und da wir es hier mit einer sehr großen Religion zu tun haben, die zwar physisch gelähmt, in moralischer Hinsicht aber überaus lebendig ist, stehen wir vor einem instabilen Gleichgewicht, das nicht von Dauer sein kann.«28
Interessant ist, dass wir sogar jetzt, da der Islam in den Blickpunkt unserer Aufmerksamkeit zurückgekehrt ist, diese Rückkehr nicht als etwas Religiöses sehen wollen, das sich aus dem islamischen Denken selbst erklärt.
VI
Wie sollen wir Bellocs deutliche Worte bewerten? Der Islam umspannt die halbe Welt und teilt sich in zahlreiche »Nationen« auf, wobei der Nationalismus allerdings keine islamische Idee ist. Die zentralen Organe der Kirche sind offenbar dagegen, dass irgendetwas Grundlegendes gegen die islamische Bedrohung unternommen wird. Sie ziehen es vor, die Mittel der Diplomatie in Anwendung zu bringen und die verbreiteten Angriffe auf Christen überall in der Welt entschlossen zu ignorieren. Es ist interessant, dass diverse Vatikanbeamte als Grund für den Gewaltverzicht die Befürchtung anführen, dass der Islam sich erheben und die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzen könnte. Sie haben recht; die Gefahr ist real. Normalerweise wäre diese Sichtweise ein Argument dafür, nach Möglichkeit etwas gegen das betreffende Problem zu unternehmen, ehe Schlimmeres passiert – insbesondere dann, wenn das Problem im Islam selbst und in seiner Unfähigkeit wurzelt, normale, friedliche Gesellschaftsstrukturen zu akzeptieren. Fast alle kleineren Kriege der heutigen Zeit haben eine islamische Komponente. Innerhalb des Islams gibt es verschiedene Auslegungsschulen: angefangen bei den wohlfinanzierten wahhabitischen Extremisten in Saudi-Arabien bis hin zu den eher milden Versionen bestimmter schiitischer Gruppierungen.
Da wir tatsächlich nicht über eine gemeinsame Philosophie verfügen, vertreten Geopolitiker wie Theologen die Auffassung, dass wir nach Wegen suchen müssen, den Islam von innen her neu zu interpretieren, indem wir seine eigenen Texte und Überlieferungen dazu verwenden, den Extremisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, die derzeit ihre Chance wittern, die muslimische Weltherrschaft zu errichten. Auf den ersten Blick erscheint dies absurd. Doch, wie Belloc sagt, überraschende Dinge wie der Aufstieg des Islams oder des Christentums vor ihm oder, noch davor, des Judentums geschehen nun einmal. Das wirft die Frage auf, ob es nicht letztlich doch etwas gibt, was objektiv für die Realität der Heilsgeschichte spricht.
Bellocs Einschätzung war insbesondere für die Katholiken ernüchternd. Er lebte vor der »Ökumene«, doch deren Wirksamkeit wäre ihm im Falle des Islams sicherlich fragwürdig erschienen, auch wenn es ein Zeichen politischer Klugheit sein mag, es den muslimischen Philosophen nachzutun und keinerlei Wahrheiten auszusprechen, die außerhalb des Korans liegen. »Missionarische Bemühungen hatten auf ihn [den Islam] keine nennenswerte Wirkung«, so Bellocs Schlussfolgerung.
»Nach wie vor bekehrt er die heidnischen Wilden en gros. Er zieht sogar von Zeit zu Zeit den einen oder anderen exzentrischen Europäer an, der sich seiner Gemeinschaft anschließt. Niemals aber wird der Mohammedaner ein Katholik. Kein Bruchteil des Islams entsagt jemals seinem heiligen Buch, seinem Sittenkodex, seinem geordneten Gebetssystem, seiner einfachen Lehre. Angesichts dessen sollte jeder, der über eine gewisse Kenntnis der Geschichte verfügt, sich die Frage stellen, ob wir es nicht in Zukunft erleben werden, dass die politische Macht der Mohammedaner wieder erstarkt und der alte Druck des Islams auf das Christentum erneuert wird.«29
Das sind deutliche und historisch wahre Worte. Und heute kommen sie uns geradezu prophetisch vor. Nur wenige seiner Zeitgenossen haben Belloc große Aufmerksamkeit geschenkt. Obwohl es in unseren Tagen hin und wieder geschieht, dass Muslime zum Christentum konvertieren, bleibt es eine Tatsache, dass die Konversion in Ländern, in denen das islamische Gesetz gilt, verboten und auch außerhalb der muslimischen Welt aus sozialen und kulturellen Gründen nur schwer durchführbar ist.30
Alles in allem kann ich nicht umhin, der »augenscheinlich unbekehrbaren Religion« – dem radikalen Islam – dafür dankbar zu sein, dass er uns aufgerüttelt hat. Wir könnten die These aufstellen, dass all unsere Studien, all unsere Beschäftigung mit westlicher Ideologie und Macht womöglich verfehlt gewesen sind. Stattdessen hätten wir auf unsere Seelen achten und nach der besten Erklärung für unser Dasein und unsere Bestimmung suchen sollen. Der Islam hat eine andere Seele und eine andere Bestimmung, die er mit seinen bewährten Mitteln bis an die Enden der Erde zu tragen versucht – eine Idee, zu der ihn ironischerweise womöglich der Schluss des Matthäusevangeliums inspiriert hat.
5James V. Schall, »Belloc and the ›Apparently Unconvertible‹ Religion«, Vital Speeches of the Day 69, 1. April 2003, 375–382.
6Vgl. Leo Strauss, Persecution and the Art of Writing, Greenwood, Westport, Conn. 1973, 11–24; Ralph Lerner, Muhsin Mahdi, Medieval Political Philosoph, Cornell University Press, Ithaca 1978, 1–21.
7Roger Scruton, The West and the Rest: Globalization and the Terrorist Threat, ISI Books, Wilmington 2002, 59.
8Hilaire Belloc, The Great Heresies, Ignatius Press, San Francisco 2017, 99.
9Hilaire Belloc, Survivals and New Arrivals, MacMillan, New York 1929, 252.
10Ebd.
11Hilaire Belloc, The Great Heresies, 73.
12Ebd., 96.
13Hilaire Belloc, The Great Heresies, 92.
14Stanley L. Jaki, The Road of Science and the Ways to God, University of Chicago Press, Chicago 1978, 35–36.
15Hilaire Belloc, The Great Heresies, 98.
16Hilaire Belloc, The Great Heresies, 59–60.
17Hilaire Belloc, The Great Heresies, 61–62.
18Hilaire Belloc, The Great Heresies, 66.
19Ebd., 68.
20Ebd., 69.
21Hilaire Belloc, The Great Heresies, 71.
22Ebd.
23Hilaire Belloc, The Great Heresies, 97.
24Hilaire Belloc, The Great Heresies, 78.
25Eric Voegelin, Science, Politics, and Gnosticism, Regnery/Gateway, Chicago 1968, 109.
26Hilaire