Peter Glanninger

Finsterdorf


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ich nicht mehr.«

      Radek wurde klar, dass diese Befragung sinnlos war. Entweder wollte Bernadette nichts sagen oder sie war völlig von der Rolle und redete deshalb nur Scheiße. Oder sie hatte tatsächlich keine Ahnung, was in der Woche ihres Verschwindens mit ihr passiert war. Aber dann stellte sich die Frage, warum?

      Radek hatte keine Ahnung, was er jetzt mit ihr machen sollte, deshalb versuchte er es noch einmal, diesmal auf die direkte Art. »Bernadette«, sagte er ruhig und vergewisserte sich, dass sie ihm zuhörte und ihn richtig verstand, »ich glaube dir nicht. Du belügst mich. Ich denke, dass nichts von dem, was du mir gerade erzählt hast, stimmt. Warum willst du mir nicht die Wahrheit sagen?«

      Sie starrte ihn lange an, ihre Augen schienen durch ihn hindurchzusehen in eine andere, weit entfernte Welt. Dann sah sie zu der uniformierten Polizistin, danach zu ihrer Mutter, anschließend wieder zu Radek. Und plötzlich schrie sie: »Die Wahrheit geht euch nichts an! Das ist meine Wahrheit, nur meine! Verschwindet, lasst mich in Ruhe! Der Teufel soll euch holen!« Sie wurde von einer Sekunde auf die andere aggressiv und versuchte, Radek vom Bett zu stoßen. »Der Teufel wird auch euch holen, wenn ihr so weitermacht«, kreischte sie. »Verschwindet, schert euch zum Teufel!«

      »Bitte, lassen Sie Bernadette in Ruhe«, mischte sich die Mutter ein.

      Das Mädchen hatte aufgehört zu schreien, war noch weiter in die Ecke gerutscht.

      Radek stand auf und sie gingen aus dem Zimmer. Das war völlig danebengegangen. Sie folgten der Mutter hinunter ins Vorzimmer.

      »Hat Sie Ihnen erzählt, was passiert ist?«, fragte er die Mutter.

      »Nein«, war die knappe Antwort.

      Radek wartete vergeblich, dass sie noch etwas hinzufügte. »Hat sie gesagt, wo sie gewesen ist?«

      »Nein.«

      »Oder was sie in dieser Woche gemacht hat?«

      »Nein, auch nicht.«

      »Was hat Sie Ihnen eigentlich gesagt?« Radek wurde ungehalten. »Irgendetwas werden Sie ja gesprochen haben, nachdem Ihre Tochter heimgekommen ist.«

      Die Mutter blickte ihn unverwandt an. Dann antwortete sie mit ruhiger Stimme: »Sie hat nichts gesagt. Nur das, was sie Ihnen eben erzählte, das hat sie auch uns erzählt, mehr nicht.«

      »Und damit haben Sie sich zufriedengegeben?«

      »Ja.«

      Radek begriff, dass die Mutter nichts wusste oder es nicht sagen wollte und es sinnlos war, weiterzubohren. Er hätte zwar noch gut ein Dutzend Fragen gehabt, aber ihm wurde klar, dass es vergeblich war, Mutter oder Tochter weiter zu löchern.

      »Eines würde ich gerne noch wissen«, sagte Radek, als er sich schon zum Gehen wandte. »Hat Bernadette einen Führerschein?«

      »Nein«, antwortete sie. »Warum interessiert Sie das?«

      Radek zuckte die Schultern. »Es erscheint mir hier in dieser Gegend praktisch, möglichst früh mobil zu sein.«

      Die Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, Bernadette hat das bis jetzt noch nicht interessiert.«

      Die beiden Polizisten verabschiedeten sich an der Tür und gingen.

      »Wie ist das gelaufen, als du bei ihr warst?«, wollte Radek von seiner Kollegin wissen, als sie im Funkwagen saßen.

      »Ganz ähnlich«, antwortete Steiger. »Bernadette hat nur Scheiße gequatscht, und ihre Eltern haben gemauert.«

      »Aber warum?«, dachte Radek laut nach. »Was haben sie zu verbergen? Hat das Mädchen etwas angestellt, als sie abgehauen war?«

      »Gut möglich. Jedenfalls glaube ich, dass die Eltern Bescheid wissen«, mutmaßte Steiger.

