blieb mir nicht verborgen, dass die Stadt von Jahr zu Jahr westlicher und moderner wurde. Mittlerweile gab es Vergnügungsparks und Internet-Cafés, Sushi-Restaurants waren angesagt, und viele trugen ein Handy mit sich. Doch auch die Altstadt lebte weiter und man konnte sich nach wie vor herrlich im Labyrinth ihrer Gassen mit den bezaubernden Schätzen verlieren. Die Orte, die ich in meiner Heimatstadt am meisten liebte, hatten sich nicht verändert. Und immer noch blühte überall wilder Jasmin. In Kaskaden rankte er sich von den Balkonen und auf den Innenhöfen, quoll aus den Blumentöpfen, ergoss sich über die antiken Steinwälle, blühte zwischen den Pflastersteinen.
Meine syrische Familie – überwiegend selbstständige Kaufleute und kleine Gewerbetreibende – genossen, wie auch frühere Generationen, eine Ära der Stabilität, des Wachstums und des zunehmenden Wohlstands. Mohammads Friseursalon florierte, und seine Frau Ghouson bekam zwei weitere Kinder. Shireen hatte jetzt drei Jungen. Maha lebte nach wie vor in Kobane, jetzt mit acht Kindern. Hivron war fünffache Mutter und wohnte noch bei den Schwiegereltern. Sie und ihr Mann hatten sich bei Jarmuk, einem Vorort von Damaskus, überdies ein Sommerhaus gebaut. Meine jugendlichen Nichten und Neffen in Sham organisierten sich Ferienjobs und verdienten genug, um Handys und Sneaker zu kaufen.
Abdullah hatte seine Unterkunft immer noch bei Baba in Sham. Er war nun 33 Jahre alt und nach wie vor alleinstehend. Keine Partnerin, die wir vorschlugen, gefiel ihm. Die Frauen, die wir nannten, interessierten ihn nicht. Er wollte selbst wählen. Er ließ sich auch nicht drängen oder sich von seinen liebevollen, doch sehr dominanten, nervenden Schwestern die Entscheidung abnehmen.
Im Spätsommer 2010, kurz nachdem ich von einer meiner Sommerreisen nach Kanada zurückgekehrt war, fuhr Abdullah mit unserem Vater und Mohammad nach Kobane, um sich um den Olivenhain der Familie zu kümmern. Die Bäume trugen schöne, reife Früchte – nicht allzu viele, doch es war ein Anfang. Diese ersten Ernten brachten unserer Familie tatsächlich etwas Geld ein. Eines Tages arbeitete Abdullah auf der Plantage, als ihm eine junge Frau mit dunklen Haaren auffiel. Ihre Familie rief sie Rehan, das arabische Wort für Basilikum. Andere aber nannten sie Rehanna. Sie war 22 Jahre und sehr schüchtern, doch Abdullah fand schnell heraus, dass sie eine Cousine zweiten Grades war. In Syrien ist es nicht ungewöhnlich, dass man den Cousin oder die Cousine zweiten Grades heiratet. Abdullah verliebte sich in Rehanna.
Im September rief er mich an und verkündete: »Rehanna und ich gehen heute unsere Ringe kaufen.«
Ich freute mich sehr für die beiden. »Mabrouk! Glückwunsch! Mama wird sehr glücklich sein«, sagte ich. Ich blickte auf zum Himmel und sagte zu meiner Mutter: »Ich habe deinen Wunsch erfüllt.«
Zur Verlobung von Abdullah und Rehanna konnte ich nicht in Syrien sein. Doch ich rief natürlich an. Ich musste brüllen, damit mein Bruder mich über die lauten kurdischen und Beduinenklänge im Hintergrund hinweg überhaupt verstand. Offenbar feierte die ganze Stadt Kobane.
Einen Monat später kehrte das glückliche Paar nach Sham zurück, wo meine Familie eine kleine, entspannte Hochzeit im eigenen Heim ausrichtete. Meine Geschwister schickten mir einen endlosen Strom von Bildern von Abdullah und seiner schönen Braut. Wenn ich mir heute anschaue, wie die beiden sich ansahen, weiß ich, dass Abdullah eine Seelenverwandte gefunden hatte.
Wiederum einen Monat später rief Abdullah an und sagte: »Rehanna ist schwanger. Ich weiß nicht, wie ich neun Monate Warten durchstehen soll. Das ist viel zu lang. Ich bin so glücklich. Ich kann gar nicht glauben, dass ich Vater werde.«
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