Zerstörung des World Trade Centers angeführt hatte, diejenigen seiner Glaubensbrüder als Verräter, die besagte Bombenanschläge als »terroristische« Akte verurteilt hatten. Er sprach sich für weitere Attentate aus und kündigte sogar an, 5000 Dollar (offenbar der marktübliche Preis für einen solchen Akt) für einen Bombenanschlag zu spenden. So viel brauchte es seiner Einschätzung nach, um einen Anschlag wie den in London zu finanzieren: einen weiteren »Freiwilligen«, der andere tötet, indem er sich selbst tötet.
Selbstmordattentäter, die als Märtyrer gefeiert werden
Am 30. Juli 2005 berichtete der Londoner Spectator von der Beisetzung in absentia eines der Londoner Selbstmordattentäter, Shehzad Tanweer, in Pakistan. Es wurde aus dem Koran vorgelesen; eine große Menschenmenge war anwesend. Tanweer galt nach seinem »heroischen« Akt, der sieben Menschen getötet hatte, landläufig als »Märtyrer«. Das ist das Thema, über das ich diskutieren will: die Vorstellung, dass ein Selbstmordattentäter ein »Märtyrer« sei, ein Held, den man nachahmen solle und der unterstützt werden müsse, wohingegen die, die sich solchen Taten entgegenstellen, verurteilt werden, selbst wenn sie Muslime sind.
Am 20. August 2005 hielt Benedikt XVI. in Köln eine Ansprache vor führenden Vertretern des Islams, in der er nach einer gemeinsamen Grundlage von Muslimen und Christen suchte; bei dieser Gelegenheit sagte er:
»Ich bin sicher, auch Ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen, wenn ich unter allen Sorgen diejenige hervorhebe, die aus dem sich immer weiter ausbreitenden Phänomen des Terrorismus entspringt. […] In verschiedenen Teilen der Welt wiederholen sich fortlaufend terroristische Aktionen, die Menschen in Kummer und Verzweiflung stürzen. […] Terrorismus, welcher Herkunft er auch sei, [ist] eine perverse und grausame Entscheidung […], die das unantastbare Recht auf Leben mit Füßen tritt und die Fundamente jedes geordneten Zusammenlebens untergräbt.«36
Selbstmordattentate sind wahrscheinlich eine Form von »Terrorismus« – übrigens ein abstrakter Begriff, der Aussagen darüber vermeidet, »von wem« und »zu welchem Zweck« die betreffenden Taten verübt werden.
Die Frage ist, ob diese »gemeinsame Grundlage« existiert und wenn ja, worauf sie sich stützt. Zwischen der aktiven Förderung und der absoluten Verurteilung von Selbstmordattentaten gibt es ganz sicher keine gemeinsame Grundlage. Sie sind entweder richtig oder falsch. Wenn sie falsch sind, kann keine Organisation oder Bewegung, die sie aus prinzipiellen oder politischen Erwägungen heraus unterstützt, als Religion oder Philosophie anerkannt werden, so ernsthaft oder aufrichtig ihre Vertreter auch sein mögen. Gelten diejenigen Muslime, die die Selbstmordanschläge auf einer »gemeinsamen Grundlage« mit Christen und Juden – etwa auf der Basis des Naturrechts oder der Vernunft – verurteilen, nach herrschenden muslimischen Maßstäben auch als »Ketzer«? Ist irgendeine Situation denkbar, in der zu Selbstmordanschlägen ermutigt werden sollte?
Der von unbehaglich großen Teilen des Islams eindeutig vertretene Standpunkt, dass Selbstmordanschläge in moralischer Hinsicht begrüßenswert seien, ist sicherlich für viele Muslime ein Grund, Selbstmordattentäter als Märtyrer zu bezeichnen. Historisch gesehen war ein Märtyrer kein Selbstmörder und konnte auch keiner sein. Selbst Sokrates musste bei seinem Prozess erklären, weshalb es kein Selbstmord war, dass er den Tod aus den Händen des Staates akzeptierte und sein Todesurteil sogar selbst vollstreckte. Und es war auch kein Selbstmord, dass Christus sich freiwillig kreuzigen ließ. Ein Märtyrer ist nämlich das genaue Gegenteil eines Selbstmordattentäters. Ein Märtyrer ist jemand, der – eben dadurch, dass er zu Unrecht getötet wird – das sokratische Prinzip aufrechterhält, demzufolge es niemals richtig ist, sich selbst oder anderen unrecht zu tun.
