Maria Publig

Waldviertelblut


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nicht mithalten. Und bei Frauen war das sowieso ganz anders als bei Männern.

      Frauen waren einander die größten Kritikerinnen. Passende Kleidung putzte selbst graue Mäuse heraus. Da konnten einige reden, was sie wollten. Auch die wussten, dass es noch eine Zeit lang so bleiben würde. Die jahrhundertelang antrainierte Stutenbissigkeit würde nicht so schnell abgelegt werden können. Und die meisten Männer hatten sicher nichts dagegen, eine gepflegte, gut gekleidete Frau vor sich zu haben.

      Auch wenn, wie bei Walli Winzer, die Kleidung in Gegenwart attraktiver Männer rasch wenig Bedeutung für beide hatte. Einfach deshalb, weil bald keiner mehr welche trug. Sie schmunzelte. Gut, das war wieder ein bisschen aus ihrem Nähkästchen geplaudert.

      Also, wie tickte das Publikum hier, in dieser Wiener Nobelmeile? Walli Winzer fielen zwei smarte Männer auf. Beide elegant gekleidet mit perfektem Messerhaarschnitt. Sie redeten angeregt miteinander. Das Gespräch blieb vorerst ernst, um dann … aha, Walli grinste … ins Flirten umzuschlagen.

      Lionel Richie tönte dazu mit seinem 1980er-Hit »All Night Long« aus der unsichtbaren Konserve. Ob das nun ein Geschäftsabschluss der beiden oder ein Date in der Bar war, die Grenzen verschwammen eben. Walli war sich nicht sicher. Durch ihren Mitarbeiter Tobias Stieglitz und seinen Lebensgefährten stand sie in engem Kontakt mit deren Freundes- und Bekanntenkreis. In der PR-Branche war das keineswegs ungewöhnlich, eher nützlich. Denn Männer tauschten regelmäßig Informationen miteinander aus. Auch aus ihrem Tätigkeitsbereich. Sie waren also meist auf dem neuesten Stand.

      Was konnte einem daher Besseres passieren, als davon zu profitieren? Walli mochte die Jungs, und diese mochten Walli. Schließlich konnte sie durch ihre Umtriebigkeit auch die einen oder anderen News beisteuern. Denn Walli hielt ihre Ohren immer und überall offen. So ging’s!

      Sie setzte sich auf dem Barhocker ein wenig seitlich und erblickte ein unauffälliges Paar mittleren Alters. Hierbei handelte es sich offenbar um ein Date. Beide saßen einander angespannt gegenüber und wussten nicht recht, was sie einander erzählen sollten. Wallis Einschätzung stand nach wenigen Minuten fest: Höchstwahrscheinlich würde es das letzte Date der beiden bleiben.

      Allerdings sprach, statistisch erwiesen, auch ein Ehepaar nicht mehr als fünf Minuten am Tag miteinander. Dann befanden sich die beiden vielleicht doch schon am Beginn einer gemeinsamen Zukunft? Viele wollten letztlich nicht alleine bleiben. Aber ob sich so ein wortkarges Wesen besser machte als ein Haustier? So was war doch schrecklich, so ganz ohne die Liebe. Nur mit dem Kopf geplant, seufzte Walli. Aber gut, dass alle Menschen verschieden waren.

      Sympathisch hingegen wirkte auf sie ein junges Paar. Walli Winzer vermutete, dass sie sich wohl auf einen Aperitif getroffen hatten, um danach noch etwas zu unternehmen. Sie wirkten aneinander interessiert und lachten immer wieder herzhaft. Glücklich nahm er zwischendurch ihre Hand und hielt sie sanft in der seinen.

      Der Anblick erfreute Walli.

      Plötzlich fiel ihr wieder Nico Salmer ein. Der hatte mit Sicherheit gerade keinen Grund zur Freude. Er würde in einer Verwahrungszelle des Grauen Hauses, der Justizanstalt Josefstadt, sitzen und darauf warten, was weiter mit ihm geschehen sollte.

      Walli Winzer erinnerte sich an seinen flehenden Blick. Er hatte sich von ihr gewünscht, dass sie Sepp Grubinger über seine Unschuld informierte. Als könnte ihm der Polizist aus dem kleinen Kaff Großlichten im Waldviertel helfen! Bei der legendär grantigen Wiener Polizei. Die sich für das Maß aller Dinge hielt. Walli stellte sich Grubinger als Einsatzkommandant vor und musste lachen.

      Allerdings war dieser Wiener Polizeimajor tatsächlich ein Kapitel für sich. Mit seiner Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit. Und wie er den Nico abgekanzelt hatte. Als wäre ohne echte Ermittlungen schon alles geklärt. Das hatte er ja auch laut hinausposaunt.

      Walli holte tief Luft.

      Ach, dieser Nico. Er war schon eine Nummer für sich. Eine ziemlich schräge. Mehr wollte sie jetzt nicht denken.

