etwas angeboten zu haben, stand auf, wieselte in die Küche, wobei sie ihm zuvor den Akt über den Tisch schob, damit er ihn sich ansehen konnte, und kam wenig später mit einem Tablett und zwei Tassen Kaffee, Milch und Zucker zurück.
»Danke«, sagte Radek. »Nicht nur für den Kaffee, sondern auch dafür, dass Sie vorhin die Situation gerettet haben. Wie nennt man das? Deeskalierendes Verhalten?«
Sie lächelte geschmeichelt. »Ja, der Franz ist ein bisschen eigen«, versuchte sie ihren Chef in Schutz zu nehmen. »Vor allem, was die Sankt Pöltner und die Landespolizeidirektion angeht. Er mag euch nicht.«
»Das hat er aber gut verheimlicht«, scherzte Radek und sie lachte.
»Vielleicht können wir das Sie beiseitelassen«, schlug sie vor, »wir sind hier alle per Du.«
»Wir in Sankt Pölten auch«, antwortete Radek mit einer Brise Sarkasmus, »meistens wenigstens. Also, ich bin der Thomas.«
»Susanne, aber eigentlich sagen alle Susi zu mir.«
Sie tranken einen Schluck Kaffee.
»Hast du dir den Akt angeschaut?«
»Ja, das ist nicht mehr, als ich ohnehin bekommen habe.«
»Mehr gibt es auch nicht. Das sind die zusammengefassten Ergebnisse meiner Erhebungen. Ich kann dir die einzelnen Berichte von den Einvernahmen noch heraussuchen, wenn du willst. Doch die waren nicht sehr ergiebig.«
»Ja, gerne. Die schaue ich mir später an. Erzähl mir mal etwas über die Lindner. Aber bitte nur Sachen, die ich noch nicht weiß. Zum Beispiel, wie du auf die Idee gekommen bist, dass es einen satanistischen Hintergrund geben könnte.«
Susi Steiger überlegte kurz, wo sie beginnen sollte, dann erklärte sie: »Die Lindner ist ein ganz normales Mädchen gewesen. Eigentlich immer. Wir haben ja nicht viel Kontakt nach Schandau, weil dort drüben nie was Großartiges passiert. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich im Dorf die letzte Amtshandlung hatte. Und nach dem, was ich erfragt habe, verlief bei der Lindner alles in geordneten Bahnen. Keine Vorstrafen, nie polizeilich aufgefallen. Sie arbeitet beim Friseur auf dem Hauptplatz. Eine problemlose Jugendliche. Und plötzlich war sie verschwunden. Sie ging aus dem Gasthaus »Falk« weg und kam nicht mehr nach Hause. Niemand wusste, wo sie war, die Eltern machten sich natürlich Sorgen, riefen alle Freundinnen und Freunde an, aber Bernadette blieb wie vom Erdboden verschluckt, einfach weg. Deshalb erstatteten sie eine Abgängigkeitsanzeige. Wir haben eine Suchaktion gestartet, mit der Feuerwehr und einer Klasse Polizeischüler aus Ybbs. Sogar zwei Spürhunde hatten wir im Einsatz. Doch vergeblich, keine Spur von dem Mädchen. Danach habe ich das LKA eingeschaltet und selbst zu erheben begonnen. Niemand wusste etwas oder konnte mir weiterhelfen. Das Handy war abgeschaltet, der letzte Einwahlknoten war auf dem Hauptplatz in Schandau. Und dann, über eine Woche später, tauchte sie wieder auf, genauso geheimnisvoll, wie sie verschwunden war. Die Eltern zogen die Abgängigkeitsanzeige zurück, und als ich dort hinfuhr, um die Lindner einzuvernehmen, erzählten sie mir eine an den Haaren herbeigezogene Geschichte. Dass Bernadette in Wien gewesen sei und dort mit einigen Freunden gefeiert habe. Auf meine Nachfragen gaben sie keine konkreten Antworten. Als ich das Mädchen selbst befragte, redete sie nur wirres Zeug, und ständig kam sie mir mit dem Teufel. Das hat für mich so ausgesehen, als stünde Bernadette unter Drogen oder hätte einen Schock oder was weiß ich. Jedenfalls reagierte sie nicht wie eine normal ansprechbare Person. Und da sie ständig vom Teufel gefaselt hat, habe ich an Satanismus gedacht.«
»Und was war dein persönlicher Eindruck?«, wollte Radek wissen.
