mit dem Autor. „Eine Zeitlang mussten wir ihn Hans nennen und dann plötzlich nur mehr Giovanni.“ In den 1980er-Jahren schreibt er seinem Sohn Marc einen Brief, in dem er offiziell erklärt, endlich den ihm „verhassten Namen Johann“ abgelegt zu haben. Er möchte ab sofort nur mehr Hans Georg genannt werden.4
Aus den Akten des StB und des italienischen Innenministeriums, aber vor allem aus den Erinnerungen seiner Familie lässt sich der Lebenslauf des Südtiroler StB-Agenten nachzeichnen. Giovanni (Hans) Morandell wird am 25. Februar 1925 in Bozen als Sohn von Licurgo Sostero und der Schneiderin Hedwig Morandell geboren. Die Mutter stammt aus einer Weinbauernfamilie aus Kaltern, der Vater ist ein Angehöriger des italienischen Heeres. Licurgo Sostero erkennt seinen Sohn aber lange nicht an und vor allem verschwindet er schon bald nach der Geburt aus Südtirol. Die Mutter tut sich später mit Pino Ruffino zusammen, der die Zollwache in Innichen leitet. Hedwig Morandell selbst führt jahrelang das Hutfachgeschäft Elite in der Bozner Silbergasse. Hans Morandell erleidet das Schicksal, das damals den meisten unehelichen Kindern in Südtirol blüht: Die Mutter muss arbeiten und er wächst bei einer Art Pflegfamilie auf, in seinem Fall bei einer Familie auf dem Ritten. Nach der Grundschule besucht er in Bozen das „Istituto Tecnico Governativo Commerciale e per Geometri Cesare Battisti“ und macht dort auch sein Abitur.
Auffällig ist, dass Hans Morandell seit seiner Jugend fast schon natürlich zwei Identitäten lebt. Weil die Eltern nicht verheiratet sind, trägt er zuerst den Namen der Mutter, nimmt dann aber, kaum volljährig, den Namen des Vaters an, zumindest zeitweilig. So etwa wird der Mann in den Akten der Bozner Quästur und des italienischen Innenministeriums noch im Sommer 1968 als Giovanni Sostero geführt.5 Damit wird klar, dass der Südtiroler StB-Agent jahrelang in Österreich als Hans Morandell auftrat, während er in Italien als Giovanni Sostero agierte. Dazu kommen im Laufe der Jahre noch weitere Aliasnamen, unter denen er operiert. Vereinfachend soll der Mann hier Hans Morandell genannt werden.
Morandell spricht und schreibt drei Sprachen perfekt: Deutsch, Italienisch und Englisch. Darüber hinaus spricht er Französisch und im Laufe seines Lebens kommen noch mindestens drei weitere Sprachen hinzu.
1944 wird Hans Morandell eingezogen und zur Deutschen Reichsbahn in Italien versetzt. Er ist in Bologna stationiert. Laut eigenem Lebenslauf arbeitet er ab April 1945 in Italien als Dolmetscher für die Engländer und Amerikaner. Doch schon bald erhält der junge Mann einen besonders interessanten Job. 1946 befindet sich die Südtiroler Volkspartei (SVP) organisatorisch noch im Aufbau. Über Friedl Volgger kommt Hans Morandell zur SVP. Dort übernimmt er als Verwaltungssekretär den SVP-Bezirk Bozen und arbeitet zwischen 1946 und 1948 für die Volkspartei. In dieser Funktion wird Hans Morandell dann auch indirekt Gegenstand einer öffentlichen Polemik. Im Spätsommer 1947 greift die Bozner Tageszeitung „Alto Adige“ in einer Artikelserie mehrmals die SVP scharf an. Vor allem Leo Sofisti, der später in den überregionalen Tageszeitungen „Corriere della Sera“ und „Il Giornale“ die rechte Hand des berühmten Journalisten Indro Montanelli werden wird, veröffentlicht in mehreren Artikeln vermeintliche Interna aus der Volkspartei. So schreibt Sofisti am 9. Oktober 1947 u. a. über die verdächtigen Kontakte und Reisen von Friedl Volgger nach Jugoslawien und behauptet in diesem Artikel, „dass Friedl Volgger, seinen Privatsekretär, einen gewissen Morandell, im August 1947 zu einer Weltjugendtagung nach Prag geschickt habe“. Die SVP-Landesleitung entgegnet mit einer Stellungnahme, die Friedl Volgger zwei Tage später im „Volksboten“ abdruckt, garniert mit einem langen Artikel mit dem Titel „Was soll diese Hetze?“ in dem Volgger selbst zu den Enthüllungen Stellung nimmt. „Herr Sofisti lügt mit dieser Behauptung“, dementiert Volgger die Entsendung Morandells nach Prag.6 Dass die Behauptung Sofistis nicht an den Haaren herbeigezogen war und der Journalist also über gute Informationen verfügte, zeigt sich heute. Denn 70 Jahre später finde ich im Akt des Agenten „Korsičan“ im StB-Archiv in Prag nicht nur den damaligen „Volksbote“-Artikel, sondern auch eine genaue Personenbeschreibung des Journalisten, SVP-Gründers und späteren Parlamentariers Friedl Volgger. Morandell benutzte diesen politischen Kontakt als einen seiner Trümpfe bei der Anwerbung durch den StB.7
