Roland Lazenby

Kobe Bryant


Скачать книгу

      „Er war am Boden zerstört“, erinnert sich der ehemalige Sixers General Manager Pat Williams. „Er rechnete mit dem Schlimmsten. Dass seine Karriere nun vorbei sei und er in seiner Heimatstadt in Ungnade fallen würde. Es war der reinste Albtraum für ihn.“

      Damals kam es nicht selten vor, dass man für ein einfaches Drogendelikt sofort für längere Zeit ins Gefängnis wanderte. Dann war da natürlich noch die Sache mit der Gefährdung der Öffentlichkeit. Joe Bryant war mit seinem Wagen ohne Licht durch die Stadt gerast und hatte sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei geliefert, wobei erheblicher Sachschaden entstanden war. Rechnete man das zum Besitz von Kokain dazu, so konnte ein Richter ohne weiteres ein Exempel an ihm statuieren und er hätte sich nicht einmal beklagen können. Sofort nach dem Vorfall gab seine Frau Pam einem Tribune Reporter ein Interview, in dem sie schwor „bis zum bitteren Ende“ an Joes Seite zu stehen.

      Einige dachten wohl, dass John Cox jetzt endgültig der Schlag treffen würde, doch die Cox Familie war im August 1974 bereits einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, als Chubby wegen Handtaschenraubes angeklagt worden war. Glücklicherweise konnte sein damaliger Anwalt – ein gewisser Richie Phillips, der im Jahr darauf Joes Agent werden sollte – einen Freispruch für Chubby in allen Anklagepunkten erwirken.

      Nach Joes Anklage fand sich Phillips in einer Doppelrolle als Agent und Anwalt wieder, in der er sich recht wohlfühlte. Reportern erklärte er voller Selbstvertrauen, dass er davon ausging, dass alle Anklagepunkte gegen seinen Klienten fallengelassen werden würden – was recht erstaunlich war, wenn man an die erdrückende Beweislast dachte.

      Die erste Anhörung vor Gericht war für Anfang Juni anberaumt. Trotz der drakonischen Strafen, die routinemäßig für Drogenvergehen ausgesprochen wurden, hielt man Kokain zur damaligen Zeit für keine besonders gefährliche Droge. Obwohl diese Droge schon lange im Umlauf war, hatten es die südamerikanischen Drogenkartells in den 1970ern geschafft, sich am amerikanischen Markt zu etablieren und überschwemmten das Land mit dem weißen Pulver, das unter den Wohlhabenden des Disco Zeitalters so hip und beliebt war. Die American Psychological Association hatte die Droge noch nicht offiziell als süchtig machend eingestuft und sie war fast an jeder Ecke erhältlich, ganz besonders in der NBA, wo die neue Gehaltsstruktur den Spielern viel Geld beschert hatte.

      Im Jahr 1976 „verschnupften“ bereits einige Spieler einen Teil ihres Geldes, wenn man so sagen will. Es dauerte nicht lange, bis der NBA der Ruf von Drogenmissbrauch anhaftete. „Jeder nahm es“, erinnert sich Sonny Vaccaro. „Und ich meine wirklich jeder. Die ganze NBA-Kultur basierte damals auf Drogen.“

      Philadelphia war eines der vielen Teams, die sich nun im Sog einer sich immer schneller verändernden Populärkultur wiederfanden. Der Fall Jellybean war einer der ersten, der das Problem an die Öffentlichkeit brachte. „Eine Menge Leute in Philly machten sich Sorgen um ihn; sie mochten ihn und wollten ihn nicht untergehen sehen“, erklärt Dick Weiss, der damals viel über die 76ers berichtete. „Keiner sprach damals darüber. Würde so etwas heute passieren, ginge es durch alle Medien. Doch damals war es Teil der Kultur.“

      Wie auch immer, Bryants Verhaftung machte Schlagzeilen. Der Vorfall ließ ihn beinahe verzweifeln, doch neben Richie Phillips als seinem Anwalt gab es da noch einen weiteren wichtigen Faktor, der ihm half: seine Freundschaft mit Sonny Hill, in dessen Liga, wie erwähnt, viele Bewährungshelfer und andere Gerichtsmitarbeiter tätig waren. Und Hill würde es nicht zulassen, einen Spieler zu verlieren, den er selbst von den Straßen Philadelphias gerettet hatte.

      Phillips hatte bereits zwanzig Leumundszeugen organisiert, die als Fürsprecher für Bryant auftreten sollten, eine Taktik, die bei einer ersten Anhörung noch nie eingesetzt worden war. Auf der Liste standen auch Bryants Coach und der General Manager des Teams. Zwar war das Team gerade verkauft worden, doch der damalige Eigner Irv Kosloff hatte viel für Jellybean übrig und erschien als Leumundszeuge vor Gericht, genauso wie Joeys früherer Leichtathletiktrainer Reverend Eugene Festus, ein ehemaliges Mitglied der berühmten Harlem Hellfighters – einem US Infanterieregiment im ersten und zweiten Weltkrieg, das nur aus Afroamerikanern bestand – und der selbst eine Legende in Philadelphia war.

