellektuellen Leben des Katholizismus und mit der Radikalität seiner Menschwerdungslehre verbunden waren, ratlos gegenüberstanden.«24
Diese Position ähnelt der von Eric Voegelin, der die Auffassung vertrat, viele westliche Christen seien deshalb so empfänglich für moderne Ideologien, weil sie de facto nicht an das letzte, transzendente Ziel des Glaubens glaubten.25
Genau genommen vermutete Belloc einen Zusammenhang zwischen dem Scheitern der Kreuzzüge und dem Aufstieg des modernen Europa, das sich zunächst auf sich selbst konzentriert habe, ehe es mit der Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Asien die technischen Mittel fand, die islamischen Länder zu umgehen. Belloc vertrat sogar den Standpunkt, der Erfolg der Reformation sei in Teilen durch das Scheitern der katholischen und päpstlichen Politik in den Kreuzzügen bedingt gewesen. (Bellocs Buch The Crusades ist nach wie vor eine der erschütterndsten Darstellungen dieser gescheiterten Unternehmung.)
Wären die Truppen, die den Kreuzfahrern am Ende des ersten Kreuzzugs noch blieben, zahlenmäßig um ein weniges stärker gewesen und hätten sie Damaskus und die Reihe der Städte am Wüstensaum erobert, dann hätte die ganze Weltgeschichte einen anderen Verlauf genommen. Die Welt des Islams wäre in zwei Hälften geteilt und der westliche Teil außerstande gewesen, sich dem östlichen zu nähern.26
Die alten römischen Gebiete in Nordafrika wurden nicht zurückerobert. »Sie scheiterten, aber sie schufen das moderne Europa«, schreibt Belloc. Die Reformation sei eine Folge des geschwächten Zentrums und der mit der Bildung der modernen Nationen verloren gegangenen Einheit gewesen.
Am allerdeutlichsten war sich Belloc jedoch der Tatsache bewusst, dass das Christentum, anders als der Islam, seinen inneren Zusammenhalt, seinen Glauben nicht hatte bewahren können. »Das christliche Europa ist eins und sollte seiner Natur nach eins sein; doch es hat seine Natur vergessen, als es seine Religion vergaß.«27 Diesen Verlust des inneren Zusammenhalts im Westen setzte Belloc zu einem möglichen Wiedererstarken des Islams in Beziehung. Dass der Westen nicht verstehen konnte oder wollte, wie anziehend der Islam mit seiner inneren Geschlossenheit war, erklärte sich zum Teil daraus, dass er die Bedeutung von Religion generell herunterspielte. »Ich habe es schon immer für möglich und sogar für wahrscheinlich gehalten«, so Belloc,
»dass der Islam sich von Neuem erheben und dass die Generation unserer Söhne oder Enkel die Wiederaufnahme dieses furchtbaren Kampfs zwischen der christlichen Kultur und jener Macht erleben würde, die tausend Jahre lang ihr größter Gegner gewesen ist. […] Die Zukunft kommt immer überraschend, aber die politische Weisheit besteht in dem Versuch, sich ein zumindest unvollständiges Urteil darüber zu bilden, worin diese Überraschung bestehen könnte. Und ich für meinen Teil kann nicht umhin zu glauben, dass die Rückkehr des Islams eine der bedeutenderen unerwarteten Entwicklungen der Zukunft