      Um das Ende des Tages endlich auch für sich einzuläuten, stach sie mit der kleinen Plastikgabel zielsicher in die Limettenspirale und führte sie zum Mund. Sie spülte mit einem weiteren Schluck Lillet-Cocktail nach. Dann starrte sie reglos in ihr Glas. Dass ihr der Barkeeper inzwischen unaufgefordert nachschenkte, entging ihr.

      Erst als jemand sanft ihre Schulter berührte, zuckte sie zusammen. Sie krallte sich am Tresen fest und verhinderte so, dass sie seitwärts vom Hocker kippte.

      »Ah du, Lena!«, stieß sie daher vorerst wenig erfreut hervor.

      »Klar, wen hast du sonst erwartet?«, grinste die Freundin sie erwartungsvoll an.

      »Ach, ich dachte eben noch ein wenig über die Unterredung mit Thomas vor einer Stunde nach.«

      »Ihr habt euch getroffen? Davon hast du mir nichts erzählt«, war Lena Breitenecker verwundert. Meist war sie über Gebühr über die privaten Aktivitäten ihrer Freundin informiert. Einschließlich sämtlicher intimer Details, auch wenn sie diese nicht interessierten. Wobei sie doch feststellen musste, das hatte sie Walli einmal erzählt, dass sie dadurch einiges zur Freude ihres Ehemanns Hans dazugelernt hatte. Vielleicht halfen Wallis detailreiche Erlebnis-Schilderung indirekt mit, ihre Ehe nach Jahrzehnten noch erotisch am Kribbeln zu halten. Vielleicht erfanden sich Lena und Hans immer wieder neu durch ihre Erzählungen von Erfolg und Niederlage in den obersten Etagen der internationalen PR-Branche, inklusive anziehender Männer. Das bot sicher viel Raum für die eigene Fantasie und erweiterte die Breitenecker’sche kleine Biobauernhof-Welt in Großlichten. Dabei wusste Walli, dass Lena manchmal ganz kräftig an den Gewohnheiten ihres Mannes rüttelte, damit der aus seinem Alltagstrott und der vielen Arbeit ausstieg, die wohl auf einem Bauernhof nie enden wollte.

      »Ja, gleich bei ihm ums Eck. Du weißt schon, im 18. Bezirk im Kaffeehaus.«

      »Und wie war’s?«

      »Na ja, erstaunlicherweise ganz nett.«

      »Ist doch erfreulich. Warum bist du trotzdem nachdenklich? Er entwickelt sich weiter. Ist doch gut. Das wolltest du doch immer.«

      »Hm?«

      »Was soll das heißen?«

      »Verstehe mich nicht falsch: Klar fände ich es gut, wenn er etwas flexibler und großzügiger in seinen Standpunkten würde. Aber er ist so … also… er hat sich ganz anders verhalten. Als hätte man ihm … beinahe möchte ich sagen, einen Chip ins Gehirn gesetzt.«

      »Geh, Walli! Nichts passt dir. Ist er so, hast du etwas zu meckern, ist er anders, ist es dir auch nicht recht. Du bist in letzter Zeit schon ein bisschen schrullig g’worden. Dir würde eine dauerhafte Beziehung auch mal wieder guttun.«

      »Jetzt hör auf!«, entgegnete Walli Winzer grob. »Die hab ich mit Thomas gehabt. Deshalb weiß ich ja, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Nicht stimmen kann. Der ist sonst nicht so drauf!«

      »Vielleicht bist du doch ein wenig eifersüchtig auf seine Frau? Dass sie deinen Platz eingenommen hat? Eine anhaltende Zweisamkeit ist nämlich schon etwas Schönes«, sagte Lena.

      »Ach, lass mich!«, tat Walli Winzer gereizt, aber grinsend die ihr lästigen Worte mit einer Handbewegung ab. »Bestell dir lieber etwas zu trinken!«

      Lena amüsierte sich wohl, weil sie es einmal geschafft hatte, ihrer eloquenten Freundin den Schneid abzukaufen. Als der Barkeeper ihr ein Campari-Soda hinstellte, nahm sie es und drehte sich um. Sie lehnte jetzt mit dem Rücken an der Theke. Währenddessen blieb ihr Blick an zwei jüngeren Frauen hängen, die eben zur Tür hereinkamen.

      »Walli! Silvia und Anna sind da«, freute sich Lena.

      Jetzt drehte sich auch Walli Winzer um und sah vorerst nur ins Dunkel der Bar, aus der schließlich die beiden attraktiven Frauen auf sie zukamen. Sie gingen ihnen auf halbem Weg entgegen und umarmten einander herzlich.

      »Schön, dass ihr gekommen seid! Ist ja mal was anderes, sich nicht nur privat, sondern auch in einer Bar zu treffen.«

      Silvia lachte und sah sich um. »Ja, sieht nicht schlecht aus. War noch nie hier …