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Franz Smaniotto soll im Herbst 1951 zu seinen Auftraggebern in die ČSR kommen. Weil der junge Bozner aber keinen Reisepass erhält, kommt diese Reise letztlich nie zustande. Roman Rauter hingegen fährt nach Brünn, wo er formal vom StB angeworben wird. Er bekommt den Decknamen „Přerušovač“, auf Deutsch „Unterbrecher“. Alfred oder Alfredo Macchia bleibt hingegen ein Phantom, der Verfasser konnte zu ihm bisher keine genaueren Informationen finden. Das Quartett um Heinrich Berger sucht sich in den folgenden Jahren bewusst Dutzende Angehörige des italienischen Heeres, um von diesen interne Informationen über Streitkräfte, Befehlskette, Bewaffnung und Taktik zu bekommen. Sie werben nicht nur gleichaltrige Bozner an, die den Wehrdienst absolvieren, sondern sie dehnen ihr Netz schon bald auf die gesamte italienische Halbinsel aus. Agent „Tryska“ kann dabei auf familiäre Hilfe zählen. Bergers ältere Schwester Hilde Berger heiratet am 30. April 1951 in Rom Massimo Azzara, Feldwebel beim italienischen Heer. Dieser Schwager dient für Berger als Türöffner zu vielen italienischen Militärangehörigen. Dabei wagen sich Berger und seine Mitstreiter im Spätherbst 1951 auf ein Gebiet vor, das die ČSR besonders interessiert: die italienische Luftwaffe und der Bereich der Düsenflugzeuge. Daher dürfte wohl auch der Deckname „Tryska“ stammen. Das Quartett wirbt mit Leutnant Rolando Diletti einen Piloten an, der im „Comando 1. Zona Aerea Territoriale“ (1. ZAT) in Mailand seinen Dienst tut. Im Falle eines Krieges läuft die Befehlskette der italienischen Luftwaffe über vier solcher regionaler Luftzonen in Mailand, Palermo, Rom und Bari. Schon wenig später schafft es Roman Rauter, mit Corrado Pardeller einen zweiten, im Mailänder Luftwaffenkommando tätigen Zuträger anzuwerben. Einen weiteren Informanten mit den Initialen „Z. L.“ – der gesamte Namen kommt in den Akten nicht vor – hat Rauter im sizilianischen Luftwaffenkommando in Palermo angeheuert. Die Zusammenarbeit mit diesem Zuträger wird aber schon bald ergebnislos beendet. Dafür liefern Diletti und Pardeller in den Monaten und Jahren danach für Geld immer wieder Berichte und geheime Dokumente, Befehle, Handbücher für Militärflugzeuge und Lehrbücher aus dem Mailänder Luftwaffenkommando.
Heinrich Berger, der zuerst in Meran und dann in Bozen in der Cadornastraße wohnhaft ist, dürfte zu diesem Zeitpunkt bereits hauptberuflich ins Spionagegeschäft eingestiegen sein. Offiziell hat er eine eigene Vertretung aufgebaut: So finden sich im StB-Akt mehrere Schreiben auf dem Briefpapier: „Heinz Berger – Vertretungen – Besteck/Eisenwaren, Bozen Mendelstraße 18“. 1952 mietet sich Berger alias „Tryska“ in Mailand ein Zimmer, das er als Büro und Wohnung nutzt. Der Hauptgrund für den Standortwechsel sind die beiden Zuträger aus der italienischen Luftwaffe. Denn es ist vor allem Berger, der die Dokumente und Berichte in Mailand direkt übernimmt. In seinem StB-Akt befinden sich mehrere ungelenke Zeichnungen, darunter auch ein Straßenplan, auf dem ein Café auf der Piazza Morbegno in Mailand eingezeichnet ist. Dazu eine zweite Zeichnung, die das Innere des Cafés zeigt, und ein sogenannter toter Briefkasten im Oberboden in der Toilette. Dies ist der Übergabeort, wo Diletti und Pardeller die Dokumente und Berichte deponieren und gleichzeitig ihr Geld entgegennehmen. Das Netzwerk um Heinrich Berger ist sehr aktiv. Dabei fällt auf, dass die Berichte im Laufe der Zeit immer professioneller werden. Das dürfte auch an der Ausbildung von Hermann Larcher liegen. Es finden sich Dutzende Originalberichte in italienischer Sprache in den Prager Akten, die aber einen deutschen Titel wie „Auftrag Mantova“, „Auftrag Pavia“ oder „Auftrag Bologna“ tragen. Zudem übergibt „Tryska“ auch deutschsprachige „Eigenberichte“, so etwa im Februar 1952 einen Bericht über einen gewissen „Ing. Werner Schmid“, der während des Krieges in Halle und Peenemünde in den NS-Versuchsanstalten als Flugzeugkonstrukteur und Düsenforscher tätig war. Der Mann, von dem „Tryska“ ausgeht, dass er einen falschen Namen angegeben habe, warte in Genua auf seine Papiere für die Ausreise nach Südamerika. Berger will ihn über einen Mittelsmann für die Tschechoslowakei anwerben, was am Ende aber nicht gelingt.64 Welche wichtigen Dienste Heinrich Berger und sein Netzwerk für den StB