Christoph Franceschini

Geheimdienste, Agenten, Spione


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des italienischen „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR) halten sich in den 1950er-Jahren wohl die Waage. Auf beiden Seiten waren sie allerdings verbunden mit der Unsicherheit, wer in Spiel und Gegenspiel zu welchem Zeitpunkt der Wahrheit näher kam und Punktsiege zu verzeichnen hatte.

      Das zweite Kapitel gibt einen ersten Einblick in die Ausspähung separatistischer Bestrebungen, namentlich ihrer Speerspitze, des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol). Entgegengesetzt hat der italienische Staatsapparat den Loslösungswilligen verschiedene Akteure, voran das „Ufficio Affari Riservati“ (UAR), aber auch die politische Polizei, die sich beide in großem Umfang auf ehemalige Angehörige der faschistischen Geheimdienste stützten und eng mit US-Diensten kooperierten. Der Südtiroler Stützpunkt in der Quästur Bozen führte dabei eine Handvoll Informanten. Nachrichtendienstlichen Seltenheitswert hat dabei die Tatsache, dass Polizisten aus ihren Privatwohnungen heraus als Agentenführer fungieren, selbst über ihren Ruhestand hinaus. Hier wie im Folgenden geht die Darstellung der Entstehungsgeschichte der Dienste und ihrer Struktur fließend in das operative Geschehen über.

      Der Hauptfeind der rechten politischen Klasse und ihres mächtigen Stützpfeilers CIA waren jedoch kommunistische Bestrebungen und die im westeuropäischen Vergleich einmalig starke kommunistische Partei PCI. Der Autor macht die Bekämpfung dieses inneren Gegners im dritten Kapitel zunächst an der Biografie des italienischstämmigen CIA-Agenten Joseph Peter Luongo fest, der 1945 in Bozen landete und die Stadt 1996 fluchtartig verließ.

      Was folgt, ist ein Feuerwerk teilweise miteinander verwobener Lebensläufe von Agenten, die sich bei den verschiedenen italienischen und US-amerikanischen Spionageorganisationen verdingen, oft genug als Diener mehrerer Herren. Ein Stelldichein gaben sich dabei italienische Faschisten, ehemalige SS-Leute – darunter schwer belastete Kriegsverbrecher – und katholische Geistliche, deren Wege sich in vielen Fällen schon vor 1945 gekreuzt hatten.

      Einmal mehr wird in diesem Kapitel deutlich, dass Geheimdienste, die aufgrund gleicher Ziele an demselben Strang ziehen sollten, von Konkurrenzdenken geprägt sind, national zwischen dem US-Militärnachrichtendienst „Counter Intelligence Corps“ (CIC) und der CIA, zwischen dem italienischen Innenministerium und dem SIFAR, länderübergreifend zwischen diesen vier und weiteren Akteuren wie den westdeutschen Diensten von Reinhard Gehlen und Friedrich Wilhelm Heinz. Hinzu kommen agenturinterne Rivalitäten zwischen Alpha-Tieren und der Blick auf das Nachbarland Österreich als operative Basis.

      Die nächsten Kapitel knüpfen an das zweite an und werfen die Frage auf, was die italienischen Sicherheitsbehörden über den 1957 gegründeten „Befreiungsausschuss Südtirol“ tatsächlich wussten. Die Antwort fällt zugunsten der Aufklärungsqualität aus. Der Umfang von 650 aktiven Kämpfern blieb ebenso wenig geheim wie der Schlachtplan zur Erkämpfung der Unabhängigkeit. Ausführlich stellt der Autor einen Höhepunkt der Gewaltausübung, seine Hintergründe und Abläufe dar, die Feuernacht vom Juni 1961, in der die Stromversorgung nicht nur Südtirols, sondern auch norditalienischer Industriezentren durch die Sprengung zahlreicher Strommasten lahmgelegt werden sollte. Vorausgegangen war dem bereits der missglückte Anschlag vom Februar 1960 auf die Rohbauten von Volkswohnhäusern in Meran. Eine weitere Eskalation brachte ein Brandanschlag auf eine für italienische Zuzügler bestimmte Neubausiedlung am Rand von Bozen mit sich. Ein blindwütiger Terrorakt, muss man ergänzen, war dieses Attentat nicht. Der seinerzeit in Innsbruck ansässige Militärhistoriker Heinz von Lichem kannte die Motive der aus Österreich unterstützten Drahtzieher. Es ging ihnen darum, inhaftierte Aktivisten der sogenannten Bumser freizupressen, die von der italienischen Polizei gefoltert worden waren. Und dieses Ziel wurde, verbunden mit der Drohung, weitere Brandanschläge zu verüben, auch erreicht.

      Die vom militärischen Nachrichtendienst geforderten drastischen Maßnahmen wie Ausbürgerung von Rückoptanten, Ausweisung österreichischer Staatsbürger oder ein Einreiseverbot für österreichische Politiker stießen auf der politischen Ebene nicht auf Resonanz. Weder die Regierung in Rom noch die in Wien waren an einer Verschärfung der Lage interessiert, die Kräfte des Heeresnachrichtenamts in Innsbruck und italienische Geheimdienste im Sinn hatten.

