Christoph Franceschini

Geheimdienste, Agenten, Spione


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Es handelt sich um Giovanni Pernisco, der im Amt für Verkehr (Ufficio Trasporti) des Generalstabes des Heeres (Stato Maggiore dell’Esercito) im römischen Verteidigungsministerium tätig ist. Pernisco berichtet über drei Truppenverlegungen und erklärt, dass er die Originalberichte nicht übermitteln könne, weil sie in zwei Registern protokolliert und anschließend im Panzerschrank verschlossen würden. Deshalb habe er die Befehle abgeschrieben.43

      Spätestens Anfang 1950 wird auch für Erich Bertol deutlich, für wen er seine Berichte schreibt und auch Dokumente fotografiert. Denn Ende Jänner 1950 bringt „Korsičan“ Erich Bertol zu seinen Auftraggebern nach Brünn. Die beiden Bozner überschreiten wie üblich bei Retz illegal die Grenze und werden von ihren StB-Führungsoffizieren empfangen. Am 31. Jänner 1950 unterzeichnet Erich Bertol in einem Jagdhaus nahe Brünn eine schriftliche Verpflichtungserklärung. Er erhält in der StB-Registratur den Decknamen „Sizunk“ – eine durchaus aussagekräftige Wahl, denn das Wort kommt aus der tschechischen Umgangssprache und steht für „Schwindler“. Es wird sich noch zeigen, dass dieser Deckname mehr als passend ist.44 Agent „Sizunk“ wächst schnell in seine Aufgabe hinein. Sechseinhalb Jahre später beschreibt Erich Bertol den Beginn seiner Arbeit für den StB so:

       Nach dieser Zeit habe ich dann noch einige Wochen mit Morandell gearbeitet und dann später, aber noch im Jahr 1950, arbeitete ich schon allein. […] Ich arbeitete damals nur in Italien. Meine Aufgaben lagen im militärischen Bereich, Truppenverlegungen und Flughäfen. Ich brauchte und sollte auch neue Mitarbeiter gewinnen.45

      Tatsächlich liefert „Sizunk“ anfänglich ausschließlich Berichte aus Italien, doch bereits 1951 reist er für den StB mehrmals nach Spanien, wo er Mitarbeiter anwirbt. 1952 erfüllt er Aufträge in Dänemark und Holland, 1953 dann in Norwegen und auch in Österreich. Besondern engagiert zeigt sich Bertol beim Anwerben von Mitarbeitern. So führt er noch 1950 zwei Bozner Bekannte dem tschechoslowakischen Geheimdienst zu, die danach beide jahrzehntelang im Nachrichtengeschäft tätig sein werden. Als Agent „Sizunk“ am 5. September 1950 zum vorher ausgemachten Treffen mit seinen StB-Führungsoffizieren nach Brünn kommt, ist ein alter Bozner Freund Bertols dabei: Friedrich „Fritz“ Stefaner (1927–1991). Friedrich Stefaner wird am 19. Juni 1927 in Bozen geboren, doch weil der Vater ein Jahr später stirbt, wächst er zuerst bei der Mutter in Bozen und später bei einem älteren Bruder in Suetschach im Rosental in Kärnten auf. Nach einem kurzen schulischen Zwischenstopp auf dem Gymnasium in Innsbruck kommt Friedrich Stefaner 1941 – wie Hunderte Südtiroler Optantenkinder – in die „Nationalpolitische Erziehungsanstalt“ (Napola) nach Rufach im Elsass. 1943/44 kehrt Stefaner nach Bozen zurück und wird schließlich zur Waffen-SS einberufen. In Nienburg an der Weser wird er zum SS-Unterscharführer ausgebildet, 1945 zur SS-Panzerdivision „Wiking“ eingezogen und in Ungarn eingesetzt. Nach dem Krieg kehrt er nach Bozen zurück und leistet 1947/48 den italienischen Militärdienst ab. In Nienburg hatte er den gleichaltrigen Erich Bertol kennengelernt und sich mit ihm angefreundet, Anfang der 1950er-Jahre wird das Verhältnis enger. Vier Jahre nach seiner Anwerbung unterzieht der StB am 17. September 1954 Friedrich Stefaner in Znojmo einem strengen Verhör. Dabei schildert der Agent auch, wie es zur Anwerbung kam:

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      Fritz Stefaner alias „Horalsky“ (Foto aus seinem StB-Akt): Wirbt Südtirolerin an, die für die Amerikaner in Triest arbeitet.

       In den frühen 1950er-Jahren entdeckte ich, dass mein guter Freund Erich Bertol immer viel Geld hatte. Im Juni 1950 nahm er mich mit nach Rom, dann nach Livorno, nach La Spezia und zurück nach Bozen. Auf der Reise beobachtete ich, dass er überall militärische Informationen erhielt. Ich fragte ihn, für wen er diese Informationen sammle. Seine Antwort: für die Deutschen. Ich fragte ihn dann, ob ich nicht auch hier mitmachen und Geld verdienen könnte. Er meinte, dazu müsse er erst nachfragen.46