»Na ja, sie war sehr abgemagert, sah beinahe krank aus. Sie war völlig verstört und verwirrt und nicht bereit, auch nur ein Wort über ihren Verbleib zu sagen. Ist ständig in der Ecke des Betts gesessen. Ich glaube, sie hat mir die halbe Zeit ohnehin nicht zugehört. Ich denke, sie hatte furchtbare Angst. Aber ich habe keine Ahnung, wovor. Meine persönliche Meinung ist, dass sie traumatisiert ist. Eigentlich wollte ich sie untersuchen lassen, weil ich den Verdacht hatte, sie könnte Opfer einer Vergewaltigung geworden sein, aber es gab dafür keine Veranlassung und die Eltern haben sich auch quergelegt.«
»Warum das?«
»Sie sagten, der Bernadette gehe es gut. Sie habe nur zu viel gefeiert und getrunken und zu wenig geschlafen. Aber das war gequirlte Scheiße, da stimmte kein Wort. Ich glaube, sie haben auch Angst. Vielleicht davor, was die Nachbarn sagen, wenn sie erfahren, was ihre Tochter getrieben hat, keine Ahnung.« Sie zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls hatte ich den Eindruck, dass an der Sache mächtig was faul ist. Und ich wollte das nicht einfach zu den Akten legen. Ich wollte, dass sich das noch jemand anschaut. Dass deswegen gleich das LKA kommt, war nicht beabsichtigt. Eigentlich dachte ich eher an den Kriminalsachbearbeiter im Bezirkspolizeikommando, aber nicht daran, dass der KSB den Akt nach Sankt Pölten schickt.«
»Tja, so kann man sich täuschen. Jeder schaut, dass er so viel Arbeit wie möglich an andere weiterschieben kann.« Radek kannte dieses Prinzip des Beamtentums.
Während sie sprachen, hatte Radek aus seiner Umhängetasche einen Schreibblock genommen, ihn aufgeschlagen und sich Notizen gemacht.
»Hast du sonst noch irgendwelche Erhebungen geführt?«
Sie schlug etwas beschämt die Augen nieder. »Nein. Ich hab mir gedacht, ich warte, was vom Kriminalsachbearbeiter zurückkommt.«
Klar doch, dachte Radek: Mach den Akt zum Wanderer, dann bekommt ihn ein anderer …
»Hattet ihr in den letzten Monaten merkwürdige Amtshandlungen, die ihr nicht einordnen konntet?«
»Was meinst du damit konkret?«
»Friedhofschändungen zum Beispiel. Also Sachbeschädigungen an Gräbern, irgendwelche Schmierereien, Symbole wie Pentagramme oder so. Tote Tiere oder andere Vorfälle, die auf rituelle Handlungen schließen lassen. Etwas in der Art. Oder Amtshandlungen, die in keines der bisher bekannten Schemata passen.«
Steiger dachte nach, dann schüttelte sie langsam den Kopf. »Nein, da fällt mir momentan nichts ein. Also bei uns auf der Polizeiinspektion jedenfalls nicht. Ich weiß natürlich nicht alles, was im Bezirk läuft, aber wenn etwas Auffälliges in dieser Art vorgefallen wäre, hätte ich das sicher mitbekommen.«
»Was hat Bernadette Lindner über den Teufel gesagt?«
»Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber es waren so Aussagen wie: ›Ich bin beim Teufel gewesen. Ich habe den Teufel gesehen. Er ist unter uns. Wenn ich nicht gehorsam bin, wird er mich wieder holen. Passen Sie auf, sonst kommt er auch zu Ihnen.‹ Solche Dinge eben.«
»War das glaubhaft?«
Die Polizistin blickte ihn an und dachte nach, überlegte, ließ das Gespräch mit Bernadette Lindner noch einmal vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Dann sagte sie: »Nein, es war nicht glaubhaft, aber einigermaßen gruselig.«
»Können wir mit dem Mädchen und ihren Eltern reden?«
»Der Vater wird sicher arbeiten. Die Mutter ist zu Hause. Möglicherweise ist Bernadette auch noch daheim. Sie war, glaube ich, im Krankenstand, als ich sie einvernommen habe.«
»Dann lass uns fahren.«
Susi Steiger war etwas überrascht wegen der Eile, mit der Radek zum Aufbruch drängte. »Ja, sofort, ich hole meine Sachen.«
14.
Während Steiger den Streifenwagen der Polizeiinspektion Gresten gemächlich nach Schandau lenkte, erzählte sie beinahe entschuldigend, dass hier in der Gegend nicht viel los sei. Keine großartigen Freizeitangebote oder sonstigen Möglichkeiten, der Langeweile zu entfliehen. Und natürlich gebe es auch kaum Kriminalität. Ab und zu einen Einbruch, manchmal eine Körperverletzung oder eine Sachbeschädigung. Meistens Wirtshausraufereien oder Vandalenakte von Jugendlichen. Sonst nichts. Einmal, das schien sie zu belustigen, hätten sie einen echten Wilderer gehabt, der in der Gegend sein Unwesen trieb. Da seien die Jäger völlig ausgerastet und hätten sich auf die Pirsch gelegt, ihn aber nicht erwischt. Der Wilderer habe innerhalb eines Jahres dreimal zugeschlagen und dann