Heike Meckelmann

Küstensturm


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leise und verschwand aus seinem Büro. Aufkeimende Wut und unsägliches Verlangen wüteten in ihm.

      *

      In der Hütte roch es nach Holz, Moos, gefolgt von einem Geruch, der nicht zuzuordnen war. »Macht mal sämtliche Fenster auf. Hier muss dringend gelüftet werden. Die scheint schon länger leer zu stehen«, murmelte Lotta pragmatisch, rümpfte die Nase und setzte ihre Tasche am Boden ab. Zielstrebig stakste sie zum Sprossenfenster, das sich über der Spüle befand, und versuchte, es mit beiden Händen zu entriegeln. »Das geht so nicht«, stellte sie fest. »Wir müssen zuerst die Fensterläden von außen öffnen. Die sind verhakt.« Sie trat vor die Tür. Draußen war es durch den dichten Baumbestand mittlerweile dunkel. Stina, die ihr gefolgt war, sog die feuchte Waldluft tief in ihre Lunge und half Lotta. Nacheinander öffneten sie die Läden aller drei Fenster und befestigten die angebrachten Haken an den Halterungen der Holzwand. Das unheimliche Rauschen, das sie vorhin im Wald wahrgenommen hatten, schwoll immer mehr an. Der Wind hatte zugenommen. Tilda, die die Freundinnen durch das Fenster beobachtet hatte, stieß den Fensterflügel von innen auf und rief mit einem Grinsen im Gesicht: »Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen. Kommt nur herein, hier gibt es leckere Weinchen und ein wärmendes Feuer.« Sie kicherte. Lotta stand mit verschränkten Armen vor der Hütte, schüttelte den Kopf und schmunzelte. Stina eilte zurück ins Innere, zog das Handy aus ihrer Jackentasche, stellte es an und warf erneut einen Blick auf das Display. Jede Menge Mitteilungen waren dazugekommen. »Er soll in der Hölle schmoren«, schnaubte sie und schaltete das Telefon sofort wieder aus.

      Die nach Moos riechende Waldluft drang durch das geöffnete Fenster in das Häuschen ein und durchzog den Raum.

      »Das riecht schon wesentlich besser. Lasst die Tür auch einen Moment offen stehen. Wir werden erst mal die Hütte inspizieren«, sagte Stina. Sie zog ihre Jacke aus, legte sie über einen der leeren Stühle, sah sich um und schlich auf eine Tür zu, die sie anhand eines Emailleschildes als Badezimmer ausmachte. Sie öffnete die Tür. Enttäuscht starrte sie in den schmalen Raum, der einem Schlauch ähnelte. »Hier riecht es auch nicht gerade berauschend. Keine Badewanne, und die Dusche ist, ehrlich gesagt, eine Katastrophe.« Sie deutete auf das winzige Waschbecken und die Toilette, die direkt unter ein schmales Fenster gequetscht war. »Nicht gut!«

      »Wir sind hier in einer Waldhütte. Was hast du erwartet? Badewanne mit Whirlpool? Hier geraten wir an die Basis des Lebens. Einfach und gediegen bringt es uns back to the roots.« Lotta lachte, als Tilda ihre Freundin beschwichtigte. »Ich glaube, wir werden hier jede Menge Spaß haben. Und sieh mal, wir haben hier sogar einen Kamin. Genügend Holz hab ich unter dem Dachvorstand gesehen. Wirst sehen, das wird richtig kuschelig«, sagte die praktisch veranlagte Lotta und versprühte Optimismus. »Und was ich noch anmerken wollte und ich hoffe, ich habe euren ungeteilten Zuspruch: Ab jetzt herrscht Handyverbot! Wir werden hier wirklich in der Natur mit der Natur leben und uns nur auf uns beschränken. Ich halte das für eine tolle Erfahrung.« Tilda streckte die Hand aus und forderte die Handys der Freundinnen ein. »Ich möchte nicht, dass uns in dieser Woche irgendetwas stört.« Lotta überreichte es ihr bereitwillig. Stina zögerte. Sie musste wissen, was Marcel … Widerwillig reichte sie Tilda ihr Telefon. Die Philosophiestudentin legte die Handys in die Schublade einer Kommode, die unter dem Spülbecken direkt unterhalb des Fensters eingebaut war. Stina umfasste ihre Schultern. »Ist ganz schön eisig hier«, murmelte sie und zog ihre Jacke wieder an. »Ich mach gleich Feuer«, kündigte Tilda an und ging auf die noch verschlossene Tür zu. »Da ist sicher unser Schlafzimmer«, lotste sie die Freundin von ihrem Handy weg.

      »Uhu«, schallte der Ruf der Eule aus dem Wald. »Mach die Fenster zu«, rief Stina und hielt sich die Ohren zu.

      Draußen war es stockdunkel. Tilda drehte den Türknauf in der Hand, um in das zweite Zimmer zu kommen, als der Fußboden im Nebenraum knarzte. Die drei Freundinnen fuhren zusammen. Stina schrie. Dann schlug die Haustür mit lautem Knall ins Schloss.

