Rathaus.«
»Gut, das muss ich mir fürs nächste Mal merken.« Radek wollte unverbindlich bleiben, obwohl er wusste, dass es kein nächstes Mal geben würde.
»Na dann«, beendete der Wirt unvermittelt das Gespräch. »Das Essen kommt gleich.«
»Danke für die Auskunft.« Radek wollte nicht unhöflich erscheinen.
»Keine Ursache.« Der Wirt drehte sich um und ging.
Während Radek seiner untersetzten Figur nachblickte, die im Durchgang zur Küche verschwand, beschlichen ihn Zweifel und Misstrauen. War das eines der üblichen Gespräche, wie sie zwischen Wirt und Gast geführt wurden? Oder wollte ihn der Wirt aushorchen? Steckte da Konkurrenzneid dahinter? Aber der Gasthof »Zur Linde« schien keine Zimmer anzubieten, also warum sollte der Wirt neidisch sein? Oder war es eine alte Rivalität, die auf ganz anderen Ursachen beruhte? Ein alter Familienstreit, der Generationen zurückreichte und von dem Radek nichts wusste. Oder ging ihm einfach die Fantasie durch und es war nichts weiter als Small Talk im Wirtshaus, damit der Gast sich beachtet und nicht nur als zahlender Konsument fühlte? Radek kam auf keine Lösung. Allerdings wurde er das Gefühl nicht los, dass die übrigen Gäste ihn immer noch verstohlen beobachteten. Auch das erschien ihm, bei näherem Überlegen, nicht ungewöhnlich. Immerhin war er ein Fremder in einer allen anderen vertrauen Umgebung. Ein bisschen fühlte er sich wie ein Eindringling.
Als der Wirt die Suppe brachte, verdrängte er alle diese Gedanken und bemühte sich, sein Abendessen zu genießen.
Sie wussten es. Als der Fremde zur Tür hereingekommen war, hatten ihn alle angestarrt. Das war dem Fotografen sofort aufgefallen, auch wenn er versuchte, uninteressiert zu wirken. Sofort schlugen bei ihm die Alarmglocken an. Was wollte der Fremde hier? Er hatte im Gasthaus »Falk« ein Zimmer. Das war ihm nicht entgangen. Er hatte ihn auf der Terrasse sitzen gesehen. Und eben war ihm das im Gespräch mit dem Stadelmaier bestätigt worden.
Also, was wollte er hier? Warum blieb er nicht im »Falk«? Jeder im Dorf wusste, dass man entweder zum »Falk« ging oder in die »Linde«, aber nicht in beide Wirtshäuser. Was machte der Fremde hier? Die Gäste ausspionieren?
Er hatte den Unbekannten im Auge behalten. Die ganze Zeit war er wie ziellos herumgestreunt, hatte offensichtlich keinen Plan. Er verhielt sich wie ein Wanderer, einer der üblichen Sommerurlauber. Aber er war kein Wanderer, das hatte er sofort gesehen. Der Fremde hatte nichts gemeinsam mit den Leuten, die im Sommer oder im Herbst kamen, um in die Berge zu gehen. Dieser Typ war aus einem anderen Grund im Dorf, und das machte ihn verdächtig.
Heimlich musterte er den Gast am Tisch. Der saß zufrieden da und aß seine Suppe. Dabei wirkte er ein bisschen müde, aber sonst ganz harmlos. Doch oft täuschte ein solcher Eindruck. Unauffällig behielt er den Fremden im Blick, während des Essens und so lange, bis er bezahlte und ging. Kurz dachte er darüber nach, ihm zu folgen, das erschien ihm jedoch unnötig. Wohin sollte er schon gehen? Es gab nur ein mögliches Ziel für den Fremden, das Gasthaus »Falk«.
Der Fotograf bestellte beim Stadelmaier noch ein Bier und nahm sich vor, wachsam zu sein.
13.
Die Polizeiinspektion Gresten war in einem neuen Gebäude unmittelbar neben dem Voralpenbad untergebracht. Ein älterer Polizist öffnete ihm die Tür, nachdem Radek ihm an der Sicherheitsschleuse seinen Dienstausweis gezeigt hatte, und ließ ihn in den Parteienraum. Radek fragte nach der Kollegin Revierinspektorin Susanne Steiger. Der Beamte schrie ein lautes »Susi, Besuch für dich!« nach hinten. Radek hörte eine weibliche Stimme ein gezogenes »Ja« antworten, und der Polizist sagte zu Radek: »Kommt gleich.«
Radek hatte gut geschlafen und ausgiebig gefrühstückt, bevor er nach Gresten gefahren war. Es war Montag, kurz vor 9 Uhr.
Susanne Steiger war Anfang 30 und steckte ziemlich füllig in ihrer Uniform. Mit ihrem runden Gesicht und den kurzen braunen Haaren machte sie viel eher den Eindruck einer biederen Hausfrau als einer strengen Polizistin. Sie war gut einen Kopf kleiner als Radek.
