so laut, dass sogar Dr. Silvia Eichinger zusammenzuckte. Seine Hände beließ er in den Hosentaschen.
»Ja, was gibt’s?« Der Kriminalbeamte war sofort zur Stelle.
»Geh, gib des Tüchl in eines von unseren Plastiksackerl und dann gleich an die Spurensicherung weiter.« Gesagt – getan.
Kurz darauf übergab der Polizist seinem Vorgesetzten das sorgsam in Plastik verpackte Tatwerkzeug. Der leitende Ermittler hielt die Tüte von sich weg, sah sich aber das Halstuch genauer an. Polizeibeamter Martin machte sich unaufgefordert wieder in Richtung des Vernehmungstrupps auf.
»Sag, Klaus, was ist dir über die Leber gelaufen, dass du in letzter Zeit so unwirsch bist?«, fragte Frau Dr. Eichinger, während sie ihre Arzttasche einräumte.
Der Polizeimajor kam nicht mehr dazu, darauf zu antworten. Die kurze private Unterredung wurde unterbrochen. Die Spurensicherung war eingetroffen, und die ersten von ihnen begannen, sich ihre weißen, keimfreien Overalls überzuziehen.
Klaus Kuntner schien das nur recht zu sein, nicht mehr auf die zuvor gestellte Frage antworten zu müssen. Stattdessen ließ er die Ärztin wortlos stehen und ging auf den Ranghöchsten zu. Offenbar kannten sie einander, das ließ der sehr akzentuierte, feste Männerhandschlag vermuten. Ein nachfolgender freundlicher Gruß bestätigte das. Die Spurenermittler gruppierten sich ohne Anweisung um die Leiche und begannen mit deren Vermessung. Ein Fotograf hielt zusätzlich die Position der Leiche fest. Auch der Teppich wurde ins Bild gesetzt.
Nach kurzer Absprache mit den Kollegen von der Spurensicherung, ordnete Kuntner an, Männer zu rufen, die mit Plastikhandschuhen beim Einrollen des riesigen Stücks helfen sollten. Es boten sich gleich mehrere an. Offensichtlich hofften sie, dadurch schneller beim Verhör dranzukommen. Sie drängten zur Tür herein, was wieder für Unruhe sorgte.
Auch Nico Salmer wurde langsam unrund. »Ich hab damit nix zum tuan und möcht endlich ham gehen.« Er wollte sich an Walli Winzer und den nebenstehenden Polizeibeamten vorbeischlängeln, was diese mit sicherem Griff zu verhindern wussten.
»Sie mochn jetzt amoi goar nix und bleiben da. Punktum!«, befahl Klaus Kuntner barsch.
Nico rüttelte an der offenbar zu groben Fixierung seiner Arme.
»Also, was soll das? Sie können doch niemanden auf Verdacht festhalten. Was können Sie Herrn Salmer konkret vorwerfen?«, schaltete sich Walli Winzer ein.
»Ganz einfach: Er wurde in einer eindeutigen Situation beim Schnüffeln entdeckt und wollte fliehen. Ein Mitarbeiter stellte ihn. Der Flüchtende reagierte zuvor nicht auf Zurufe. Eine Erklärung gibt er bis jetzt nicht ab.«
»Sie hobn mei Halstuch in der Hand! Was mochn Sie damit?« Nico starrte auf die textile Tatwaffe.
»Nein, das gibt’s ja net!«, war Klaus Kuntner nun fassungslos. »Das ist Ihres?«
Walli Winzer wurde in diesem Moment kreidebleich. Auch ihr neues Make-up konnte nichts daran ändern. Ihr fiel wieder ein, Nico Salmer am Gang vor Tuchners Büro mit diesem auffälligen Halstuch gesehen zu haben. Ach Gott! Die Situation schien im Augenblick verfahren.
Nico sah sie verzweifelt an. Kuntner gab den Befehl, ihn sofort ins Polizeirevier mitzunehmen. »Frau Winzer! Bitte, ich hoffe, Sie glauben mir. Ich war’s nicht. Bitte helfen Sie mir und sagen S’ das auch dem Sepp Grubinger!«
»Schluss jetzt. Wir sind fertig. Raus mit Ihnen!« Ein unsanfter Ruck versetzte Nico Salmer in Bewegung. Kuntner wies die Umstehenden an, ihre Berichte so schnell wie möglich fertigzustellen und an ihn zu schicken. »Fall geklärt!«, rief er ihnen triumphierend zu. Dann murmelte er hörbar und amüsiert vor sich hin: »So blöd muass ja amoi einer sein, dass er net nur davonrennt, sondern freiwillig zugibt, dass die Mordwaffe a no sein Tüchl is!«
Zugegeben, auch Walli Winzer stand jetzt betroppezt da und war ratlos. Doch sie glaubte Nicos Worten. Zumindest – wollte sie es.