      *

      Der Lkw hielt auf einem Rastplatz an der A1. Der Fahrer stieg aus. »Bin gleich wieder da«, murmelte er und verschwand. Der Fahrzeugführer seiner Mitfahrgelegenheit steckte den Tankstutzen in die Öffnung und wartete. Es dauerte eine Weile, dann verschloss er sie wieder und stiefelte Richtung Kassenhäuschen. Ludger Hanke nutzte die Zeit, öffnete die Beifahrertür und schwang sich aus dem Führerhaus, um eine zu rauchen. Neben ihm hielt ein weiterer Lastwagen. Der schlaksige Mann mit dem langen Zopf und dem dichten Bart stand rauchend da und sah sich um. Der Fahrer stieg ebenfalls aus und grüßte. »Na, auch vollmachen?«, fragte er und deutete auf den Tank des Fahrzeugs. »Ne, nur ’ne Handvoll Wasser loswerden.«

      Ein schwarzer Audi stand abseits und zwei Männer beobachteten die Lkws, zwischen denen sich der hagere Mann bewegte.

      »Auch gut«, antwortete die schlanke Gestalt und zog an der Zigarette. »Wo geht’s denn hin?«, wollte er wissen. »Kopenhagen«, lautete die knappe Antwort.

      »Da müssen Sie doch über Puttgarden.«

      »Genau, mein Bester.«

      »Können Sie mich mitnehmen? Ich muss genau dorthin.«

      »Kein Problem. Steigen Sie ein. Ich bin gleich wieder da.« Der Raucher grinste und sah sich um. Keine Menschenseele zu sehen. Nur der Wagen, in dem die Männer saßen. Sie schienen ihn zu beobachten. Der Bärtige drückte die Zigarette am Boden aus und schlich auf das Auto zu. Ein dritter Mann stieg gerade in den schwarzen Audi mit Lüneburger Kennzeichen. Mit einem Satz stand er neben dem Wagen und sah die Männer durchdringend an. Dann verschwand er zwischen den Lkws, zerrte seinen Rucksack aus dem Führerhaus und öffnete die Fahrertür, sodass niemand mitbekam, dass er umstieg. Wenig später kam der Fahrer der neuen Fahrgelegenheit zurück, während der andere noch immer an der Kasse wartete, um sein Geld loszuwerden. Er grinste und wusste, dass er seinem Ziel näher kam. Die Männer in dem Audi sahen dem Lkw nach und warteten auf den Fahrer des ersten Lastkraftwagens, um die Verfolgung aufzunehmen.

      *

      Der nächste Morgen war wesentlich freundlicher. Der Nebel hatte sich verzogen, und die Sonne lugte zwischen dichten Wolken hervor. Der Wald lag in einem diffusen Licht und wirkte friedlich. Selbst der Wind hatte sich ausgetobt.

      Die drei Freundinnen lagen auf ihren Matratzen und schliefen. Es war kurz nach 7 Uhr, als Lottas Lebensgeister erwachten. Sie reckte sich unter ihrer Decke. Ausgeschlafen blinzelte sie mit den Augen und warf einen Blick durch die Fensterluke, die direkt über ihrem Kopf im Dach eingebaut war. Vereinzelte Sonnenstrahlen, die es durch die Bäume hindurch geschafft hatten, kitzelten ihre Nasenspitze. Sie wunderte sich, dass sie überhaupt so lange geschlafen hatte. Als Krankenschwester war sie an weniger Schlaf gewöhnt. Es zeigte ihr, wie sehr sie die Ruhe brauchte. Als sie sich bewegte, um ihre Glieder auszustrecken, kam auch Leben in die anderen beiden. Tilda, absolut keine Frühaufsteherin, setzte sich auf und stieß mit dem Kopf gegen einen der dicken Dachbalken im Dachgeschoss. »Oh Mann, das gibt eine Beule«, jammerte sie, verzog das Gesicht und fuhr sich durch die zerzausten Haare. Die Freundinnen kicherten. Stina zog die Beine an und sah verschlafen in die Runde. Sie würde am liebsten unter der Decke liegen bleiben, obwohl sie normalerweise jeden Morgen joggte. Die Welt der drei jungen Frauen sah heute wesentlich freundlicher aus als gestern bei der Anreise.

      Die am Vorabend unbehagliche Atmosphäre der Ferienhütte hatte sich nach dem Lüften der Räume und dem Entzünden des Feuers im Kamin aufgelöst. Selbst die Geräusche, die sie aus dem ungenutzten Nebenzimmer wahrgenommen hatten, stellten sich als Sinnestäuschung heraus. Ein Haken, der sich aus der Verankerung eines der Fenster gelöst hatte und vom Wind fortwährend knarzend gegen das Holz der Hütte schlug, war die Ursache und hatte beim Öffnen der Tür auch die Haustür zuschlagen lassen. Zwei Flaschen Wein später hatten sie die nötige Bettschwere und sich schlafen gelegt.

      »So, Mädels, aus dem Bett. Der Tag wartet.« Lotta schlug ihre Decke zurück und begab sich auf die Knie. Leise kroch sie bis zum kleinen Sprossenfenster, das sich neben der Leiter befand. Die zusätzlichen Schlafplätze hatten sie gestern Abend unter dem alten Giebeldach des Holzhauses entdeckt. Blau-weiß gestreifte dicke Matratzen, die fast die gesamte Fläche des Raumes bedeckten, ergaben eine urige Schlafstätte. Sie beschlossen in ihrer Weinlaune, dass sie gemeinsam auf dem Dachboden schlafen