      Mit dem Generalkonsul Luigi Tamburini und einem seiner Agenten versuchte der italienische Dienst am Hotspot der Sympathisantenbewegung für einen Anschluss Südtirols an Österreich in Innsbruck den Bergisel-Bund zu infiltrieren. Die SIFAR-Zentrale in Rom – so der Militärhistoriker Heinz von Lichem – konnte sich aber in der Hauptstadt des Bundeslandes Tirol auch auf zwei andere Verbündete stützen, zum einen vatikanische Kreise im Abschöpfen menschlicher Quellen, zum anderen auf den britischen Partnerdienst MI6, der die Ergebnisse von Abhöroperationen beisteuerte.

      Das sechste Kapitel öffnet den Blick auf die Unterwanderung der Südtiroler Kommunisten durch eine Top-Quelle wie den Leiter ihres Bozner Büros Carlo Bernardo Zanetti, dessen Führungsoffizier Franceschini interviewen konnte. Zanetti stand bis zu seiner Enttarnung im Oktober 1952 für jenen hochrangigen Agententypus, der nicht nur hochkarätiges Insiderwissen liefert, sondern auch destruktive Personalentscheidungen einleiten kann. Dass der falsche Professor seine Spitzeldienste dann bis 1978 in ganz anderen Funktionen mit konträrer Stoßrichtung fortsetzte, hat seinen besonderen Reiz.

      Es ist der reichhaltige Aktenfundus des US-amerikanischen Nationalarchivs, ergänzt durch Akten des Bundesnachrichtendienstes, der den folgenden Kapiteln über die Aktivitäten des SIFAR, der CIA und des BND Fleisch verleiht. Als Akteure werden zunächst der Pressezar und CIA-Agent Fritz Molden und der Journalist Wolfgang Pfaundler, Unterstützer und Waffenlieferant des BAS und zugleich Zuträger Pullachs, eingeführt. Einmal mehr erweist sich hier Innsbruck als Kampfplatz des verdeckten Krieges zwischen zahlreichen Nachrichtendiensten.

      Gefährliche Geheimdienstgranden des Dritten Reichs wie der SS-Obersturmbannführer Otto Skorzeny oder der ehemalige Adjutant von Adolf Eichmann Otto von Bolschwing spielen im Nationalitätenkonflikt ungeachtet ihrer mörderischen Vergangenheit eine wichtige Rolle, die Franceschini minutiös nachzeichnet. Aber auch militärpolitische Themen wie die Stationierung taktischer Atomraketen vom Typ Honest John oder der Aufbau von Flucht- und Versorgungsrouten der „Stay Behind“-Netze im äußersten Norden Südtirols blitzen auf. Im zehnten Kapitel macht Franceschini dann deutlich, dass diese als „Gladio“-Netzwerk bekannt gewordenen Kriegsvorbereitungen zum verdeckten Kampf hinter den feindlichen Linien auch in Südtirol zum Aufbau geheimer Waffenlager, zu amerikanisch-italienischen Manövern und zu Sabotageplanungen bis hin zur Sprengung der Europabrücke führten. „Gladio“-Angehörige schürten auch die innenpolitische Spannung, indem sie Attentate verübten, die dann dem BAS in die Schuhe geschoben wurden. Provokationen dieser Art stehen selbst hinter der Neuauflage des Bombenterrors in den 1980er-Jahren.

      Vom spionagetechnischen Klein-Klein schafft der Autor immer wieder den Sprung auf die weltpolitische Bühne, dort beispielsweise, wo es um die Berichterstattung über die brisante Lage in Südtirol für US-Präsident John F. Kennedy oder die Diskussionen im österreichischen Staatsapparat geht. Besonderen Geheimdienstmitarbeitern widmet Franceschini informative Kästen, die ein weites Spektrum unterschiedlichster Agententypen und ihrer Schicksale widerspiegeln. Da werden auch posthum zu Lebzeiten unentdeckte Südtiroler Spione entlarvt. Zu den interessantesten Miszellen zählt die Geschichte einer Agentin des israelischen „Mossad“, die in Südtirol rechtsextremistischen Organisationen nachspürt.

      Abgerundet wird der erste Band durch die gründlich recherchierte Geschichte eines von den italienischen Diensten in Auftrag gegebenen Mordanschlags vom September 1964, bei dem ein Nordtiroler Journalist einen BAS-Aktivisten tötet, einen zweiten schwer verletzt. Dieser Fall wirkt bis heute fort, da die italienischen Behörden den Mörder noch immer decken.

      Den studierten Historiker erkennt man in der Recherche, im Erschließen einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen, in erster Linie eines reichhaltigen Fundus von Primärquellen. Das Spektrum reicht dabei von Sach- und Personalakten der italienischen Dienste, Unterlagen der Justizbehörden bis hin zu Nachlässen, Dokumenten aus dem US-Nationalarchiv und zahlreichen Archivalien aus Prag. Die Auswertung der Literatur und Presse sowie Interviews mit aufgespürten Zeitzeugen oder ihren Nachkommen ergänzen die immense Fleißarbeit.

      Den praktizierenden Journalisten spürt man am klugen Aufbau der Kapitel und der flüssigen Schreibe. Die turbulenten Ereignisse finden