      »In Ordnung. Gehen wir einmal von folgender Überlegung aus: Das Mädchen ist abgehauen und hat irgendwo eine Straftat begangen. Etwas Gravierendes, das verschwiegen werden muss. Trotzdem beichtet sie es den Eltern? Das ergibt keinen Sinn.«

      »Möglicherweise brauchte sie ihre Hilfe.«

      »Das wäre eine Möglichkeit.«

      »Gut. Bernadette beichtet ihren Eltern, was sie getan hat, und die stellen sich hinter sie und decken sie. Das wäre bis zu einem gewissen Grad verständlich.«

      »Das heißt, sie haben sich abgesprochen und stecken unter einer Decke«, brachte es Steiger auf den Punkt.

      »Das erscheint plausibel«, bestätigte Radek. »Allerdings bringt uns das nicht wirklich weiter.«

      »Nein, tut es nicht. So weit war ich nämlich auch schon. Mir ist das genauso komisch vorgekommen wie dir. Das war der Grund, warum ich versucht habe, einen Kriminalsachbearbeiter oder jemand anderen hinzuzuziehen«, rechtfertigte sich Steiger.

      »Zumindest hast du jetzt jemanden.«

      »Ha ha – da kann ich aber nicht lachen.« Steiger meinte das durchaus ernst.

      »Außerdem ist da die Sache mit dem Teufel. Was soll das? Hast du dich im Zimmer umgesehen? Da deutet überhaupt nichts in diese Richtung. Was will sie damit?«, fragte Radek.

      »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist es einfach eine Schutzbehauptung, um uns in die Irre zu führen. Vielleicht sollen wir nach einem satanistischen Hintergrund suchen, damit wir vom Kern der Sache abgelenkt werden.«

      »Aber was ist der Kern der Sache?«

      »Keine Ahnung. Wie machen wir jetzt weiter?«

      »Ebenfalls keine Ahnung. Wir haben zu wenig Informationen. Wir sollten noch weiter im Leben der Lindner herumstochern. Vielleicht sollten wir mit ihrem Chef sprechen.«

      Bevor Radek den letzten Satz beendet hatte, startete seine Kollegin den Wagen und fuhr los.

      15.

      Es war ein kleiner Frisiersalon auf dem Hauptplatz. Der Chef, Herr Doleschal, sah aus wie eine Tunte, aber er war keine. Selbst die stylisch gegelten blondierten Haare, das gekünstelte Gehabe, als wäre er einer der gefragtesten Stylisten im Land, und sein tänzelnder Gang, der den Eindruck vermittelte, eine seiner Friseurinnen würde ihn ständig begrapschen, konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hinter den grauen Augen ein eiskaltes Wesen verbarg.

      Als Doleschal die uniformierte Polizistin sah – Radek ignorierte er zunächst –, scharwenzelte er herbei und säuselte mit gezierter hoher Stimme: »Hallo, Frau Inspektor, womit darf ich Ihnen dienen? Ein Termin für die Haare?« Er warf einen prüfenden Blick auf Steigers brünetten Haarschopf. »Ein bisschen kürzer schneiden könnte sicher nicht schaden, und eine neue Fasson würde Sie deutlich besser aussehen lassen.«

      »Ich habe einen Spiegel zu Hause und weiß, wie ich aussehe«, entgegnete Steiger mit einer amtlichen Strenge, die ihr Radek nicht zugetraut hätte. »Und meine Haare bleiben so, wie sie sind.«

      Der Friseur zeigte kein Anzeichen von Überraschung, offensichtlich hatte er eine solche Reaktion erwartet. Als die Polizistin hinzufügte, warum sie hier waren, wurde er deutlich kühler. Er gab einige kurze Anweisungen an seine Angestellten und führte die Polizisten nach hinten ins Büro. Dort legte er sein tuntiges Gehabe endgültig ab und kehrte den leidenschaftslosen Geschäftsmann hervor. »Also, worum geht es?«

      »Bernadette Lindner arbeitet bei Ihnen.« Das war eher eine Feststellung als eine Frage von Radek.

      »Sie arbeitete bei mir«, korrigierte der Friseur. Seine Stimme hatte nun ihren natürlichen Ton wieder und klang nicht mehr, als ziehe ihn jemand an den Ohren.

      »Was heißt, sie arbeitete bei Ihnen?«, fragte Radek nach.

      »Ich habe ihr gekündigt.«

      »Weshalb?«

      »Weil sie unentschuldigt eine Woche nicht zur Arbeit erschienen ist. Das reicht wohl für eine fristlose Kündigung. Oder was denken Sie, was ich bin? Ein gemeinnütziger Verein, in dem jeder kommen