      Als der StB grünes Licht gibt, bringt Agent „Sizunk“ die Neuanwerbung nach Znojmo und Brno. Dort unterzeichnet Stefaner am 5. September 1950 seine Verpflichtungserklärung und erhält einen Decknamen, nämlich „Horalsky“, was man frei als „Bergmensch“ übersetzen könnte. Bei seiner Anwerbung muss sich jeder StB-Agent zudem einen Arbeitsnamen zulegen, mit dem er Briefe und Telegramme nach Brünn unterzeichnet. Damit soll eine allzu leichte Identifizierung der Zuträger durch fremde Dienste verhindert werden. Hans Morandell, alias „Korsičan“ firmiert anfänglich als „Anton“ und später als „Jenda“, Edgar Meininger, Agent „Pedel“, als „Eduard“ und Erich Bertol alias „Sizunk“ unterzeichnet seine Depeschen als „Arnold“. Friedrich Stefaner hingegen entscheidet sich für einen bekannten Nachnamen, er korrespondiert mit dem StB unter dem Decknamen „Franz Trenker“.

      Friedrich Stefaner oder „Horalsky“ ist danach rund vier Jahre lang für den StB als Zuträger und Agent tätig. Dass das Agentenleben nicht nur Geld einbringt, sondern auch Gefahren birgt, erfährt er im Sommer 1951, als es zu einem Schreckensmoment kommt. Bei einem seiner illegalen Grenzübertritte aus der ČSR zurück nach Österreich wird er – wie es Ende 1952 auch Hans Morandell und Franz Flies ergehen wird – bei Hollabrunn kurzeitig verhaftet. Die Anklage: „Der Beschuldigte hat am 4. August 1951 anlässlich seines unbefugten Grenzübertrittes den Betrag von 150.000 ital. Lire ohne Bewilligung nach Österreich eingeführt.“ Stefaner wird zu sieben Tagen Haft und 1.000 Schilling Geldstrafe verurteilt.47 Das Geld dürfte ihm der StB zurückerstattet haben, denn auch „Horalsky“ verdient wie alle seine Mitstreiter äußerst gut. In allen Personalakten des StB sind schön säuberlich alle finanziellen Zuwendungen an die Zuträger aufgelistet. Demnach bekommt Friedrich Stefaner für seine Dienste bis Ende 1953 insgesamt 42.273 Kronen, 155 Dollar, 400 Schweizer Franken, 3.930.000 italienische Lire und 46.000 jugoslawische Dinar.48

      Dass der Bozner Agent jugoslawische Dinar erhält, erklärt sich damit, dass er – wie seine anderen Südtiroler StB-Kollegen – in Jugoslawien eingesetzt wird. „Horalsky“ wird anfänglich vor allem dort tätig, weil er direkte Kontakte in Kärnten hat. Sein Bruder lebt in Suetschach und sein Onkel ist Gendarmerie-Inspektor in Feistritz im Rosental – beide Orte liegen unmittelbar an der Grenze zum heutigen Slowenien.

      Doch schon bald ändert sich sein Betätigungsfeld. Der Grund: Der Bozner Agent zieht einen Fisch an Land, der in den Augen seiner Auftraggeber von ganz besonderem Interesse ist, und zwar wegen der Verbindung zum amerikanischen Geheimdienst. Friedrich Stefaner ist persönlich mit Frieda Marmsoler aus Seis-Kastelruth befreundet, die 1949 den US-amerikanischen Marinesoldaten Charles Whiting heiratet. Die junge Frau arbeitet als Verwaltungsangestellte im „Counter Intelligence Corps“ (CIC) für die US-amerikanischen Besatzungsbehörden. Den damals in Europa äußerst aktiven amerikanischen Militärnachrichtendienst CIC zählt der StB zu seinen gefährlichsten Gegnern. „Horalsky“ gelingt es, Frieda Marmsoler als Zuträgerin anzuwerben. 1951/52 treffen sich die Südtiroler CIC-Sekretärin und der StB-Agent periodisch in Triest, Udine und Bozen. Dabei überreicht Marmsoler handgeschriebene Berichte über die Struktur der US-Streitkräfte in Italien, aber auch Dutzende als geheim klassifizierte Dokumente, zudem Fotos oder Kopien von Fernschreiben, Anordnungen und internem Schriftverkehr. So findet man heute im Prager Personalakt des Agenten „Horalsky“ Dutzende vergilbte Fotos dieser US-Dokumente. Weil der Nachschub für die US-Streitkräfte in Österreich und Süddeutschland über den Hafen Triest läuft, sind die Dokumente für den StB von großem Interesse.

      Allein durch diese Quelle gewinnt „Horalsky“ bei seinen Auftraggebern an Ansehen. Stefaner bezahlt Frieda Marmsoler Whiting für jede Lieferung, und diese finanziellen Zuwendungen dürften auch der Grund für die Mitarbeit der damals 28-jährigen Frau gewesen sein. Doch im Frühjahr 1953 wird die vielversprechende Geschäftsverbindung jäh unterbrochen. Charles Whiting war bereits 1951 in die USA versetzt worden. Ende 1952 folgt Frieda ihrem Ehemann nach Washington, doch zwischen den beiden Eheleuten kriselt es. Weil Whiting mehrmals gewalttätig wird, flieht Frieda Marmsoler schließlich zu einer befreundeten Familie. Dort tötet Charles Whiting am 13. Februar 1953 seine Frau mit einem Kopfschuss, bevor er selbst vom Sohn des Hauses erschossen wird.49 Damit ist Friedrich Stefaners wichtigste Quelle für immer