      Die Staatsanwaltschaft brachte eine Flut an Beweismittel ein, doch in der Verhandlung Commonwealth gegen Joseph Washington Bryant III kam Richter J. Earl Simmons schnell zu dem Schluss, dass kein ausreichender Verdacht für die Polizei bestanden hätte, Bryants Wagen zu durchsuchen. Das war eine erstaunliche Entscheidung, vor allem wenn man an Bryants Verhalten in der besagten Nacht denkt.

      Am Ende wandte sich der Richter mit folgenden Worten an Bryant: „Ich erwarte mir, dass Sie von nun an ein unbescholtenes Leben führen. Sie sind ein hochrangiges Mitglied unserer Gemeinde und ich erwarte, dass Sie sich auch so verhalten. Sie sind ein Vorbild für die Jugend in Philadelphia. Ich hoffe, dass Sie sich diese Rolle als Vorbild weiterhin verdienen.“

      „Der Verein stand zu ihm“, erinnert sich Pat Williams. „Joe war geknickt, aber unglaublich erleichtert und dankbar. Ich vermute, die ganze Sache hat ihm den Schock seines Lebens versetzt.“

      Am nächsten Tag titelte die Delaware County Times „Bryant kommt ungeschoren davon“, eine Meinung, die auch von anderen lokalen Medien geteilt wurde. Zumindest eine leichte Strafe hätte ihm gebührt, meinten sie.

      Zwar gab es keine offizielle Strafe, doch das Gespenst der Ereignisse jener Nacht sollte Bryant während seiner ganzen Karriere verfolgen. Für ihn war dies die schlimmste Strafe, die er bekommen konnte, eine Strafe, für die es keine Bewährung gab.

      Mit der Zeit wurde aber deutlich, dass die Entscheidung des Gerichts auch die Familie gerettet hatte. Wäre der Richter nicht so nachsichtig gewesen, hätte Joe Bryant leicht eine Gefängnisstrafe absitzen müssen und es hätte wohl nie einen Kobe Bryant gegeben. Fans der Los Angeles Lakers wären nie in den Genuss der außergewöhnlichen Persönlichkeit des Mannes gekommen, der sich selbst die schwarze Mamba nennen würde.

Teil 2

      Kapitel 6

      KOBE BEAN

      Im November 1977 legten die 76ers eine Siegesserie von 41 Spielen hin. Am Freitag vor Thanksgiving besiegten sie die Boston Celtics klar mit 121112. Sofort nach dem Spiel flogen sie zurück nach Philadelphia, wo sie innerhalb von drei Tagen ihre nächsten beiden Spiele, nämlich gegen Milwaukee und Houston, gewannen. Danach ging es nach Detroit, um gleich am nächsten Tag, Thanksgiving Day, wieder im Flugzeug zu sitzen. Irgendwann dazwischen fanden Joe und Pam Bryant Zeit, mit ihrem dritten Kind schwanger zu werden. Sharia hatte bereits 1976 das Licht der Welt erblickt und ihre zweite Tochter Shaya 1977. Genau neun Monate nach den Heimspielen vor Thanksgiving, kam ihr erster und einziger Sohn auf die Welt, am 23. August 1978, gerade nachdem Joe wieder einen erfolgreichen Sommer in der Baker League gehabt hatte.

      Der Stammbaum der Bryants hatte schon drei Generationen an Josephs hervorgebracht. Auch die Coxes hatten bereits drei Johns in Folge. Doch anstatt die Familientraditionen fortzusetzen, entschieden Pam und John ihren Sohn Kobe taufen zu lassen, angeblich, da sie während Pams Schwangerschaft ein köstliches Dinner in einem japanischen Steakhaus genossen hatten. Wie sie beide einmal später sagten, gefiel ihnen der Klang des Namens, vor allem da sie es Ko-bie und nicht wie im Japanischen Ko-be aussprachen. Und da sie nicht ganz auf eine namentliche Verbindung zwischen Vater und Sohn verzichten wollten, gaben sie ihrem Sohn einen Mittelnamen, der an den Spitznamen seines Vaters erinnern sollte: Bean. Wie in Kobe Bean Bryant. Als ob man weitere Beweise dafür benötigt hätte, wie verrückt das Paar war, würden einige Beobachter später einmal anmerken.

      Doch es waren die Siebziger, ein Jahrzehnt in dem eine neue Generation sich über die Grenzen vergangener Traditionen hinwegsetzte. Indem sie ihren Sohn Kobe Bean nannten, trafen Joe und Pam Bryant genau den Zeitgeist dieser Ära. Und sie waren ja schließlich auch ganz begeistert von dem Steak gewesen. Abgesehen davon würde sich dieser Name natürlich als die perfekte Wahl für ein Alleinstellungsmerkmal und bei der Vermarktung erweisen und ihren Sohn zu einem dieser Stars machen, die nur unter ihrem Rufnamen bekannt sind. Anfangs verwendeten die Zeitungen in Philadelphia noch beide