innerhalb kürzester Zeit in seine Aufgabe hinein. Der spätere Innsbrucker Diplomvolkswirt liefert in einem seiner ersten Berichte eine detaillierte Beschreibung des amerikanischen Stützpunktes in Reichenau bei Innsbruck sowie über den Ausbau des amerikanischen Lagers für Flüchtlinge (Displaced Persons) in Rum. Dem Bericht sind Skizzen und Fotos beigelegt. Mitte März 1951 fährt „Pedel“ nach Triest, wo er einen detaillierten Bericht über den Hafen und die dortigen militärischen und zivilen Einrichtungen anfertigt.23 Edgar Meininger übernimmt auch das auf den Namen „Hans Waldner“ laufende Postfach 139 am Innsbrucker Hauptpostamt, auf dem fast wöchentlich Berichte von Zuträgern eintreffen. So enthält Meiningers StB-Akt einen ausgiebigen Schriftverkehr mit Oktay Özgökce, der aus Izmir Nachrichten und Berichte aus der Türkei liefert.24 Im Sommer 1951 versucht Agent „Pedel“ auch einen Zuträger in Jugoslawien anzuwerben. In einem Bericht an den StB stellt er den Kandidaten vor, der als „militärischer Korrespondent“ fungieren soll: Ivica Spehar aus Zagreb. Aus Meiningers Schilderung geht eindeutig hervor, dass es sich bei dem 26-Jährigen um einen Kriminellen handelt.
Edgar Meininger (alias „Pedel“) in der Uniform der NS-Jugendbewegung (Pimpf): Morandells Cousin arbeitet jahrelang für den StB.
Ivica selbst ist ein mittelgroßer, dunkler, meist finster blickender Mann, der sich bis heute seinen Lebensunterhalt mit allerlei dunklen Geschäften verdient. Verkauf von Schmuggelwaren (Nylon, Munition, Uhren, Medikamente usw.), die aus dem Ausland kommen, und Chef einer Art Bordells zählen nur zu seinen Hauptbetätigungsgebieten. Mit Recht kann man ihn zu einem, wenn nicht den führenden Kopf der Zagreber Unterwelt zählen.25
Ob es wirklich zu dieser Zusammenarbeit kommt, geht aus den Prager Akten nicht hervor. Sicher ist, dass schon bald danach Informationen aus Jugoslawien in Richtung StB fließen. Doch dafür könnte eine andere Person verantwortlich sein, nämlich ein weiterer junger Mann aus Bozen. Es handelt sich um den Spross einer besonders bekannten und einflussreichen Südtiroler Familie.
Deckname „Puzzi“
Im Archiv der tschechoslowakischen Staatssicherheit StB in der Na Struze 3 in Prag findet sich unter Hunderttausenden von Dossiers auch ein schmaler Akt, in dem ein Kapitel Südtiroler Zeitgeschichte gestreift wird, das eigentlich so nicht an die Öffentlichkeit kommen sollte. In dem Akt liegt die Kopie eines Schreibens eines StB-Führungsoffiziers mit dem Decknamen „Venceslao“, der um die dringende Kontaktaufnahme eines seiner Agenten ersucht. Die Anschrift auf dem Briefumschlag: „Museumstraße 42, Bozen“26
An dieser Adresse befinden zu diesem Zeitpunkt die Redaktion und die Druckerei der Tageszeitung „Dolomiten“ sowie die Direktion des Athesia-Verlages. Der Adressat, an den der Brief geht, gehört zur Familie von Kanonikus Michael Gamper. Franz Flies wird am 19. Mai 1928 in Bozen geboren und muss 1944 als 16-Jähriger einrücken. Er dient rund zehn Monate in Deutschland als Dolmetscher. Anfang der 1950er-Jahre arbeitet er als Vertriebsmitarbeiter im Athesia-Verlag. Flies ist der Neffe von Michael Gamper und damit der Bruder von Martha Flies, in der Südtiroler Öffentlichkeit besser bekannt unter ihrem verheirateten Namen: Martha Ebner. Im StB-Personalakt von Franz Flies heißt es dazu:
Der Informant hat 3 Schwestern. Eine studiert als Lehrerin in Bozen, die andere ist mit einem Abgeordneten verheiratet und lebt in der Nähe von Bozen. Die dritte ist in London verheiratet, wo ihr Ehemann ein Geschäft hat.27
Martha Ebner heiratet 1944 Toni Ebner, der 1948 für die SVP als jüngster Abgeordneter in die italienische Abgeordnetenkammer gewählt wird und dort für drei Legislaturen sitzen wird. Toni Ebner (1918–1981) wird im Jänner 1951 erstmals SVP-Obmann. Zudem übernimmt Toni Ebner ab 1956 die Leitung des Athesia-Verlages und die Chefredaktion der Tageszeitung „Dolomiten“. Doch davon ist im Prager Akt von Franz Flies kaum etwas zu lesen, denn der Informant, der in der StB-Registratur mit dem Decknamen „Puzzi“ läuft, ist für ein anderes Einsatzgebiet vorgesehen. Franz Flies gehört ab 1951 zum Netz von Hans Morandell. Man kann davon ausgehen, dass Morandell den um nur drei Jahre jüngeren Flies während seiner Arbeit für Friedl Volgger und die SVP kennengelernt hat. Morandell und sein Vetter Edgar Meininger werben Flies gemeinsam für den tschechoslowakischen Nachrichtendienst an. Als Morandell Franz Flies das erste Mal nach Brünn bringt, notiert der StB-Offizier ins Protokoll:
StB-Akt von Franz Flies (alias „Puzzi“): Neffe von Kanonikus Michael Gamper arbeitet für den Ostblock.