»Thomas Radek, LKA«, stellte er sich vor. »Wir haben vorige Woche miteinander telefoniert.«
Jetzt wusste sie, worum es ging, blickte zu ihm hoch und reichte ihm lächelnd die Hand. »Susanne Steiger. Ich mache hier den Kriminaldienst. Freut mich, dass Sie gekommen sind.«
Radek war überrascht, dass hier eine junge Kollegin für den kriminalpolizeilichen Bereich zuständig war, aber vielleicht lag es daran, dass dabei die meiste Arbeit anfiel und man es ihr deshalb umgehängt hatte.
Sie nahm ihn mit in den hinteren Teil des Gebäudes, wo sich die Büroräumlichkeiten befanden, und schleppte ihn in das Büro des PI-Kommandanten. »Abteilungsinspektor Franz Blaha«, las Radek auf dem Türschild. Hinter einem Schreibtisch saß ein fülliger Mittfünfziger und blickte ungehalten über die Störung zu seinen Besuchern auf.
»Hallo, Franz, das ist der Kollege vom LKA, von dem ich dir erzählt habe«, stellte Susanne Steiger ihren Besucher vor.
Blaha nahm seine Lesebrille ab, stand auf, wobei ihm sein ausladender Bauch etwas Mühe bereitete, streckte Radek die Hand hin und grüßte mit unverhohlenem Spott. »Meine Verehrung an die Hochdenkerzentrale in Sankt Pölten. Was ist so wichtig, dass sich das große LKA in den letzten Winkel der Provinz verirrt?«
»Wir müssen regelmäßig Kontakt zur Basis halten, dafür gibt es einen eigenen Dienstauftrag. Kennen Sie den Erlass dazu nicht?«, antwortete Radek trocken und konnte Blaha deutlich ansehen, dass der nicht wusste, ob das ernst gemeint oder ein Scherz war.
Er entschied sich für Scherz und begann zu lachen. »Der war gut. Der war echt gut. Hab gar nicht gewusst, dass ihr im LKA auch Humor habt.«
»Gruppeninspektor Radek hilft uns bei der Sache mit der Lindner in Schandau drüben.«
»Ah, die Abgängige, die den Teufel gesehen hat.« Der Abteilungsinspektor war auf dem Laufenden. »Seit wann interessiert sich das LKA für verrückte Jugendliche? Ist sie eine Gefährdung für die Sicherheit des Staates, eine terroristische Bedrohung womöglich?« Wieder war der Spott unüberhörbar.
»Nachdem sich im Bezirkspolizeikommando und im Landesamt für Verfassungsschutz niemand gefunden hat, der für diese Angelegenheit zuständig sein will, muss jetzt die Kavallerie anrücken«, erwiderte Radek. Die Sticheleien des Kommandanten gingen ihm auf die Nerven. »Also, wenn irgendwer im letzten Winkel der Provinz etwas arbeiten und sich nicht nur im Wald verstecken würde, bliebe uns das hier erspart.«
»Herr Kollege«, der Kommandant wurde eine Spur förmlicher und unfreundlicher, »wir haben hier genug zu tun.«
Radek hätte sofort ein Monatsgehalt dagegen gewettet.
»Und wenn uns das Landespolizeikommando alle Ressourcen streicht, darf es sich nicht wundern, wenn die Akten bis nach Sankt Pölten geschoben werden.«
»Aber nicht solche lächerlichen Geschichten.« Auch Radek spürte den Zorn in sich aufsteigen.
»Wir gehen rüber in mein Büro und schauen, was an der Lindner-Sache dran ist.« Steiger rettete die Situation mit der jahrelangen Erfahrung, die sie bei der Polizei im Schlichten von männlichen Hahnenkämpfen gewonnen hatte. »Kommen Sie, Herr Kollege.« Sie zog Radek am Sakkoärmel sanft aus dem Büro.
Blaha blickte ihm wütend nach.
Wieder ein möglicher Freund weniger, dachte Radek, dann folgte er der Steiger, die bereits einen tüchtigen Vorsprung hatte.
Ihr Büro war feinsäuberlich aufgeräumt, die Aktenordner sorgfältig beschriftet. Die noch zu bearbeitenden Fälle waren in verschiedenen Aktenkörben abgelegt. Unordnung schien in diesem Büro nicht die geringste Chance zu haben. Entweder hatte die Frau im Kriminaldienst nicht allzu viel zu tun oder eine Art hausfraulicher Ordnungswahn dominierte die Aktenverwaltung.
Steiger bot ihrem Besucher Platz an, nahm einen Aktenumschlag, der auf ihrem Schreibtisch bereitlag, und schlug ihn auf. »Womit fangen wir an?«, fragte sie mit erwartungsvollem Blick.
»Vielleicht