Hans Morandell reist im Sommer 1947 tatsächlich erstmals in die ČSR, um an einem Studentenfestival in Prag teilzunehmen. Dabei lernt er eine Reihe von Gleichaltrigen kennen, mit denen er auch danach noch Briefkontakt hält. Morandell ist von der Tschechoslowakei durchaus angetan. Er bleibt danach einige Monate in Karlsbad, wo er als Hilfsarbeiter in den dortigen Kaolinwerken angestellt wird. Kaolin ist ein mineralischer Rohstoff, der in der Keramik-, Papier- und Chemieindustrie verarbeitet wird. Morandell lernt dabei auch relativ gut Tschechisch, sodass er später die Briefe seines StB-Verbindungsoffiziers in dessen Muttersprache beantworten kann. Auch diese Tatsache dürfte bei seiner Anwerbung Ende 1948/Anfang 1949 mit ausschlaggebend gewesen sein. „Der Informant vermittelt den Eindruck einer ehrlichen und wahrheitsliebenden Person. Er ist intelligent und freundlich. Er mag die Tschechoslowakische Republik sehr und er kommentiert die Bedingungen in unserem Land äußerst positiv“, beschreibt der StB-Offizier seinen Agenten „Korsičan“ im Registrierungsprotokoll.8
Aus dem Geheimdienstakt geht auch der Beweggrund hervor, warum Morandell das Angebot umgehend annimmt. Da er seine Mutter finanziell unterstützen muss, brauche er unbedingt eine Einnahmequelle. Im Prager Personalakt heißt es: „Dem Informanten ist bekannt, dass er für den Geheimdienst arbeitet, er weiß jedoch nicht für welche Abteilung.“9 Zu diesem Zeitpunkt studiert Morandell an der Universität Innsbruck Philosophie, wohnt bei seinem Onkel Meininger in Innsbruck, fährt aber immer wieder zu seiner Mutter nach Bozen. So schickt der StB anfänglich seine Briefe vor allem an die Anschrift der Mutter nach Bozen. Das Operationsgebiet von „Korsičan“ soll vor allem Tirol und Vorarlberg sein, doch schon bald wird sich die Tätigkeit Morandells über halb Europa und darüber hinaus erstrecken.
Wie bereits erwähnt, kommt es Anfang Februar 1949 im Hotel Drei Kronen in Znojmo zum Anwerbungsgespräch. Dabei erhält „Korsičan“ von dem StB-Offizier, der in den nächsten Jahren seine Führung übernimmt, bereits erste Aufträge. So soll er detaillierte schriftliche Berichte über die in Innsbruck stationierten französischen Besatzungstruppen und über das Flüchtlingslager in Wörgl liefern. Das besondere Interesse des StB gilt dabei den „Namen der Führer hauptsächlich aus den Reihen der tschechoslowakischen Auswanderung“. Ein weiterer Auftrag ist ein genauer Bericht über den Flughafen Innsbruck/Kranebitten (Abmessungen des Flughafens, Ausmaße und Art der Startfläche, Signalvorrichtungen, Flughafeneinrichtungen, Flughafenbesatzung, Anzahl und Flugzeugtypen und Skizze des Flughafens). Beim Anwerbegespräch wird auch schon das nächste Treffen mit „Korsičan“ in einem anderen Hotel in Znojmo für den 10. März 1949 festgelegt. Zudem wird ein einfacher Code vereinbart, den man in den Jahren danach deckungsgleich bei allen anderen Agenten und Informanten aus diesem Netzwerk umsetzen wird. Im StB-Bericht heißt es dazu:
Für den Fall, dass er aus schwerwiegenden Gründen an diesem Tag nicht in der Lage sein wird zu kommen, wird er das neue Datum per Telegramm mitteilen, das er aus Italien senden wird. Der Inhalt: Antóns Hochzeit am X / x bedeutet Datum der Ankunft.10
In den Akten finden sich unzählige solcher Telegramme. So etwa ein Fernschreiben vom Herbst 1950, das „Korsičan“ von Bozen nach Brünn schickt. Der Text: „Antons Hochzeit am 8.12. Janos“.11 Dass Morandell mit „Janos“ unterschreibt, hat einen Grund. Zu diesem Zeitpunkt ist die Zusammenarbeit zwischen dem StB und seinem Bozner Agenten bereits so gefestigt, dass der tschechische Nachrichtendienst Hans Morandell sogar einen falschen, tschechoslowakischen Personalausweis auf den Namen „Jan Moravec“ ausstellt.12
Tote Briefkästen am Wiener Prater
Hans Morandell beginnt in den Monaten und Jahren nach der Anwerbung ein Agentennetz für den StB aufzubauen, das über ganz Europa reicht. Bereits beim zweiten Treffen im März 1949 in Znojmo übergibt er die schriftlichen Berichte zum Innsbrucker Flughafen und dem Wörgler Flüchtlingslager. Ab diesem Zeitpunkt fährt Morandell fast monatlich in die Tschechoslowakei. Allein im Jahr 1949 kommt es zuerst in Znojmo und später in Brno zu elf Treffen mit