Der Informant spricht mehrere Sprachen, hat eine ausgezeichnete Ausbildung und er verfügt über einen gültigen Reisepass. Man kann davon ausgehen, dass er die ihm gestellten Aufgaben bestens ausführen dürfte.28
Heute kann man darüber nur spekulieren, warum Franz Flies diese Arbeit für einen östlichen Nachrichtendienst übernommen hat. Abenteuerlust? Oder aus finanziellen Gründen? Tatsache ist, dass sich im StB-Akt mehrere von Flies unterzeichnete Erklärungen finden, mit denen er Zahlungen quittiert, die er über Hans Morandell alias „Korsičan“ ausbezahlt bekommt.
Empfangsbestätigung von Franz Flies: Geld vom StB für Jugoslawienreise.
„Ich hören diese Geschichte von Ihnen heute zum ersten Mal“, sagt Martha Ebner fast 70 Jahre später im Gespräch mit dem Autor. Die heute 98-Jährige wundert sich aber nicht wirklich über diese ihr bis dahin unbekannte Seite ihres Bruders: „Franz wurde als junger Mensch durch den Krieg aus der Schule gerissen, er war ein Freigeist und immer etwas unruhig.“ Martha Ebner erklärt auch den Decknamen „Puzzi“: „Das war seit seiner Kindheit sein Spitzname in der Familie, aber auch unter seinen Freunden.“29
Im Herbst 1951 macht Franz Flies eine Reise mit dem Auto nach Jugoslawien. Seine Aufgabe ist es, Flughäfen, Militäranlagen und Industrieanlagen vor allem im heutigen Slowenien und Kroatien auszukundschaften. Am 11. November 1951 liefert Agent „Puzzi“ dem StB einen detaillierten Bericht ab. Er beschreibt darin das große Stahlwerk in Štore, die Industrieanlagen und den Flughafen von Celje, die Flugplätze von Laibach und Zagreb sowie noch eine ganze Reihe weiterer Städte und Flughäfen. Dabei gibt er die Flugzeugtypen genauso wieder wie die Stärke der militärischen Wachmannschaften. Zudem liefert er ein halbes Dutzend Namen und Anschriften, die ihm bei der Informationsbeschaffung behilflich waren und auch in Zukunft zur Verfügung stehen würden.30 Auch hier gibt es einen familiären Hintergrund. Der Vater von Franz und Martha Flies stammt aus einem Dorf in der Nähe von Celje in Slowenien. Er erhielt erst 1937 die italienische Staatsbürgerschaft.31
Am 15. Oktober 1951 bestätigt Franz Flies per Unterschrift in Wien gegenüber Hans Morandell und dem StB den Erhalt von 50.000 Lire, 20.000 Dinar und 700 Schilling. Es dürfte sich um das Geld zur Finanzierung der Jugoslawienreise handeln.32 Eine der Aufgaben, die der StB Franz Flies gibt, ist auch die Beschaffung eines Impfstoffes, der damals in Italien eingeführt wird. Mehrmals hakt der StB-Führungsoffizier bei Agent „Puzzi“ nach, bis er Mitte September 1952 über Hans Morandell eine Charge in die ČSR schickt. „Durch die Bereitstellung und den Versand von 300 Kubikzentimetern Impfstoff wurde unsere Anforderung vollständig erfüllt, es muss kein weiterer Impfstoff mehr angeschafft werden“, notiert der StB in seinem Dienstbericht.33
Anfang 1953 tritt „Puzzi“ eine zweite Auslandreise im Auftrag des kommunistischen Nachrichtendienstes an, diesmal nach Griechenland. Franz Flies hält sich einige Zeit in Kavala und Thessaloniki auf, wo er ebenfalls Militäranlagen ausspioniert und Zuträger anzuwerben versucht. In seinem Bericht an den StB-Verbindungsoffizier heißt es:
Ganz nach den Befehlen habe ich versucht, die Bekanntschaft einiger junger