Ein Selbstmordattentäter – um es einmal etwas direkter zu formulieren – kann zwar andere zu Märtyrern machen, aber niemals selbst ein Märtyrer sein. Sowohl Johannes Paul II. als auch Benedikt XVI. haben erklärt, dass derartige Taten niemals rational oder religiös gerechtfertigt werden können, auch wenn einige Religionen oder Sekten genau das versuchen. Hier verläuft eine Linie im Sand. Selbstmordattentate gutzuheißen und zu unterstützen heißt, dass man etwas in sich Böses als gut hinstellt. Das hat schwerwiegende Konsequenzen. Wenn Selbstmordanschläge – von terroristischen Anschlägen, die keinen Selbstmord beinhalten, ganz zu schweigen – befürwortet werden, weist dies darauf hin, dass die Lehre der Personen oder Gruppen, die die Argumente für diese Befürwortung liefern, nicht wahr sein kann.
Muslimische Ambivalenz?
Der italienische Journalist Sandro Magister hat in einem ausführlichen Beitrag die Verbindung zwischen den Anführern muslimischer Gruppen in Deutschland – mit Hauptquartieren in Köln und München – und den ägyptischen und syrischen Netzwerken der Muslimbruderschaft nachgezeichnet. Wir wissen, dass zumindest einige der Angriffe auf das World Trade Center ursprünglich in Deutschland geplant worden sind.
1994 wurde ein häufiger Besucher der Münchner Moschee, Mahmud Abouhalima, in den Vereinigten Staaten zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt, weil er ein Jahr zuvor den Autobombenanschlag auf das World Trade Center in New York organisiert hatte. Doch erst nach dem Einsturz der Twin Towers am 11. September 2001 wurden intensivere Nachforschungen angestellt, um die Verbindungen zwischen dem Terrorismus und den radikalislamischen Kreisen in Deutschland aufzudecken.37
Als 2005 in der BBC-Sendung Panorama darüber diskutiert wurde, ob die britische muslimische Gemeinschaft vor den Extremisten in ihren eigenen Reihen die Augen verschließe, »verurteilte« der führende britische muslimische Politiker Sir Iqbal Sacranie »von britischen Muslimen, ganz gleich wo verübte Selbstmordattentate«, und sagte, dass es zwischen dem Leben eines Palästinensers und dem Leben eines Juden keinen Unterschied gebe und dass alles Leben heilig sei. Dann aber sorgte ein hochrangiger Sprecher einer der wichtigsten Mitgliedsorganisationen des Muslim Council of Britain, der Muslim Association of Britain, mit einer Äußerung für Verwirrung, die den Eindruck erweckte, dass er »für die Verklärung von Selbstmordattentätern Verständnis habe«.38 Es ließen sich zahlreiche muslimische Quellen zitieren, die diesen letztgenannten Standpunkt billigen.
Angeführt von Premierminister Tony Blair und Präsident George W. Bush haben sich religiöse und politische Führer der westlichen Welt nach Kräften darum bemüht, die Unterscheidung zwischen dem »friedlichen« Islam und dem Terrorismus aufrechtzuerhalten. Wenn diese liberale und theologische Unterscheidung zuträfe, wäre damit implizit gesagt, dass nur »friedliche« Muslime »echte« Muslime wären. Leider beanspruchen auch die Terroristen die Deutungshoheit über die islamische Lehre für sich und führen hierfür gewichtige historische und doktrinelle Belege an. In gewisser Hinsicht wäre es »illiberal«, sie nicht beim Wort zu nehmen. Eines der Probleme bei der Einschätzung des Islams besteht darin, dass es im Islam selbst keine allerhöchste Autorität gibt, die entscheidet, welche der beiden Interpretationen die gültige ist. Für jede Fatwa, die Selbstmordattentate als falsch bezeichnet, wird aus ebenso glaubwürdiger Quelle eine andere erlassen, die sie für richtig erklärt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass Blair und andere sich immer häufiger dafür aussprechen, dass Muslime Verantwortung übernehmen, aufstehen und in öffentlich wahrnehmbarer Form nicht nur gegen den Terrorismus als Praxis, sondern auch dagegen Stellung beziehen, dass er als wesentlicher Bestandteil islamischer Quellen begriffen wird.
Die Prüfung Pius’ XII. war der Nationalsozialismus. Die Prüfung Johannes Pauls II. waren der Kommunismus und der absolutistische Liberalismus. Die Prüfung Benedikts XVI. war, zum Besseren oder zum Schlechteren hin, der Islam – und zwar im Kontext zu der Frage, ob die absolutistische liberale Theorie ihn zu zähmen vermag oder nicht. Doch anders als der Nationalsozialismus und der Kommunismus und anders als viele seiner akademischen Analysen kann der Islam nicht in erster Linie in den Begriffen der (oft deutschen) philosophischen oder gesellschaftlichen Strömungen des Westens gedacht werden. Genau genommen werden Versuche, das, was vor sich geht, mithilfe dieser Kategorien zu verstehen, die Wahrheit vermutlich eher verdunkeln als erhellen.
Geht man von seiner Vorgeschichte und seinen theologischen Voraussetzungen aus, ist eine neutrale oder tolerante Regierung