leisten, geht aus einem besonderen Dokument im „Tryska“-Akt hervor. Es ist die Kopie eines Schreibens, das der Chef des Generalstabes im italienischen Verteidigungsministerium am 27. August 1952 an den General des IV. Armeekorps in Bozen schickt, aus dem eine bisher kaum bekannte Anordnung im anbrechenden Kalten Krieg hervorgeht. Im April 1949 wird die NATO (North Atlantic Treaty Organization) aus der Taufe gehoben, Italien gehört zu den Gründungsmitgliedern. In dem streng geheimen Schreiben teilt der oberste italienische Militärbefehlshaber mit, dass aufgrund eines Abkommens zwischen der italienischen Regierung und dem Oberbefehlshaber der NATO-Truppen (Supreme Allied Commander Europe) die territoriale Befehlsgewalt über die nördlichste Grenze Italiens neu festgelegt wurde: In einem Gebiet von 150 Kilometern östlich und westlich des Brenners und südlich bis nach Lavis bei Trient gehe das territoriale militärische Recht an das alliierte Oberkommando über. In der Depesche aus dem Verteidigungsministerium heißt es:
Diese Anordnung, die auf taktischen und strategischen Überlegungen zur militärischen Sicherheit fußt, bringt die unmittelbare Übergabe der obersten militärischen Gewalt an die höchste alliierte Stelle in Italien.
Demnach gelte der Generaloberst des in Livorno stationierten Logistical Command Hermann Wissering ab sofort als verantwortlicher Oberkommandant aller italienischen Truppen, die in diesem Gebiet zwischen dem Brenner und Lavis stationiert sind.65
Dieses Dokument ist in der italienischen Öffentlichkeit bis heute kaum jemandem bekannt. Es ist aber ein Zeitdokument, das auch fast 70 Jahre später für Diskussionen sorgen kann. Denn nach diesen eindeutigen Vorgaben gibt Italien nicht nur die militärische Hoheit über Südtirol und das halbe Trentino ab, sondern es wird an der Grenze zum damals noch besetzten Österreich auch eine Art extraterritoriale Pufferzone geschaffen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde in Italien immer wieder über die durch die USA „eingeschränkte Souveränität“ diskutiert, dieser Verzicht auf die militärische und territoriale Befehlsgewalt in und um Südtirol ist nun ein weiterer Mosaikstein in dieser Lesart. Was aber besonders beeindruckt: Agent „Tryska“ übergibt dieses brisante Schreiben bereits am 4. Oktober 1952 der tschechoslowakischen Staatssicherheit. All dies macht deutlich, dass das Südtiroler StB-Netzwerk kein Pfadfinderverein ist.
Presseagentur als Coverstory
Trotzdem wird das Südtiroler Agentennetz in der Folge nachhaltig verändert und auf eine ganz neue Ebene gestellt werden. Der Grund dafür ist eigentlich eine Zufallsbekanntschaft. Im Sommer 1948 arbeitet Erich Bertol als Hausmeister im Parkhotel Holzner in Oberbozen am Ritten. Bertol freundet sich dabei mit einem fast gleichaltrigen Gast aus Rom an. Es ist ein Mann, der trotz seiner Jugend auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken kann. Massimo Uffreduzzi, am 6. März 1925 in Rom geboren, ist bereits als Halbwüchsiger ein überzeugter Faschist. Als Oberschüler engagiert er sich in der faschistischen Hochschuljugend GUF (Gruppi Universitari Fascisti). Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Italien schließt er sich dem Partito Fascista Repubblicano (PFR) und nach dem Falls des Faschismus der faschistischen Restrepublik Repubblica di Salò (RSI) an. Mitte September 1943 nimmt Uffreduzzi in Rom Kontakte mit dem SS-Sturmbannführer Karl Theodor Hass (1912–2004) auf, dem Leiter des SD in der italienischen Hauptstadt. Der junge Faschist wird zum Informanten des SD. Als Rom von den Amerikanern befreit wird, flüchtet Massimo Uffreduzzi nach Norditalien. Dabei trifft er in Verona wiederum auf Karl Hass, welcher ihm eine fixe Stelle beim SD anbietet. Als Hass nach Parma versetzt wird und dort die Geheimoperation „Ida“ leitet, den Aufbau eines Spionagenetzwerke, das später als Vorbild der US-amerikanischen „Stay Behind“-Truppen dienen wird, ist Massimo Uffreduzzi mit von der Partie. Von Juli bis Oktober 1944 arbeitet er als Angestellter für den SD in Parma und danach, immer für den SD, bis April 1945 in Venedig. Er baut für die Deutschen ein Netz von Spitzeln und Saboteuren auf und greift dabei vor allem auf Zuträger aus den Reihen der faschistischen Partei und des italienischen Rechtsextremismus zurück. 1943 besucht Uffreduzzi einen Lehrgang für Marineoffiziere