Maria Publig

Waldviertelblut


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ihre Tasche auf einen der Barhocker und zog ihr läutendes Handy heraus. »Entschuldigt. Ah! Sybille, meine Tante, ruft gerade an.« Sie nahm das Gespräch entgegen und ging einige Schritte zur Seite.

      Walli Winzer verdrehte die Augen. Wenn sie den Namen ihrer Nachbarin in Großlichten nur hörte, musste sie schon seufzen. Nie zuvor hatte sie eine derart neugierige und aufdringliche Person kennengelernt wie Sybille Karner. Zugegeben: Trotz ihrer nervigen Art hatte sie schon auch Gutes bewirkt. Etwa Wallis Kater Filou aus einer misslichen Situation gerettet. Diese Episode ließ bei ihr gleich mehr Milde für die spröden Charaktereigenschaften der Nachbarin aufkommen. Und immerhin war sie auch die Tante von Anna, die Walli Winzer nun wirklich sehr mochte. Eben hatte sie diese als Fast-Schwiegertochter umarmt. So ein Glück! Wie freute sie sich für ihre einstige Mentee und jetzige Miteigentümerin der PR-Agentur Silvia. Sie und Anna waren seit Kurzem ein Paar.

      Wie sehr hatte Walli sich das für die beiden gewünscht. Und jetzt war es so weit. Endlich! Lang hatte es gedauert. Aber dadurch indirekt mit Sybille Karner verwandt zu sein, bereitete ihr einiges Unbehagen. Aber that’s it! Life is life! Und Anna war großartig, wie sie sich seinerzeit gegenüber dem Toten und diesem Karpfenteichbesitzer verhalten hatte.

      Walli war überhaupt davon überzeugt, dass man Menschen nur in Ausnahmesituationen richtig kennenlernen konnte. Wie sie sich darin verhielten, ließ Rückschlüsse auf deren Grundwesen zu. Die soziale Maske fiel. Der wahre Charakter kam zum Vorschein. Wie bei Anna. Daher ein Glücksfall für Silvia. Durch dieses Zeitlassen war jede der anderen auf besondere Weise vertraut geworden. Sie verstanden einander immer besser. Die Liebe konnte wachsen. Und das war gut so!

      Silvia bestellte ihren Cocktail an der Bar und wandte sich Walli und Lena zu.

      »Was? Du bestellst einen Ananas- und einen Gemüsecocktail? Bist du noch zu retten? Ich wusste gar nicht, dass es hier so etwas überhaupt gibt«, entrüstete sich Walli, nachdem sie die Bestellung gehört hatte.

      »Warum nicht? Zwischendurch ein bisschen Abstinenz schadet nicht.«

      Walli Winzer ließ das nicht gelten: »Ja, dafür gehe ich doch nicht in eine Bar.«

      »Lass mal, Walli! Das ist doch ihre Angelegenheit. Was mischt du dich schon wieder ein?«, versuchte Lena Breitenecker die Situation zu beruhigen.

      Walli hatte verstanden und ließ die eindrucksvollen Fruchtcocktails, die der Barkeeper brachte, unkommentiert.

      Silvia nutzte Annas Abwesenheit, um Walli schnell noch Infos über ihr aktuelles Projekt zuzutragen. Auch Walli informierte ihre Co-Geschäftsführerin über den Stand in der Angelegenheit des Bachwirken-Projekts, samt der tragischen News über den Tod des Auftraggebers Manfred Tuchner.

      »Nein, das kann doch nicht sein!«, rief Silvia Manner erschrocken.

      Im Hintergrund tönte zeitgleich aus den Lautsprechern eine Coverversion von »As Time Goes By« aus dem Film »Casablanca«.

      Ja, time goes by, dachte auch Walli Winzer in diesem Moment. Ihre Stimmung wurde auf einmal ganz ernst. »Den Nico haben sie dann gleich mitgenommen«, ergänzte sie und trank in einem Zug ihr Glas leer. »Noch einen«, orderte sie beim Barkeeper. Während sie wartete, stützte sie ihren Kopf auf ihrer Hand ab und suchte weiter nach einer Erklärung für dessen Anwesenheit am Tatort. Ihr fiel jedoch keine ein.

      »Nein! Der Nico? Das kann ich mir nicht vorstellen. Nie und nimmer.«

      Nervös wischte sich Walli völlig undamenhaft mit dem Unterarm ihres Blazers den Mund ab und schniefte danach laut. Silvia war geschockt. Lena über Wallis unübliche Reaktion wohl auch. Sie verloren darüber kein Wort. Im Gegenteil: »Komischer Tag heute. Nicht?«

      Anna kam zurück zur Gruppe: »Beim Tantchen ist alles in Ordnung. Und bei euch?«

      7. Kapitel

      Plötzlich begann ein Höllenlärm.