6. Kapitel
Noch war sie allein. Sie hatte sich inzwischen einen Drink bestellt. Nach dem ersten Schluck ihres Gin-Lillet-Cocktails stieß sie in regelmäßigen Abständen gedankenverloren die Limettenspirale darin mit einem pinken Plastikgäbelchen an. Ausweichend wippte das Geschmacksaccessoire neben einem Eiswürfel hin und her. Ihren linken Ellbogen stützte Walli Winzer auf den Tresen der Bar und hielt mit der Hand ihren Kopf. Starr hatte sie ihren Blick auf das kleine optische Schauspiel vor sich gerichtet.
Was war das nur wieder für ein Tag gewesen, fragte sie sich. Dabei war sie selbst glimpflich davongekommen. Ihre Einvernahme in der Polizeistation würde erst morgen stattfinden. Da konnte sie noch genauer nachdenken, was tatsächlich abgelaufen war oder was sie bemerkt hatte. Leider war das eben nicht viel. Schließlich hatte sie sich während der Vorbereitungen zur Teppichschau im Vorgespräch mit dem Geschäftsführer befunden, was interessant gewesen war. Walli Winzer hatte daher nicht darauf geachtet, was sich um sie herum abgespielt hatte. Sie erinnerte sich nur, dass viele Menschen im Schauraum gewesen waren.
Sie nahm einen Schluck.
Den dazu gereichten Snack allerdings nichts.
Noch ein Schluck.
Nichts. Rein gar nichts fiel ihr ein.
Walli behielt das Cocktailglas in der Hand und schwenkte es. Das Bild der tanzenden Limette beruhigte sie.
Langsam sah sie hoch und ließ ihren Blick durch die dämmrige Bar in der Wiener Innenstadt gleiten. Diese befand sich über den Dächern der Altstadt. Aus der Ferne sah sie die beleuchteten Türme des Wiener Stephansdoms.
Postkartenidylle.
Walli Winzer kauerte auf dem Barhocker. Trotz des malerischen Ausblicks, dessentwegen viele Touristen hierherkamen, schloss sie die Augen. Sie wollte bei sich sein. Durchatmen. Bevor die anderen da sein würden. Kurz noch.
Solche Momente schob sie jetzt öfter in ihren Alltag ein. Abschalten. Zwischendurch regenerieren. Nichts beachten. Nicht einmal sich selbst.
Das hatte sie im Waldviertel gelernt. Auf ihren Spaziergängen. Den vielen. Durch die Wälder oder auf den Wanderwegen durch die Felder.
Es waren Orte der Stille. Kraftorte gewissermaßen. Um aufzutanken.
Wie laut war für sie daher das Getöse, das sie in Wien erwartete. Die vielen Menschen. »Mittlerweile zu viele«, murmelte sie bereits entspannter vor sich hin. Vor allem hier im Zentrum, um den Stephansplatz herum. Menschenmassen schoben einen tagtäglich wie in Venedig vor sich her. Ein Zielort war bei ihnen nicht auszumachen. Und betrachten oder fotografieren konnte man bei diesem Gedränge und Geschiebe auch nichts. Also, warum das alles?
Jetzt lehnte sie hier. Nur weil Lena unbedingt hierher wollte. Walli hatte schließlich zugestimmt. Ihre beste Freundin Lena Breitenecker hatte die Bar neu entdeckt und vorgeschlagen. Mit einigen Geschäftspartnern und ihrem Ehemann Hans ließ sie hier häufig erfolgreiche Verhandlungen ausklingen.
Es war noch sehr früh. Walli war vorzeitig gekommen, da sie nach den unerwarteten Ereignissen nicht mehr bei ihrer Wohnung vorbeifahren wollte. Es war zu spät geworden, um sich umzuziehen. Gut, da die Kleidungsvorschriften überall bereits salopper gehandhabt wurden, würde ihr Tageshosenanzug am Abend auch nicht weiter auffallen. Und wen das tatsächlich störte, der konnte auch wegschauen. Spießer! Solche konnte sie sowieso nie ausstehen.
Da Walli sonst nichts zu tun hatte und der Keeper gerade mit dem Eiscrusher beschäftigt war und daher für Small Talk nicht zur Verfügung stand, blickte sie in die Runde. Wen würde sie in der topmodernen und chillig designten Bar sympathisch finden? Hm. Auf den ersten Blick fiel das schwer. Heute waren außerdem Haltungen und Einstellungen nicht mehr so eindeutig wie früher mit Kleidung verbunden. Das hatte sich grundlegend verändert. Wer heute Geld und Einfluss besaß, kleidete sich oft im Sinne des Understatements, also mit Zurückhaltung. Fast könnte man sagen: verlottert.
Wallis Ding war so etwas allerdings nicht. Na ja, sie war ja auch nicht so vermögend wie etwa Bill Gates. Der konnte daher im ewigen Studentenlook herumlaufen. Er war und würde immer