      Im selben Augenblick hielt Sepp Grubinger sich mit den Händen die Ohren zu. Er kniff seine Augen zusammen, ging allerdings weiter. Obwohl er Krach hasste. Auf ihn allergisch reagierte, ihn dieser körperlich schmerzte.

      Er hatte sich heute in den Kopf gesetzt, seinen Revierrundgang zu Fuß zu absolvieren. Jetzt war er hier. Auch wenn er es bereits bereute. Denn bis zu Harry Kains alter Mühle zog sich der Weg von der Ortsmitte Großlichtens weg. Davon abgesehen war es ein schöner Frühlingstag. Deshalb hatte der Dorfpolizist heute beschlossen, sein Dienstmoped in der Außenstelle der Polizei stehen zu lassen. Seine Frau Resi hatte ihm den ganzen Winter über zugesetzt. Mehr Sport sollte er treiben, hatte sie gemeint. Und ihn ständig daran erinnert. Das hatte ihn ziemlich genervt. Aber irgendetwas blieb dann doch bei ihm hängen.

      Und jetzt stand er vor Harry Kain, der überhaupt nicht auf ihn reagierte.

      Wie sollte er auch? Mit den Lärmschutzkopfhörern. War ja gut, dass er die aufhatte. Aber seine Umgebung hatte einen solchen nicht.

      Harry hielt eine Kettensäge in den Händen und schnitt durch den am Boden liegenden Baum in etwa nach jedem Meter. Dabei konzentrierte er sich sehr. Man merkte ihm seine geringe Erfahrung und die große Anspannung an, die er förmlich ausstrahlte. Seine Bewegungen waren entsprechend linkisch. Nicht so routiniert wie bei Waldarbeitern.

      Diese nämlich legten ihre Sägen fest ans Holz und schnitten es ohne große Umschweife auseinander. Harry hingegen tänzelnde um den Stamm. Beinahe wie ein Raubtier, das seine Beute einzukreisen versuchte.

      Als hätte er Sepp Grubingers Gedanken erraten, drehte sich Kain abrupt um. Er riss die dröhnende Säge hoch und hielt sie von sich weg. Da er Grubinger bestimmt nicht gehört hatte, erkannte er ihn erst jetzt. Seine Miene hellte sich auf. Er drehte den Motor ab und legte die Säge beiseite.

      Harry Kain war ein Mann mittleren Alters, groß, blond mit angegrauten Schläfen. Vor einiger Zeit war er aus Wien ins Waldviertel gezogen. Alle hatten sich darüber gewundert. So viel wusste man, dass er in Wien ein einflussreicher Medienmann gewesen sein soll. Im Zeitungswesen. Aber was suchte so einer hier?

      Gesprochen hat er nie über sich. Über den Grund, der ihn hierher verschlagen hatte.

      Einst. Vor Jahren. Kein Wort.

      Grubinger könnte es wissen. Zumindest aus dem Wirtshaus. Vom Stammtisch. Aber niemand interessierte sich dafür. Für Kains Vergangenheit.

      Keiner.

      Es fragte auch niemand danach. Und irgendwann gehörte jeder zum Inventar. Zum Dorfinventar. Das dauerte zwar. Doch Harry war eben bereits lang genug da.

      Vielleicht war das auch das Gute am Waldviertel. Hier am vermeintlichen Ende der Welt. Wer sonst wollte da schon freiwillig wohnen? Ganz oben. Am nördlichen Ende Österreichs? Ohne Stadtnähe. An der Grenze zu Tschechien. Natur pur. Mit Wölfen.

      Nur jemand, der Ruhe wollte und sie auch brauchte.

      Lange Zeit galten die Menschen hier oben lediglich als billige Arbeitskräfte der Land- und Forstwirtschaft. Von denen gab es viele. Um deren Persönlichkeit kümmerte man sich nicht. Musste man sich nicht kümmern. Daher spielte auch Bildung bloß eine Nebenrolle. Wenn überhaupt. Nur bei Katastrophen brauchte man einander. Das schweißte zusammen.

      Sonst ließ man sich gegenseitig in Ruhe. Hielt Abstand voneinander.

      Sprach nur mit denen, die man kannte. Von Kindheit an.

      Man redete allgemein wenig miteinander. Das war nicht nur mit Fremden so. Man lebte mehr für sich. Manchmal auch in der Vergangenheit. Doch die war recht überschaubar geworden.

      Inzwischen.

      Jetzt.

      Denn viele von damals, gab es heute nicht mehr. Selbst viele von denen, die noch lebten, wohnten nicht mehr hier. Wollten nicht da sein. Waren wegzogen. In ein besseres Leben. Häufig in die Stadt.

      Nur die blieben, die auch hierbleiben wollten.

      In der Einsamkeit. In der Stille.

      In vermeintlich geordneten Strukturen.

      Hier,